Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer. Johannes Chrysostomos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Chrysostomos
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849660161
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welche die Wahrheit im Banne der Ungerechtigkeit gefangen halten.“ — Hier bringt der Apostel zum Ausdruck, da es viele Wege der Gottlosigkeit gibt, der Weg der Wahrheit aber nur einer ist. Denn bunt und vielgestaltig und unterschiedlich ist der Irrtum, die Wahrheit aber ist eine. Zunächst meint er das wohl in bezug auf die Glaubenslehre; in der Folge bezieht er es auch auf das Leben, indem er von Ungerechtigkeit der Menschen spricht. Und in der Tat gibt es vielerlei Ungerechtigkeiten. Bei der einen handelt es sich um den Besitz, so z. B. wenn einer seinem Nebenmenschen Schaden daran zufügt; bei einer andern um die Weiber, so wenn einer sich von seinem Eheweibe trennt und die Ehe eines andern zerstört. Auch das versteht Paulus unter „Übervorteilen“, wenn er spricht: „Daß keiner zu weit gehe und seinen Bruder im Geschäfte nicht übervorteile“ 61. Andere wieder treten zwar nicht dem Weibe und dem Besitze, wohl aber der Ehre des Nächsten nahe. Auch das ist Ungerechtigkeit. „Denn ein guter Name ist besser als viel Reichtum“ 62. Manche (Erklärer) sind der Ansicht, daß die Ausdrücke („Gottlosigkeit“ und „Ungerechtigkeit“) von Paulus nur in bezug auf die Glaubenslehren gemeint seien. Es hindert aber nichts, abzunehmen, daß er es auf beides (sowohl auf die Glaubenslehren wie auch auf das sittliche Verhalten) bezieht. Was aber das heißt: „welche die (christliche) Wahrheit durch Ungerechtigkeit gefangen halten“, ersieh aus dem, was folgt:

      * V. 19: „Weil das Erkennbare an Gott unter ihnen offenkundig geworden ist; denn Gott hat es ihnen ja kundgemacht.“ *

       2.

      Aber sie haben die Gott gebührende Ehre hölzernen und steinernen Götzen erwiesen. Wenn einem die Schätze des Königs anvertraut worden wären mit dem Auftrage, sie zu des Königs Ehre zu verwenden, er aber verschleuderte sie an Diebe und Dirnen und Gaukler und schaffte ihnen mit dem Gelde des Königs ein glänzendes Leben, wie würde ein solcher, als der schwersten Majestätsbeleidigung schuldig, bestraft werden! Ebenso haben auch die Heiden, welche die Kenntnis von Gott und seiner Herrlichkeit empfangen hatten, dadurch die Wahrheit gleichsam „gefangen gehalten im Banne der Ungerechtigkeit“, daß sie die Gott gebührende Verherrlichung Götzenbildern zuteil werden ließen und haben so gegen die Kenntnis von Gott, soviel an ihnen lag, eine Ungerechtigkeit begangen, da sie dieselbe nicht zu dem gehörigen Zwecke verwendeten. Ist euch nun das Gesagte klar geworden oder soll ich es noch klarer wiederholen? Es wird wohl notwendig sein, es zu wiederholen. Was ist also der Sinn des Paulus-Wortes? Gott hat den Menschen von Haus aus die Kenntnis von sich mitgegeben; aber die Heiden haben diese Gotteserkenntnis an hölzerne und steinerne Figuren weggeworfen und so gegen die Wahrheit eine Ungerechtigkeit begangen, allerdings nur soweit dies in ihrer Macht lag; denn die Wahrheit über Gott bleibt ja trotz alledem unverändert bestehen und behält ihre Ehre unverrückt. Woher weißt du aber, lieber Paulus, daß Gott den Heiden diese Kenntnis von sich von Hause aus mitgegeben hat? „Weil“, sagt er, „das Erkennbare an ihm offenkundig geworden ist.“ Aber das ist ja doch nur eine Behauptung, kein Beweis. Beweis mir doch und zeig mir es, daß die Gotteserkenntnis offen vor ihnen lag und daß sie freiwillig davon abirrten! Woher wäre sie ihnen denn offenkundig? Hatte sich Gott ihnen etwa kundgetan durch eine Stimme von oben? Nein; aber er hat etwas getan, was mehr als eine solche Stimme auf sie einwirken konnte: er hat ihnen die ganze Schöpfung vor Augen gestellt, so daß der Gelehrte wie der Ungelehrte, der Skythe und der Barbar, durch die Betrachtung ihrer Schönheit belehrt, zu Gott emporsteigen kann. Deshalb sagt der Apostel:

       V. 20: „Denn das Unsichtbare an ihm ist seit Welterschaffung an denen, die sich darüber Gedanken machen, sichtbar geworden.“

