„Ist Ihr Mann in letzter Zeit mal bedroht worden?”, fragte ich. „Wir werden alles tun, um herauszufinden, wer hinter diesem Anschlag steckt, aber dazu brauchen wir Ihre Hilfe.”
„Ich weiß nicht”, murmelte sie. „Mein Mann hat im Innendienst gearbeitet, nicht in der Fahndung oder im Außendienst. Er ist außer mit Kollegen doch kaum mit anderen Leuten in Kontakt gekommen. Seine Arbeit hat er am Rechner erledigt, nicht in irgendwelchen halbseidenen Läden, die als Drogenumschlagplätze bekannt sind. Er hat keine Razzien durchgeführt und niemanden verhaftet, seit er...”
„Seit was?”, fragte ich.
„Er hat mal erwähnt, dass er in Hannover etwas anderes gemacht hat. Aber er hat nie darüber gesprochen. Und ehrlich gesagt, war ich froh, dass er nicht den Wunsch hatte, in den Außendienst zurückzukehren. Wir haben uns ja erst kennengelernt, als er schon hier in Reichenberg war.”
„Das heißt, Sie kannten ihn noch nicht, als er noch in Hannover gewesen ist?”
„Nein.”
„Hatte er in seiner Zeit in Hannover eine andere Beziehung?”
„Soweit ich weiß, war er Single in dieser Zeit. Aber beschwören kann ich das nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, was er mir gesagt hat.”
Auf jeden Fall fiel dann der Grund, seiner Ehefrau zuliebe nicht mehr in den Außendienst zu gehen, weg. Es musste etwas anderes dahinterstecken, so wie ich schon zuvor vermutet hatte. Unglücklicherweise konnte uns im Moment niemand darüber Auskunft geben.
„Vor einiger Zeit hat sich die Frau eines Kollegen bei Ihrem Mann gemeldet”, sagte ich dann.
„Gregor Bellhoff.”
„Richtig. Hat er Ihnen noch irgendetwas darüber gesagt?”
Frau Kahlmann schüttelte den Kopf. „Nein. Aber er war nach diesem Anruf vollkommen verändert. Er hat sich sofort Urlaub genommen und hat sich auf den Weg gemacht. Das war ihm sehr wichtig, fast so als hinge sein eigenes Leben davon ab. Ich weiß, das klingt jetzt sehr eigenartig, aber es spiegelt nur das Gefühl wieder, das ich dabei hatte. Ich habe ihm angeboten, ihn zu begleiten, aber das wollte er auf gar keinen Fall.” Sie hob die Schultern und fuhr dann nach kurzer Unterbrechung fort: „Leider ist Reinhold ja doch zu spät gekommen.”
„War Ihr Mann irgendwann in den letzten Jahren in Hannover?”
Frau Kahlmann blickte ruckartig auf. Ihre Stirn umwölkte sich. „Seine Reise nach Reichenberg hat einen Tag länger gedauert, als er ursprünglich geplant hatte. Er hat mich angerufen und gesagt, dass es eben etwas länger dauert und ich habe auch nicht weiter nachgebohrt, weil ich das Gefühl hatte, dass er einfach sehr betroffen war von dem Tod eines Kollegen, der ihm wohl doch etwas näher stand, als ich bis dahin geglaubt hatte. Aber dann...” Sie stockte. Ihr Blick ging förmlich durch mich hindurch. Irgendetwas ging in diesem Moment in ihrem Kopf vor sich und ich konnte nur hoffen, dass sie uns davon so viel wie möglich offenbarte.
„Dann was?”, hakte ich nach.
„Ein paar Tage später sind mir seine Bahntickets in die Hände gefallen. Sie waren in einem seiner Jacketts, das ich zur Reinigung gebracht habe und da Reinhold immer früher ins Büro musste als ich... Also jedenfalls ist er zurück über Hannover gefahren. Das hat mich gewundert. Die richtige Richtung, um zurück nach Reichenberg zu kommen, ist das ja wohl nicht.”
„Haben Sie ihn darauf angesprochen?”
„Er hat gesagt, er hätte dort noch etwas zu erledigen gehabt.”
„Für seinen toten Kollegen?”
„Das habe ich angenommen. Schließlich kannten sich die beiden ja daher. Aber im Rückblick bin ich mir ehrlich gesagt nicht mehr sicher, was er wirklich damit gemeint hat.”
Sie schluckte. Ich spürte, dass Frau Kahlmann den Tränen nahe war. Bisher hatte sie krampfhaft versucht, die Fassung zu bewahren. Aber so langsam schien sie ihre Grenzen in dieser Hinsicht erreicht zu haben. Rudi warf mir einen bezeichnenden Blick zu. Mach Schluss, Harry!, hieß dieser Blick. Und er hatte vermutlich recht damit.
Ich holte eine der Visitenkarten aus der Brieftasche, die das BKA für seine Kriminalinspektoren drucken lässt. „Sollte Ihnen noch irgendetwas einfallen, dann rufen Sie bitte diese Nummer an”, sagte ich.
„Gut.”
„Egal, was es ist und zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Jeder Hinweis kann uns vielleicht den entscheidenden Schritt weiterbringen, um die Hintergründe des Verbrechens aufzuklären, dem Ihr Mann zum Opfer gefallen ist.”
Sie nickte stumm und wich meinem Blick dabei aus.
13
Als wir nach Berlin zurückkehrten, dämmerte es bereits. Leider konnte ich den Dienst-Porsche nirgendwo auf der Bundesautobahn richtig ausfahren. Die Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten eben auch für BKA-Fahnder, wenn sie nicht gerade im Einsatz sind und ihre Regelverletzung mit einem akuten Notstand begründen können.
Das Gespräch mit Frau Kahlmann ging mir nicht aus dem Kopf. Vor allem, was sie über den Abstecher ihres Mannes nach Hannover gesagt hatte, beschäftigte mich.
„Jahrelang hat Kahlmann keinen Kontakt mit den anderen Ex-Mitgliedern der Task Force gehalten und dann hat er plötzlich einen Grund, nach Hannover zu fahren. Findest du das nicht irgendwie merkwürdig, Rudi?”
„Und etwas später kommt Theo Görremann ebenfalls nach Hannover und stirbt wenig später unter nicht geklärten Umständen”, ergänzte Rudi. „Wir werden in nächster Zeit einen Abstecher nach Hannover machen müssen.”
Ich seufzte. „Alle Spuren führen nach Hannover. Und trotzdem ergibt das ganze noch keinen Sinn. Was ist das fehlende Puzzleteil, das alles miteinander verbindet?”
„Vielleicht sollten wir einfach wieder ein paar Schritte zurückgehen, Harry.”
„Und das heißt?”
„Was ist unser Ausgangspunkt?”
„Vier Kollegen sind verschwunden.”
„Eben! Es könnte durchaus sein, dass der Unfall vor dem ‘Magic’ in Hannover damit ebensowenig etwas zu tun hat wie die Anruf eines todkranken Ex-Kollegen, der offenbar noch irgendetwas Wichtiges mitzuteilen hatte.”
„Und der Anschlag auf Kahlmann? Der Täter kommt aus Hannover, das steht fest und auch wenn er nichts mit der