„Sie wissen doch selbst, wie das ist. Es gibt immer Situationen im Außendienst, in denen es brenzlig ist und man besser vorbereitet ist. Und die Dienstwaffe hilft einem da nicht immer weiter.”
„Wieso sind Sie eigentlich in den Innendienst gegangen?”
Jetzt stutzte er. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet und sie war ihm aus irgendeinem Grund auch unangenehm. Er zuckte die Schultern und humpelte zur Fensterfront. Dahinter war eine großzügig angelegte Terrasse. Die Gartenmöbel waren zusammengeklappt. „Wieso nicht?”, fragte er zurück.
„Wenn jemand in den Innendienst wechselt, gibt’s dafür häufig einen besonderen Grund. Irgendein Ereignis, einen Vorfall oder...”
„Ich bin gesund”, unterbrach er mich, etwas heftiger, als er es wohl beabsichtigt hatte. „Der Fuß ist in ein paar Tagen wieder in Ordnung. Aber sowas meinen Sie ja auch wohl nicht.”
„Richtig.”
Er drehte sich wieder um, nachdem er einige Augenblicke hinaus in den Garten gestarrt hatte und meinem Blick ausgewichen war. „Nein, es gab keinen Anlass von der Sorte, wie Sie ihn meinen, Herr Kubinke”, erklärte er.
„Ich meine nur, es ist etwas eigenartig: Sie waren an einem besonderen Spezialeinsatz beteiligt, verfügen offenbar über Fähigkeiten, die nicht jeder Ermittler hat und in ihrer Personalakte sind die alle nicht zu finden!”
Er zuckte mit den Schultern. „War mir nicht mehr wichtig. Ich habe geheiratet und wollte es etwas ruhiger angehen lassen. Außerdem sollte meine Frau nicht dauernd Angst haben müssen, dass ich von einem Einsatz nicht zurückkehre - von den mitunter familienunfreundlichen Arbeitszeiten mal ganz zu schweigen. Drogendealer und Kunstschmuggler und andere Typen aus dem organisierten Verbrechen kümmern sich ja leider nicht darum, ihre Geschäfte so zu organisieren, dass man sie während der normalen Bürozeiten schnappen kann!” Er zuckte mit den Schultern. „Diese Dinge waren mir einfach nicht mehr wichtig. Die Zeit in Hannover gehört nach wie vor zu den Höhepunkten meiner Laufbahn. Wahrscheinlich war es das Wichtigste, was ich je beruflich getan habe - aber es ist Vergangenheit. Und da ich nicht vorhabe, jemals wieder in eine vergleichbare Position zurückzukehren, habe ich damit komplett abgeschlossen.” Er sah mich einen Augenblick lang nachdenklich an und setzte dann noch hinzu: „Glauben Sie mir, dieser Punkt kommt irgendwann bei jedem.”
9
Irgendwie überzeugte mich Kahlmanns Antwort nicht. Es war einfach ein Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmte, ohne dass ich dafür bereits irgendeinen konkreten Grund hatte anführen können.
Der rote Laserstrahl eines Zielerfassungsgerätes brach sich in der Dreifachverglasung der Fensterfront und tanzte zitternd als roter Punkt auf Reinhold Kahlmanns Kopf. Nur ein Sekundenbruchteil blieb mir, um zu reagieren. Aber zwischen mir und Kahlmann lagen mehr als vier Schritte. Ich hatte gerade eine Bewegung gemacht, da traf der erste Schuss Kahlmann bereits. Sein Körper zuckte mehrfach. Er drehte sich halb herum und fiel dann zu Boden.
Die Dreifachverglasung der Fensterfront zersprang nicht. Die Schüsse gingen einfach durch und hinterließen Risse im Glas, die sich wie Spinnennetze verzweigten.
Rudi und ich mussten uns in Deckung werfen.
Als der Beschuss schließlich aufhörte, schnellte ich hoch. Durch die Terrassentür lief ich ins Freie, während Rudi bereits das Handy am Ohr hatte, um Verstärkung zu rufen.
Vor mir lag eine freie Rasenfläche, nur unterbrochen von einem Gartenhaus und ein paar Sträuchern.
Die Grenze zum Nachbargrundstück wurde durch eine Reihe von kniehohen Sträuchern abgegrenzt. Dahinter befand sich ein Haus, das im Moment wohl unbewohnt war. Ein ‘Zu verkaufen’-Schild stand unübersehbar im Garten.
An der Veranda sah ich eine Bewegung. Eine Gestalt im Kapuzenshirt, dem breitschultrigen Körperbau nach eindeutig ein Mann. Er hielt einen länglichen Gegenstand in den Händen. Ein Gewehr. Die Zielerfassung war noch eingeschaltet. Der Laserstrahl tanzte in der Gegend herum.
Ich spurtete los.
Der Kerl im Kapuzenshirt richtete die Waffe in meine Richtung und feuerte. Aber da hatte ich bereits das Gartenhaus erreicht und nahm Deckung. Ein paar Schüsse ließen das kleine Fenster zerspringen. Ich hatte die Dienstpistole in der Faust und wartete ab.
Ich wartete, bis mein Gegner sein Magazin leergeschossen hatte. Zumindest nahm ich das an, nachdem es einmal nur klick machte und kein Schuss folgte.
Offenbar hatte der Killer nicht damit gerechnet, dass sich jemand an seine Fersen heftete. Das machte ihn offenbar nervös.
Ich tauchte aus meiner Deckung hervor, die Pistole in beiden Händen.
„Waffe weg, Polizei!”, rief ich.
Der Kerl im Kapuzenshirt hielt das Gewehr in der Linken. Mit der Rechten griff er unter sein Shirt und zog eine Automatik hervor. Er ballerte sofort drauflos. Ein Schuss ging dicht an mir vorbei. Ich hatte keine andere Wahl, als zurückzuschießen. Meine Kugel traf ihn im Oberkörper. Er schoss noch einmal, aber der Schuss war ungezielt und ging ins Nichts.
Der Killer klappte zusammen wie ein Taschenmesser und blieb regungslos liegen.
Gleichzeitig hörte ich, wie ein Wagen gestartet wurde und mit quietschenden Reifen davonbrauste. Ich konnte ihn nur für einen kurzen Moment sehen, da er ansonsten vom Haus verdeckt wurde. Ein Van mit getönten Scheiben.
Offenbar hatte ein Komplize auf den Killer gewartet.
10