Septemberrennen. Isolde Kakoschky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isolde Kakoschky
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783967525489
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zu kommen. Und lange Telefonate waren nun gar nicht sein Ding. Vom anderen Ende kam Schweigen. Er hörte das leise Atmen seiner Tochter und fragte trotzdem: »Ines, bist du noch dran?«

      »Es scheint dir wichtig zu sein«, antwortete Ines.

      »Gut, heute Nachmittag um drei in dem Café gegenüber von der Kanzlei.«

      »Danke! Dann bis nachher!«

      Christian sah auf das Handy bis sich das Display verdunkelte und erhob sich dann ruckartig vom Stuhl. Er streifte die Träger seiner Latzhose, die er in der Werkstatt meistens trug, herunter und lief ins Schlafzimmer, um sich eine Jeans und ein T-Shirt aus dem Schrank zu nehmen. Fertig angezogen griff er die Autoschlüssel und schloss hinter sich die Tür ab.

      Zuerst wollte er noch einmal in die Werkstatt fahren, um nach seinem neuesten Baby zu sehen. Jedes Fahrzeug, das durch seine Hände ging, war wie ein Kind für ihn. Vielleicht baute er zu diesen Blechkarossen eine engere Bindung auf, als je zu seiner Tochter. Hätte er sich sonst so aus dem Staub machen können?

      Während er noch darüber nachdachte, war er schon bei seiner Werkstatt angekommen. Normalerweise legte er den kurzen Weg stets zu Fuß zurück, doch heute wollte er gleich weiterfahren und es lag in der Richtung zur Autobahn.

      Zufrieden ließ Christian den Blick über das Rennauto gleiten, dem man nun seine 40 Jahre nicht mehr ansah. Zwar fehlte noch die Werbung und der Namenszug auf der Karosse, auch die alte Startnummer sollte wieder darauf ihren Platz finden, doch das war Kleinkram gegen die Arbeit, die hinter ihm lag. Etwas wehmütig schweiften seine Gedanken ab zum ersten Rennwagen, den er wieder aufgebaut hatte. Auch wenn sich dieses Fahrzeug längst nicht mehr in seinem Besitz befand, hing doch noch immer sein Herz daran. Nur durch einen dummen Zufall hatte er es überhaupt gefunden. Sonst würden Teile der Karosserie möglichweise heute noch als Abdeckung eines Holzstapels in einem Mecklenburgischen Dorf dienen. Stattdessen hatte er es zu neuem Leben erweckt und damit wieder Rennen gefahren. In der Vitrine standen seine errungenen Pokale dicht an dicht. Seine Schwester hatte ihm zugejubelt an

      den Serpentinen von Naumburg und auf der damals gerade neu erbauten Rennstrecke in Oschersleben, die binnen eines Jahres in der Börde, gar nicht weit von seiner Heimat entfernt, entstanden war. Auf diese Art war er immer wieder in den Osten gereist, schließlich fanden die Fahrer der historischen Rennwagen hier ein begeistertes Publikum, das sich an die Glanzzeiten dieser Rennwagen erinnerte. Seinem Heimatort war er oft sehr nahe gekommen, doch kaum einmal setzte er den Fuß in die Stadt seiner Kindheit. Wenn überhaupt, dann nur für einen Besuch am Grab seiner Mutter. Dabei war er sogar noch im Krankenhaus der Kreisstadt zur Welt gekommen, es war also auch sein Geburtsort. Wer bald danach auf die Idee gekommen war, die Entbindungsstation in den letzten Zipfel des Kreises zu legen, wusste er nicht. Vor allem im Winter erwies es sich als problematisch. Seine Schwester wäre beinahe eines jener Kinder geworden, die irgendwo unterwegs das Licht des Krankenwagens erblickten.

      Christian riss sich von seinen Gedanken los. Schließlich zeigte die Uhr inzwischen Mittag an und er hatte noch ein Stück Fahrt vor sich. Noch einmal tippte er nun eine Nachricht für Monika ins Handy: »Es kann sein, dass ich heute später komme. Fahre nach München. ILD«

      

       3. Kapitel

      

      

      Schwungvoll trat Christian das Gaspedal durch und fuhr auf die Autobahn auf, die ihn von der Donau an die Isar bringen sollte. Mit der Mittagszeit hatte er einen guten Zeitraum erwischt. Der Berufsverkehr vom Morgen war vorüber und der vom Nachmittag kam erst. Auf der Heimfahrt würde es mit Sicherheit anders aussehen. Doch jetzt war die Bahn frei, er konnte Gas geben und trotzdem seinen Gedanken weiter Raum geben. Nur selten hatte es sich ergeben, dass er seine Tochter sah, obwohl sie seit acht Jahren in München wohnte und als Rechtsanwaltsfachangestellte in einer großen Kanzlei arbeitete. Noch immer stand zwischen ihnen, was er vor mehr als zwanzig Jahren getan hatte. Immerhin, Ines sprach mit ihm und hatte in das Treffen eingewilligt. Und es war schön, sein Kind hier in seiner Nähe zu wissen. Was waren schon die zwei Autostunden? Der Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er auf jeden Fall pünktlich sein würde, selbst wenn er mit Stau auf dem Weg durch die Stadt rechnen musste. Er setzte den Blinker und fuhr von der Autobahn ab.

