Septemberrennen. Isolde Kakoschky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isolde Kakoschky
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783967525489
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etwas gehört hatte, vor allem von den »Abenteuern des Freiherrn von Münchhausen«. Die meisten der Marmorbüsten waren ihm aber unbekannt. Der Adel vergangener Jahrhunderte zählte nicht zu seinen Interessen. Dennoch stand er voller Ergriffenheit inmitten dieser Stein gewordenen Personen, denen etwas gemeinsam war, sie hatten deutsche Wurzeln.

      Viel länger, als es Monika erwartet hätte, verweilten sie in der Ruhmeshalle. Als sie wieder hinaustraten in den heißen Sommertag verschlug es ihnen fast den Atem. Die Temperatur musste inzwischen auf mindestens 30 Grad geklettert sein. Sie liefen in Richtung der großen Freitreppe, die hinab zur Donau führte und setzten sich auf die Stufen. Vor ihnen bot sich ein herrlicher Blick über die Donauniederung bis hin zum Bayerischen Wald.

      »Schade, dass es heute nicht ganz so klar ist«, bedauerte Monika. »Manchmal kann man sogar die Spitzen der Alpen erkennen.«

      »Trotzdem, das Bauwerk ist der Hammer.« Christian deutete zur Walhalla. »Und der Ausblick auch. Deine Idee war gar nicht schlecht. Aber jetzt könnte ich was zu essen vertragen und etwas trinken auch bei der Wärme.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und kraxelte die Stufen wieder hinauf, um im Schatten der Säulen auf Monika zu warten, die immer noch nachdenklich den Unterbau des Gebäudes betrachtete. Wie es wohl war, damals beim Bau der Walhalla?, fragte sie sich. Gab es wirklich Tote und lag hier noch immer eine wertvolle Schmuckkassette versteckt, wie sie gestern in ihrem Buch gelesen hatte? Mit Sicherheit barg das Gemäuer mehr als ein Geheimnis. Das Buch würde sie noch einmal lesen, jetzt, wo sie die örtlichen Gegebenheiten wieder genauer vor Augen hatte. Sie wandte sich nach oben und winkte ihrem wartenden Mann zu. Monika gab ihm recht, sie verspürte ebenfalls Hunger und Durst und das Kioskangebot war nicht das, was sie sich gerade wünschte. Gemeinsam schlenderten sie zurück zum Parkplatz.

      Obwohl das Auto im Schatten großer Bäume gestanden hatte, war es doch in der Hitze aufgeheizt worden. Selbst die Klimaanlage schaffte es nicht, den Innenraum abzukühlen. Schließlich öffneten sie die Seitenscheiben und ließen sich den Wind um die Nase wehen.

      »Wir sollten nicht direkt hier im Ansturm der Touristen eine Gaststätte suchen«, gab Monika zu bedenken, während sie Donaustauf durchquerten. »In einer halben Stunde können wir in Regenstauf sein. Lass uns doch zu Francesco gehen.«

      »Gute Idee!«, stimmte Christian sofort zu. So lange hielt er es gerade noch aus.

      Wenig später erreichten sie die am Sonntagnachmittag nur wenig befahrene Bundesstraße, was Christian veranlasste, über Gebühr aufs Gas zu treten.

      »Liebling, du bist aber nicht auf der Rennstrecke!«, wies ihn Monika mit einem kritischen Seitenblick zurecht.

      Er reduzierte die Geschwindigkeit ein wenig. »Ich wollte doch nur etwas schneller in der Pizzeria sein«, gab er sich reuig, um gleich darauf lachend wieder Gas zu geben. »Ich tue doch keinem was!«

      »Dann hätten wir die Autobahn nehmen müssen, wenn du schnell sein willst!«, wiedersprach Monika.

      »Ach Schatz, keine Panik, ich bin doch bei dir!« Resigniert ließ sich Monika an die Rücklehne sinken. Christian war eben verrückt nach Fahren. Und seit er selbst keine Rennen mehr fuhr, trat er ab und an mit dem Bleifuß auf´s Gas. Und sowieso kam das Ortsschild schon in Sicht.

      Kurz darauf bog Christian in die kleine Gasse am Markt ein, wo er das Auto direkt vor dem Ristorante abstellte.

      »Buon giorno!«, begrüßte Francesco die beiden, die sich trotz der Wärme einen Platz im Freien gesucht hatten. Noch war es relativ leer, doch das würde sich am Abend garantiert ändern. Sie waren nicht gerade Stammgäste des Lokals, doch der nette italienische Wirt hatte wohl ein gutes Personengedächtnis. »Ein Weißbier, eine Cola light?«

      »Bitte zwei Cola«, berichtigte Christian die Getränkebestellung. »Wenn ich schon zu schnell unterwegs bin, dann wenigstens nüchtern.« Er drückte Monikas Hand und lächelte sie an.

