Septemberrennen. Isolde Kakoschky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isolde Kakoschky
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783967525489
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      Entspannt lenkte Carola ihren Passat durch das Zentrum des Mansfelder Landes. Gleich drei große Abraumhalden des Kupferschieferbergbaus türmten sich abseits der Straße weithin sichtbar auf. Obwohl sie hier geboren und aufgewachsen war, faszinierte sie diese herbe und doch schöne Landschaft, die der Bergbau geschaffen hatte, immer wieder. Sie war einmal in Frankreich gewesen und sah dort ähnliche Halden, da hatte sie sich gleich wie zuhause gefühlt. Für sie gab es inzwischen nicht mehr eine bestimmte Heimatstadt. Schon des Vaters wegen pendelte sie oft, wie früher, zwischen der Lutherstadt und der Kupferstadt hin und her. Ihr Vater hatte zwar bis zu dem Tag, als er einen Herzinfarkt erlitt und daran starb, selbständig in seinem Haus gelebt, doch sie hatte regelmäßig nach ihm gesehen. Und ihrer Region blieb sie sowieso treu. Nie hatte sie sich vorstellen können, von hier weg zu gehen. Wie fassungslos war sie damals gewesen, als sie diesen Anruf von ihrer Schwägerin erhielt, dass Christian mit Sack und Pack auf und davon war. Erst ein halbes Jahr später hatte er sich endlich bei ihr gemeldet. Sie hatte nicht einmal gewagt, ihrem Vater davon zu berichten, als sie end-

      lich etwas von ihrem Bruder hörte. Für ihn war sein Sohn sprichwörtlich gestorben. Und selbst dann, als auch er wusste, wo sich Christian aufhielt, lehnte er jeden Kontakt ab. Wie gut, dass er sich über den Tod hinaus nicht mehr dagegen wehren konnte. Nun würden Vater und Sohn wenigstens am Grab wieder vereint sein.

      »Ja, so ist es gut. So machen wir das«, stimmte Carola dem Bestatter in seinen Vorschlägen zu. Auch im Gespräch waren ihre Gedanken immer wieder abgeschweift, doch ihr Gegenüber schien es nicht zu bemerken oder es als normal anzusehen. In der vorigen Woche hatte er sie im Haus des Vaters aufgesucht, wo nahezu alle Formalitäten gleich erledigt werden konnten. Die wichtigsten Dinge für die Einäscherung und die Beisetzung hatte sie aus einem Katalog ausgewählt und sich für die Urne und die Musik jetzt vor Ort entschieden. Ihr Vater stammte aus einer alten Bergmannsfamilie und hatte noch einige Jahre bis zur Schließung des Reviers unter Tage gearbeitet. Darauf stimmte sie nun auch die Urne ab, verziert mit Schlägel und Eisen.

      In den Geschäftsräumen hatte sich Carola noch beherrscht gezeigt, doch als sie jetzt in den strahlend hellen, warmen Sommertag hinaustrat, liefen ihr die Tränen über die Wangen. Für ihren Vater war es der letzte Sommer gewesen, unwiederbringlich vorbei und vorüber. Sie wischte sich mit dem Taschentuch

      über die Augen, ehe sie das Auto wieder startete. Dann fuhr sie zum Friedhof. Dort hatte der Vater nach dem Tod seiner Frau ein Grab gekauft und wohlweislich auch beim Ende der Mindestlaufzeit den Vertrag verlängert. Nun konnte er neben seiner Gattin beigesetzt werden.

      Im Schatten eines großen Baumes ließ sich Carola auf einer Bank nieder. Sicherlich war sie kein Kind mehr, doch jetzt, in diesem Moment, wurde ihr bewusst, dass sie nun keine Eltern mehr hatte. Und auch Verwandtschaft gab es nicht viel. Der einzige Bruder des Vaters starb als ganz junger Soldat in den letzten Kriegstagen. Carola hatte immer bedauert, keinen Cousin und keine Cousine zu haben, da auch die Mutter ohne Geschwister aufgewachsen war. Sie selbst hätte gerne mehrere Kinder gehabt, doch nach der Tragödie um Uwe, ihren kleinen Sohn, der nur zwei Monate alt wurde, war sie froh, wenigstens ihre Uta zu haben.

      Als in der Tasche ihr Handy vibrierte, sah sie sich erst vorsichtig um, ob jemand in der Nähe war, ehe sie mit leisen Worten das Gespräch annahm.

      »Hallo Uta, meine Süße! Wie geht es dir?«

      »Hallo Mama, das wollte ich dich fragen!«

      »Mach dir keine Sorgen«, beruhigte sie ihre Tochter.