      Trotz der, wie immer, hohen Verkehrsdichte war Christian viel zu früh an dem kleinen Café angekommen. Zumindest blieb ihm nun noch Zeit, um etwas zu essen. Er hatte beinahe den Klops, den sie hierzulande seltsamerweise »Fleischpflanzerl« nannten, verdrückt, als seine Tochter zur Tür hereinkam.

      Mit unbewegtem Gesicht, das keine Regung erkennen ließ, ging sie auf Christian zu. »Hallo Chris!«

      Er schluckte den Protest mit dem Klops herunter.

      »Hallo Ines! Magst du auch einen Kaffee?«

      Auf ihr Nicken winkte er der Serviererin und wand sich dann wieder dem restlichen Essen zu, froh, noch nicht reden zu müssen.

      »Du bist wohl schon länger hier?«, fragte Ines mit Blick auf den nun leeren Teller, den die junge Frau jetzt abräumte und Ines ihren Kaffee kredenzte.

      »Eine halbe Stunde. Ich wollte dich nicht warten lassen und man weiß ja nie, wie es auf den Straßen aussieht.« Er holte tief Luft. Wie er seine Tochter kannte, ließ die sich nicht mehr lange mit Konversation hinhalten.

      Und so, wie er es sich gedacht hatte, drängte sie nun, den Grund ihres Treffens zu erfahren. »Was ist denn jetzt so Wichtiges?«

      »Dein Opa ist gestorben.« Christian war einfach nicht wortgewandt genug, um lange um den heißen Brei zu reden. »Ich wollte dich fragen, ob du zur Beerdigung mitfahren möchtest.«

      Ines sah ihn irritiert an. »Und das konntest du mich nicht am Telefon fragen?«

      »Ich wollte nicht«, bekannte er. »Mir hat es gestern deine Tante Carola am Telefon gesagt. Auf diese Art und Weise solltest du es nicht erfahren. Ich wollte nicht, dass du dich so fühlst, wie ich mich gestern, so überrumpelt.«

      Spöttisch verzog Ines die Mundwinkel und ähnelte damit auf frappierende Art und Weise ihrer Mutter.

      »Also ehrlich, es gab Zeiten, da warst du nicht so feinfühlig! Da hat dir ein Zettel auf dem Stubentisch genügt, um Mama und mir kundzutun, dass du dich auf Nimmerwiedersehen verdrückt hast! Kannst du dir vorstellen, wie ich mich damals gefühlt habe? Ich war ein kleines, neunjähriges Mädchen und konnte mir gar nicht vorstellen, dass der Papa nicht mehr kommt.« Sie schluckte.

      Betroffen rührte Christian in seiner Kaffeetasse. Er wusste es ja selbst, doch er hatte zu der Zeit keine andere Möglichkeit gesehen. Jetzt trafen ihn die Vorwürfe aus dem Mund von Ines hart.

      »Mama und ich waren ja froh, dass der Opa uns geholfen hat«, fuhr sie fort. »Er war genauso traurig wie wir. Und er war genauso wütend. So ungefähr ein Jahr haben wir ihn noch regelmäßig besucht. Ich weiß nicht, warum dann der Kontakt abgebrochen ist, ich hab Mama nie gefragt. Auch Tante Carola habe ich seit dem nicht mehr gesehen. Aber deshalb jetzt zur Beerdigung fahren?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde eine Karte schreiben. Jetzt habe ich ja keine

      hier. Aber ich kann sie dann zu dir schicken. Oder an Tante Carola? Wohnt sie noch in Eisleben?«

      Christian nickte. »Ja, immer noch in der alten Wohnung in der Bergmannsallee. Schick ihr die Karte. Carola übernimmt ja sowieso die ganzen Formalitäten.«

      »Gut«, erhob sich Ines, »dann will ich mal wieder. Mein Chef wird froh sein, wenn ich nicht zu lange wegbleibe.« Sie reichte ihrem Vater die Hand. An der Tür drehte sie sich noch einmal kurz um. »Komm gut heim!«

      Nachdem Christian die Rechnung bezahlt hatte, verließ auch er das Lokal. Obwohl die ganze Unterhaltung keine halbe Stunde gedauert hatte und er auch ein wenig betrübt über den Ausgang war, fand er es richtig, hergefahren zu sein. Er wusste sehr wohl, was er seiner Frau und seiner Tochter einst angetan hatte. Seit Jahren versuchte er, langsam wieder Vertrauen aufzubauen, wenigstens zu Ines. Er wollte nicht, dass es ihr mit


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