      Dann widmeten sie sich der Speisekarte. Als Francesco mit den Getränken erschien, gaben sie ihm ihre Essenwünsche mit auf den Weg. Während sich Monika für eine Pizza Calzone entschieden hatte, bestellte Christian ein Nudelgericht.

      Bäume und große Schirme spendeten angenehmen Schatten. Monika trank in großen Schlucken ihre gut gekühlte Cola und lehnte sich in den bequemen Korbsessel. Nur noch ein paar Stunden, dann ist der Sonntag schon wieder vorbei, dachte sie. Morgen kehrte erneut der Alltag ein und der ganz normale Wahnsinn im Büro. Doch ihr Gehalt half, auch in Monaten, wo Christian zwar jeden Tag arbeitete, aber nichts verkaufte, sicher über die Runden zu kommen.

      »Prego!« Francesco stellte die dampfenden Teller vor ihnen ab. »Buon appetito! Lasst es euch schmecken!« Das musste der Wirt nicht zweimal sagen. Mit wirklich gutem Appetit und einer inzwischen gehörigen

      Portion Hunger machten sie sich über die italienische Küche her.

      »Nun noch zwei Espressi!« Mit einem anerkennenden Blick räumte Francesco das leere Geschirr ab, während Christian und Monika nickten.

      »Ich glaube, ich brauche heute nichts mehr!« Obwohl es erst kurz nach 17 Uhr war, wusste Monika, dass für sie heute kein Abendbrot mehr infrage kam. Christian würde sich vielleicht noch ein Stück Wurst aus dem Kühlschrank holen, aber mehr musste nicht sein. Sie waren beide satt und zufrieden und schlossen mit ihrem Espresso einen schönen Sonntagsausflug ab.

      

       5. Kapitel

      

      

      Carola Strabeck stand am Fenster und blickte in die Weite. Von ihrer Wohnung im zweiten Stock konnte sie in der Ferne die aufgehende Sonne über dem Süßen See beobachten. Obwohl es noch sehr früh am Montagmorgen war und sie heute Mittagschicht hatte, war sie bereits auf den Beinen. Vor einer halben Stunde hatte ihr Mann Thomas das Haus verlassen. Er arbeitete seit Mitte der 90er Jahre im Westen Deutschlands auf Montage und blieb die ganze Woche über weg. Das Eisleber Kultduo »Elsterglanz« hatte es in einem ihrer Sketche einmal so dem Publikum erklärt: Westen – das ist da, wo ihr zum Arbeiten hinfahrt!

      Carola selbst hatte Glück gehabt. Einst hatte sie den Beruf einer Verkäuferin bei der Handelsorganisation der DDR gelernt. Während ihrer Lehre war sie täglich mit dem Bus von ihrem Wohnort nach Eisleben gefahren. Später war sie dann von Hettstedt in die Kreisstadt des damaligen Nachbarkreises umgezogen. Doch die Kreise waren längst Geschichte, ebenso wie ihre Arbeitsstelle. Im Kaufhaus oberhalb des Eisleber Marktes, im Volksmund Großer HO genannt, hatte sie bis kurz nach der Wende gearbeitet. Dann schloss das Kaufhaus seine Pforten und das Gebäude verkam immer mehr. Jedes Mal, wenn sie daran entlang lief,

      tat es ihr weh. Inzwischen war es nur noch ein Bürohaus, nachdem auch ein Schuhgeschäft und ein Computerladen dicht gemacht hatten.

      Doch die großen Supermarkt-Ketten standen damals in den Startlöchern. Carola fand bald wieder Arbeit, auch wenn der Job als Kassiererin nichts mehr mit Kunden bedienen und beraten zu tun hatte. Dennoch war sie froh, ihre Arbeit zu haben. Ihre Tochter Uta war damals zehn und ein selbständiges, vernünftiges Kind, sodass es keine Probleme mit den Arbeitszeiten im Schichtsystem bis 21.00 Uhr gab. Denn auf eine Oma konnten sie nicht zurückgreifen. Carolas Mutter war im Jahr vor der Wende überraschend an Krebs gestorben und die Eltern von Thomas lebten in Leipzig und waren damals selbst noch berufstätig, so wie auch Carolas Vater. Inzwischen waren Arbeitszeiten längst kein Problem mehr. Da sie die ganze Woche über ungebunden und allein war, übernahm sie gerne auch die Schichten, bei denen es Probleme mit den jungen Müttern und deren Kindern gab.

      Sie riss sich von dem Anblick des Sonnenaufganges los. Es gab noch viel zu erledigen bis zum Arbeitsbeginn. Schließlich sollte ihr Vater, oder was dann noch von ihm übrig war, in zehn Tagen beigesetzt werden. Und ihr Bruder Christian konnte ihr dabei wenig helfen, so weit entfernt, wie er wohnte. Heute wollte sie unbedingt noch einmal zum Bestatter fahren. Sie hätte auch einen aus Eisleben wählen können, dann wären die Wege kürzer gewesen. Doch sie hatte den Auftrag an Herrn Ehrlich gegeben, von dem sie wusste, dass er ein guter Bekannter


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