      So hatte ja auch der Prophet gesagt: „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes“ 63. Was werden darum die Heiden an jenem Tage des Gerichtes sagen können? Wir haben dich nicht erkannt? — So habt ihr denn nicht den Ruf des Himmels vernommen, den er einem entgegenschickt, wenn man ihn nur anschaut? Mußte euch nicht die Ordnung des Alls lauter als Drommetenschall in die Ohren tönen? Habt ihr nicht in einemfort die unverrückbaren Gesetze vor euch gesehen, nach denen sich der Wechsel von Tag und Nacht vollzieht? Nicht die feste und unverrückbare Ordnung von Winter und Frühling und der andern Jahreszeiten? Nicht die Regelmäßigkeit in der Bewegung des Meeres, bei all seinem Rauschen und Wogen? Nicht die schöne Ordnung im Weltall, das durch seine Schönheit und Größe den Schöpfer kundtut? Das alles und viel mehr noch faßt Paulus zusammen, wenn er spricht: „Denn das Unsichtbare an ihm ist seit Welterschaffung denen, die sich darüber Gedanken machen, sichtbar geworden: seine ewige Majestät und Gottheit, so daß sie keine Entschuldigung haben.“ Das letztere war ja wohl freilich nicht der Zweck, warum Gott die Welt erschuf, wenn er auch tatsächlich erreicht worden ist. Nicht um den Heiden die Entschuldigung abzuschneiden, hat er eine solche Predigt (wie sie die sichtbare Schöpfung hält) veranlaßt, sondern damit sie zu seiner Erkenntnis gelangen sollten. Sind sie trotzdem zu dieser Erkenntnis nicht gelangt, so haben sie sich selbst jede Entschuldigung abgeschnitten.

      Hierauf legt Paulus dar, wieso sie sich jede Entschuldigung abgeschnitten haben. * V. 21: „Weil sie, obwohl sie Gott erkannten, ihm doch nicht als Gott Ehre erwiesen.“ *

      Das ist das eine ihrer schweren Verschulden; das andere, das auf das erste folgt, ist, daß sie Götzenbilder anbeteten. Es ist dies dieselbe Anklage, wie sie Jeremias erhebt, wenn er spricht: „Zwei üble Dinge hat dieses Volk getan: mich haben sie verlassen, die Quelle lebendigen Wassers, und sich löcherige Zisternen gegraben“ 64. Als ein Zeichen davon, daß sie Gott zwar erkannten, aber von dieser Erkenntnis einen ungehörigen Gebrauch machten, führt dann der Apostel an, daß sie eine Mehrheit von Göttern anerkannten. Er fährt darum fort: „Obwohl sie Gott erkannten, haben sie ihm doch nicht als Gott Ehre erwiesen.“ Er gibt auch den Grund an, warum sie in diese Torheit verfielen. Und welcher ist es? Sie kehrten durch ihr Pochen auf die Vernunft in allem das Unterste zu oberst. Er spricht dies aber nicht so aus, sondern gebraucht noch einen viel schlagenderen Ausdruck. Er sagt:

       „Sie verfielen auf Ungereimtheiten bei ihren Verhandlungen für und wider, und ihr unverständiges Herz wurde mit Finsternis geschlagen.“

      — Wenn es jemand unternimmt, in mondloser Nacht einen unbekannten Weg zu gehen oder auf dem Meere zu fahren, so gelangt er nicht nur nicht ans Ziel, sondern er findet bald seinen Untergang. Ebenso haben auch die Heiden kläglichen Schiffbruch erlitten, als sie es unternahmen, den Weg zum Himmel zu gehen, dabei aber das Licht wegwarfen und sich dafür der Finsternis ihrer Vernunft anvertrauten. Sie suchten in Körpern den Körperlosen und in Gestalten den Gestaltlosen. Nebstdem führt der Apostel aber auch noch einen andern Grund ihrer Verirrung an, indem er sagt:

       V.22: „Sie nannten sich Weise und wurden zu Narren.“

      Da sie sich viel von sich einbildeten, hielten sie es unter ihrer Würde, den Weg zu gehen, den ihnen Gott zu gehen befohlen hatte, und versanken dabei in törichte Vernünfteleien. Im folgenden führt der Apostel diesen Untergang im Meeressturm näher aus und zeigt zugleich, wie kläglich und unentschuldbar derselbe sei, indem er sagt:

       V.23: „Und sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit der Nachbildung eines vergänglichen Menschen, von Vögeln, Vierfüßlern und Kriechtieren.“

       3.

      Der erste Vorwurf gegen die Heiden ist, daß sie Gott nicht fanden; der zweite, daß sie gute und offenkundige Gelegenheiten dazu hatten; der dritte, daß sie sich für Weise ausgaben; der vierte, daß sie Gott nicht nur nicht gefunden hatten, sondern daß sie die ihm gebührende Verehrung auf Dämonen und hölzerne und steinerne Götzenbilder übertrugen. Auch im Korintherbriefe demütigt Paulus den Stolz der Heiden, aber nicht in der gleichen Weise wie hier. Dort gibt er ihnen gewissermaßen einen Hieb mit dem Kreuze, indem er spricht: „Etwas Törichtes bei Gott ist immer noch weiser als die Menschen“ 65. Hier aber zieht er, ohne einen Vergleich anzustellen, ihre Weisheit geradezu ins Lächerliche, indem er darauf hinweist, daß sie Torheit sei und nur prahlerischer Schein. Damit du ferner siehst, daß sie die Gotteserkenntnis besaßen, dieselbe aber auf solche Weise preisgaben, sagt er: „Sie vertauschten.“ Wer etwas vertauscht, der gibt etwas hin, was er hat. Sie wollten nämlich etwas mehr finden und hielten sich darum nicht innerhalb der gegebenen Grenzen und schritten