Septemberrennen. Isolde Kakoschky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isolde Kakoschky
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783967525489
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Christian um die Ecke, wo er glücklicherweise ganz in der Nähe einen Parkplatz ergattert hatte. Nun würde er doch nicht spät zu Hause ankommen. Der Blick zur Uhr zeigte ihm, dass Monika noch im Büro war und da er sie dort nur im Notfall anrief, tippte er erneut einen Nachricht in sein Smartphone: »Bin zum Abendessen wieder daheim. Bis nachher!« Dann startete er den Motor.

      Der einsetzende Berufsverkehr bremste das Vorankommen, und auch auf der Autobahn konnte er den BMW nur gemächlich dahin rollen lassen. Bei der Wahl seines Autos hatte er sich bewusst für die Bayerische Marke entschieden. Obwohl der Wagen schon einige Jährchen auf dem Buckel hatte, tat er treu seinen Dienst. Monika hatte sich inzwischen ein neues kleines, rotes Auto zugelegt. Der Mini passte einfach zu ihr. Es erinnerte ihn immer an ihre erste Begegnung. Schon mehrfach hatten sie überlegt, ob zwei Autos eigentlich sinnvoll waren, doch gerade an Tagen wie heute blieben sie beide unabhängig und konnten auch mal spontan reagieren. Zwar stand in der Garage neben der Werkstatt noch ein zum Camper umgebauter Kleinbus, doch der diente eigentlich nur dazu, mit dem Hänger die fertigen Autos zum Käufer zu transportieren. Eine seiner längsten Strecken hatte ihn bis nach Tallinn geführt. Dort wurde nun sein restaurierter »Estonia«-Rennwagen in einem Estnischen Museum ausgestellt.

      Ja, er war inzwischen erfolgreich auf seinem Gebiet. Einem guten Dutzend historischer Fahrzeuge hatte er bereits zu einem zweiten Leben verholfen. Vielleicht wäre der Vater stolz auf ihn gewesen. Es hatte nicht sein sollen, dass er das noch erlebte.

      Über diesen Gedanken erreichte er die Donauniederung wieder. Die Ereignisse hatten dazu geführt, dass er vor zwei Jahrzehnten zufällig hier landete. Obwohl die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten da schon fünf Jahre offen war, ähnelte sein Neuanfang doch einer Flucht. Akribisch hatte er alles vorbereitet, aber niemandem etwas von seinen Plänen erzählt. Das Plattenbaukombinat hatte schon längst die Tore geschlossen. Dadurch bekam er die Chance, nun doch als Schlosser zu arbeiten, zwar ungelernt und schlecht bezahlt, aber endlich in seinem Wunschberuf. Doch auch mit dieser Firma ging es bergab. Und leider schien es in seiner Ehe mit Beate nicht anders zu sein. Inzwischen waren die glücklichen Jahre nach der Geburt von Ines dem täglichen Einerlei gewichen und den Kämpfen, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren. Nahezu jeder Tag endete statt in liebevoller Umarmung mit Vorwürfen, die sie in einer nicht enden wollenden Litanei herunter ratterte. Sie wünschte sich so viel und er konnte ihr so wenig bieten. Mit der Zeit reifte der Entschluss in ihm, weg zu gehen. Weg von der schlechten wirtschaftlichen Lage, weg von seiner Frau, weg auch von seiner Tochter, weg von seiner Familie. Arbeit und Wohnung in Bayern fand er durch eine Chiffre-Anzeige. Am Morgen hatte er seine Frau ins Büro und Ines zur Schule gebracht. Dann musste alles ganz schnell gehen. Wenn er jetzt nicht fuhr, dann nie, soviel wusste er. Bei einem nochmaligen Zusammentreffen mit Beate hätte er auf jeden Fall kapituliert. Seit zwei Stunden klangen ihm Ines´ Vorwürfe im Ohr. Dass er seinem kleinen Mädchen das angetan hatte, war das Schlimmste an der Geschichte. Er hoffte sehr, dass sie ihm eines Tages wirklich verzeihen konnte.

      Christian bog von der Hauptstraße ab und hielt eine Minute später vor seinem Haus an. Als er die Tür öffnete, hörte er seine Frau in der Küche hantieren. Bevor er um die Ecke in Richtung Bad verschwand, steckte er kurz den Kopf durch die geöffnete Küchentür. »Bin wieder da!«

      Ein tiefes Aufatmen ging durch Monikas Körper. Nach langer Zeit hatte sie diese Angst wieder einmal gespürt. Schon kurz nach ihrem Kennenlernen hatte ihr Christian von seinem Ausstieg erzählt. Er war nicht stolz darauf gewesen, wie er seine Familie verlassen und über Monate im Ungewissen gelassen hatte, doch er wollte ihr von Anfang an reinen Wein einschenken und kein Geheimnis zwischen sich stehen haben. Was Christian vielleicht gut getan hatte, bereitete Monika Sorgen. Jedes Mal, wenn sie nicht wusste, wo Christian hingefahren war oder er sich nur verspätete, setzte bei ihr eine Panik ein. Das wurde erst besser, als sie sich zwei Handys zulegten und nun immer füreinander erreichbar waren. Auch heute hatte er sie informiert, dass er nach München gefahren war. Und sie war ihm dankbar für seine Nachricht noch zwischendurch, doch ihre Anspannung legte sich erst, als das vertraute Motorengeräusch vor dem Haus zu hören war und sein dunkelblonder Strubbelkopf im Türrahmen erschien.