      »Ich war gerade nochmal bei Herrn Ehrlich. Jetzt ist alles geklärt, was für die Beisetzung wichtig ist. Nun muss ich nur noch einen Tisch für die Trauerfeier

      besorgen. Aber ich habe noch gar nicht gezählt, wie viele denn kommen. Da werde ich nachher noch mal mit deinem Onkel telefonieren. Seine Frau wird auf jeden Fall mitkommen, aber ob sie vielleicht Ines begleitet oder Victoria, das weiß ich gar nicht.«

      »Also, mich darfst du dann mit zwei Personen einplanen.«

      Uta hatte seit ein paar Monaten wieder einen Freund, nachdem ihre vorherige Liebe in die Brüche gegangen war.

      »Oh, das ist aber schön, dass Jens mitkommt!« Carola war wirklich erfreut über diese Entwicklung. Schließlich wollte sie irgendwann einmal Oma werden.

      »Ja, als ich ihm von Opas Tod erzählt habe, hat er sofort gesagt, dass er mich nicht allein zur Beerdigung gehen lässt. Mama, ich glaube, es ist diesmal der Richtige!«

      Carola hörte das Glück in der Stimme ihrer Tochter, was dem Anlass des Gesprächs ein wenig die Trauer nahm.

      »Ich wünsche es dir so sehr, mein Liebling!« Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, diesmal vor freudiger Rührung.

      Nachdem sich Mutter und Tochter verabschiedet hatten, schlenderte Carola zurück zum Ausgang. Inzwischen war die Uhr ganz schön weit vorgerückt. Wenn sie vor der Arbeit noch etwas essen wollte, musste sie sich beeilen. Am Ortseingang in Eisleben bremste sie und ihr ging Blick unwillkürlich nach rechts, zu einem anderen Friedhof. Obwohl seit dem Tod von Uwe schon 35 Jahre vergangen waren, konnte sie sich nicht entschließen, das kleine Kindergrab ihres ersten Kindes beseitigen zu lassen. Es zog sie noch oft hierher. Heute allerdings saß ihr die Zeit im Nacken und sie gab wieder Gas.

      

       6. Kapitel

      

      

      »Jetzt kommt der Sommer aber richtig in Gang!« Christian wischte sich mit einer für ihn typischen Bewegung über die Stirn. »Ich gehe erst mal unter die Dusche.«

      Monika hatte sich ebenfalls regelrecht erschrocken, als sie zum Feierabend aus dem klimatisierten Büro nach draußen trat. Inzwischen trug sie nur noch ein dünnes Top und einen bunten Rock und fühlte sich eigentlich recht wohl. Ihr gefiel der Sommer viel besser als der Winter. Sie hatte bereits ein paar leichte Salate angerichtet, aber auch Fleisch und Würstchen gekauft. Sie hoffte, dass Christian mit ihr einer Meinung war und sich für einen Grillabend begeistern konnte. Nicht, dass Monika ein besonders großer Grillfreund gewesen wäre, aber an solch einem herrlichen Sommerabend musste man sich nicht an den Herd stellen und drin sitzen. Sie liebte ihr kleines Häuschen, am Ortsrand im Grünen gelegen. Im angrenzenden Garten baute sie etwas Obst und Gemüse an, und frische Kräuter waren auch immer verfügbar. Manchmal hatte sie schon scherzhaft zu ihrem Mann gesagt, dass sie dadurch nicht verhungern müssten, auch wenn er über ein oder zwei Monate kein Geld verdiente. Doch ganz so schlimm war es noch nie gekommen, die Bauern in der Gegend und auch ein Fuhrunternehmer schätzten sein fachliches Können und ließen ihn manche Durststrecke überstehen.

      Förmlich ohne Worte hatte Christian den Plan seiner Frau durchschaut, als er die Salate stehen sah. Er lief direkt auf die Terrasse und bereitete den Grill vor. Jetzt konnte er durchaus etwas Essbares vertragen.

      »Morgen werde ich das Auto bekleben«, erzählte er, während er das erste Steak auf den Grill legte. »Da ist es gar nicht so schlecht, wenn es warm ist. Besser warm als zu kalt.«

      »Ist die Lieferung angekommen?« Monika wusste, dass er die Logos extra in einer reprografischen Werkstatt bestellt hatte. Manchmal dauerte das etwas länger.

      Mit einem kurzen Nicken beantwortet Christian die Frage und wendete das Fleisch. Inzwischen strömte ein herrlicher Duft durch den Garten. »Wenn das die Nachbarn riechen, wird es gleich klingeln«, scherzte er.

      Monika holte ein Bier und ein Radler aus dem Kühlschrank und dann stand dem gemütlichen, rustikalen Abendessen nichts mehr im Weg.

      Genüsslich kauend dachte Christian an früher. Da hatten sie mit den Eltern auch oft gegrillt. Früher, das war inzwischen über 40 Jahre her. Selbst wenn es sicherlich in der DDR manchen Mangel gegeben hatte, hungern musste keiner. Und mit etwas Organisationstalent kam man auch an gute Sachen ran. Er hatte jedenfalls nichts vermisst und behielt seine Kindheit und Jugend mit Carola in bester Erinnerung. Dass er es seinem Vater nie wirklich recht machen konnte, war auf einem anderen Blatt


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