„Und was nützt es uns, wenn wir am Ende zwanzig Nummern oder mehr tracken, wissen wo die betreffenden Mobilfunkteilnehmer sich aufhalten und dann die große Auswahl haben, wer von denen Rinescu ist?”
„Wir verknüpfen das mit anderen Merkmalen und sortieren aus”, sagte ich. „Ich rufe unsere Kollegin Gansenbrink an, die soll sich mit Ihren Leuten kurzschließen. Ich denke, wir wissen genug über Rinescu, um eine vernünftige Auswahl treffen zu können.”
„Und wenn keine dieser Nummern ans Ziel führt?”, fragte Sörgelmeier.
Ich zuckte mit den Schultern. „Dann wird heute in den frühen Morgenstunden jemand geweckt, den wir nicht gemeint haben. Aber das Risiko müssen wir eingehen.”
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Als wir wieder im Hannoveraner Polizeipräsidium waren, herrschte dort hektische Betriebsamkeit. Das wichtigste Arbeitsutensil war Kaffee. Denn so manch einer der aus dem Bett geklingelten Innendienstler kämpfte sichtlich mit dem Wunsch, den verdienten Schlaf fortzusetzen.
Rudi und ich waren da nur geringfügig besser dran. Wir hatten schließlich noch gar nicht geschlafen. Im Moment hielt uns das Adrenalin wach, das ausgeschüttet wird, wenn man kurz vor dem Abschluss eines Falls steht oder die Chance hat, einen Verbrecher wie Rinescu doch noch dingfest zu machen.
Die Nummern wurden getrackt. Die Aufenthaltsorte der betreffenden Geräte waren über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Auch in der Umgebung von Hannover gab es welche. Es gab auch Nummern, die sich nicht zurückverfolgen ließen. Wir konnten nur hoffen, dass die von Rinescu nicht darunter war.
Die Orte wurden mit den bisher bekannten Vorlieben von Dorian Rinescu abgeglichen. Zum Beispiel war bekannt, dass er viel Zeit in seinem Garten verbracht hatte. Es gab mehrere Adressen, die unter diesem Aspekt in Frage kamen. Außerdem war nicht anzunehmen, dass er bereit war, trotz geänderter Identität, auf seinen Luxus zu verzichten. Man konnte also annehmen, dass er eine gehobene Wohnlage bevorzugte und nicht etwa einen Bungalow in der Vorstadt oder ein Apartment in einem Wohnblock.
Der Durchbruch kam allerdings durch den Abgleich mit den ausgelesen Verbindungsdaten.
Wir kannten zumindest den exakten Todeszeitpunkt von Reinhold Kahlmann, bei dessen Ermordung Zaid Gremel vermutlich das Fluchtfahrzeug gefahren hatte. Genau bekannt war auch der Todeszeitpunkt von Theo Görremann, da der Unfall, dem er zum Opfer gefallen war, genau dokumentiert worden war. Bei den anderen war nur der Zeitpunkt des Verschwindens ungefähr bekannt, und das auch nur mit einer Ungenauigkeit von mehreren Stunden. Aber das reichte. Es gab nur eine Nummer, mit der in einem zeitlichen Zusammenhang zu all diesen Ereignissen telefoniert worden war.
Und das Gerät dazu war eingeschaltet.
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Zusammen mit einem Team von einem Dutzend Kollegen aus Hannover fuhren wir in die Stainhauser Straße. Unterstützt wurden wir noch von zusätzliche Einsatzkräften, die dafür sorgten, dass das Grundstück umstellt wurde.
Und die meisten der Häuser in der Gegend waren von großen, weiträumigen Gärten umgeben.
Das Haus, von dem wir glaubten, dass sich Dorian Rinescu dort aufhielt, gehörte einem gewissen Alexander Mallnoff. Vermutlich war das Rinescus neue Identität. Vielleicht auch ein Strohmann, der für ihn tätig war.
Das würde sich sicher bald herausstellen.
Die Kollegen sprengten das Schloss des gusseisernen Tors auf, das die Zufahrt versperrte. Wir drangen zusammen mit den anderen Kollegen auf das Grundstück vor, während im Osten die Sonne blutrot hinter der Skyline der Stadt hervortauchte. Die Eingänge waren im Nu besetzt. Zwei Leibwächter, die mit mannscharfen Hunden patrouillierten, wurden festgenommen.
Wir standen vor der Haustür und klingelten. Aus dem Inneren des Hauses war ein Schuss zu hören. Ein Hausmädchen öffnete uns.
„BKA! Mache Sie Platz und lassen Sie uns herein!”, sagte ich.
Wir stürzten hinein, durchquerten eine weite Eingangshalle und erreichten dann ein sehr weiträumiges Wohnzimmer, an das ein noch weiträumiger Wintergarten angrenzte.
Dorian Rinescu saß in einem breiten Korbsessel. Sein Gesicht war starr, die Augen blickten ins Nichts. Seine Züge glichen der Darstellung auf dem Phantombild. Vor allem die Narbe am Kinn identifizierte ihn sehr eindeutig.
In der Rechten hielt er eine Pistole. Blut rann aus der Einschusswunde an seine Schläfe. Er sackte sehr langsam zur Seite und hing schließlich über der Lehne.
„Er hat sich der Verhaftung ein zweites Mal entzogen”, stellte Rudi fest.
„Ja, aber diesmal wird er nicht noch einmal von den Toten auferstehen”, sagte ich. „Diesmal gibt es kein zweites Leben für ihn. Diesmal nicht.”
„Und das heißt, dass die Liga nun endgültig Geschichte ist.”
„Hoffen wir es, Rudi. Das wird erst die Zukunft zeigen.”