      Ist doch Quatsch, schalt sie sich zum wiederholten Mal. Selbst wenn sich Christian von ihr trennen wollte, hier hielt ihn doch inzwischen viel mehr als damals in der Plattenbauwohnung. Er würde nie einfach seine Werkstatt verlassen. Daran hing sein Herz.

      Monika nahm die Teller und Bestecks aus dem Schrank und deckte den Tisch in der großen, mit rustikalen Möbeln eingerichteten Wohnküche, als sich ihr Mann wieder zu ihr gesellte. Sie wünschten sich guten Appetit und aßen ansonsten schweigend. Monika kannte ihren Mann gut genug, um ihn nicht sofort mit Fragen zu bedrängen. Erst als sie die Küche aufgeräumt hatten und im Wohnzimmer auf dem gemütlichen Sofa saßen, sah Monika Christian fragend an.

      »Du warst bei Ines?« Auf sein Nicken fuhr sie fort:

      »Wie hat sie die Nachricht aufgenommen?«

      »Eher ruhig. Sie hat ihren Opa so lange nicht gesehen, dass er ihr jetzt wohl nicht mehr fehlen wird als vorher. Jedenfalls hat sie kein Interesse daran, mit zur Beisetzung zu fahren. Aber es war gut, wenigstens von Angesicht zu Angesicht mit ihr zu sprechen.« Mit einem gedankenvollen Blick sah er zu seiner Frau und griff zu seinem Bierglas.

      »Ich bin vorhin auf dem Rückweg bei Victoria gewesen«, ließ sich Monika nun vernehmen. »Wie ich es schon dachte, sie hat auch keine Ambitionen, mit zur Beerdigung zu fahren. Aber weißt du was, egal, was jetzt der Anlass für diese Reise ist, ich freue mich drauf.«

      Zwar kannte sie ihre Schwägerin Carola und deren Mann Thomas inzwischen gut und mochte sie auch gerne, aber obwohl Deutschland seit gut 25 Jahren nicht mehr geteilt war, hatte sie noch wenig Ahnung vom Osten des Landes. Ein Besuch dort gefiel ihr schon. Nur, dass sie ihren Schwiegervater nicht mehr persönlich kennenlernen würde, bedrückte sie ein wenig.

      Christian lächelte. Ja, irgendwie wich auch bei ihm die Trauer einer gewissen Freude auf das Wiedersehen mit seiner Schwester und seiner Heimat. So sehr er sich hier in der Oberpfalz auch eingelebt hatte und sich wohlfühlte, spätestens seit er gestern Carolas Stimme gehört hatte, sehnte er sich nach seinem Mansfelder Land.

      »Klappt das bei dir mit dem Urlaub?«, wollte er nun von Monika wissen.

      »Na sicher doch«, bestätigte sie sofort. »Bei einem Todesfall muss es gehen.« Im Grunde war sie froh gewesen, durch die Feuerbestattung und die erst später stattfindende Beisetzung noch so früh Bescheid sagen zu können. Das erleichterte die Planung in der Firma. Bei einer Erdbestattung hätten sie schon in den nächsten Tagen aufbrechen müssen. Nun hatten sie noch fast zwei Wochen Zeit. »Und der Termin liegt ja gut. Am nächsten Wochenende habe ich doch Klassentreffen, da hätte ich drauf verzichten müssen. So passt alles.«

      Christian nickte. Ein Klassentreffen hätte er im vorigen Jahr auch gehabt. Doch er konnte sich nicht entschließen, hinzufahren. Nur ein einziges Mal seit dem Schulabschluss hatte er an solch einem Treffen teilgenommen. Lang war´s her.

      Als Christian die Augen aufschlug wunderte er sich zuerst über die Stille. Doch als er neben sich seine Frau friedlich schlummern sah, fiel ihm ein, dass ja Samstag war. Seit er als sein eigener Herr arbeitete, hatten die Wochentage nur noch untergeordnete Bedeutung. Sein Zeitplan richtete sich eher nach den Terminen im Rennsportkalender. Oft verbrachte er auch am Wochenende Zeit in der Werkstatt. Er musste niemandem Rechenschaft ablegen, wann er kam oder ging und was er heute geschafft hatte, außer sich selbst. Und einmal im Jahr dem Finanzamt. Das Verständnis von Monika setzte er einfach voraus. Sein Blick streifte ihr Gesicht. So lange wie mit ihr war er noch mit keiner Frau zusammen geblieben. Sicherlich lag das auch daran, dass beide bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich hatten und mit weniger Erwartung,

      dafür umso mehr guten Willen in diese Beziehung gingen.

      Leise schlich er sich aus dem Schlafzimmer und zog sich Hose und T-Shirt über. Dann schwang er sich auf´s Fahrrad und radelte zum Bäcker. Die Sonne strahlte von einem fast wolkenlosen Himmel, es sah so aus, als wolle der Sommer noch einmal richtig Gas geben.

      Als er mit der Tüte voller Brötchen das Haus wieder betrat, wehte ihm der Duft von frischem Kaffee um die Nase. »Oh, du bist ja