Ich schloss die Augen. Mir war schwindlig vom Gras. Die Geräusche um mich herum wurden immer lauter. In meiner Vorstellung verformten sich die Körper zu Fleischklumpen, die sich zusammenballten und Salt Lick Cherie zerquetschten, bis sie keine Frau mehr zu sein schien, sondern ein missgestaltetes Zirkusmonster. Ich öffnete die Augen und sah die Typen, die darauf warteten Salt Lick Cherie zu ficken. Sie ließen Halluzinogene herumgehen, als wären das kleine Partymitbringsel – Acid, Meskalin und PCP, ein Tranquilizer, der ein Pferd umhauen kann und Muskelspasmen und verängstigende Visionen verursacht. Als wäre die Vorstellung, es mit Salt Lick Cherie zu treiben, nicht schon grotesk genug. Mittlerweile loderten die Feuer hell in den Himmel.
Ich zog das Kiffen vor, in der Hoffnung schnell einzuschlafen. Mit angezogenen Beinen, die mir wie ein Ball in den Magen drückten, ließ ich mich einen grasbewachsenen Hügel hinunter rollen. Die Musik von Rock Star und seiner Band hämmerte in meinem Schädel, laut und sich unaufhörlich steigernd, wie ein lang gezogener Schrei. Die Stimme des Sängers schien sich in den Bäumen zu verirren. Ich fühlte nichts mehr, bis auf einen kühlen Luftzug und das nasse Gras in meinem Gesicht. Eine Ackerfurche im Feld stoppte die Rollpartie. Mein Körper war so entspannt, so leicht, dass ich weder Arme noch Beine bewegen konnte, aber mich quälte ein lähmender Kopfschmerz. Auch wenn mich hier tagelang niemand fände, würde es mir gut gehen – sicher umhüllt von meiner eigenen Dunkelheit.
Am nächsten Morgen erinnerten die umliegenden Wiesen an ein gigantisches Schlachtfeld. Ein paar Pagans schliefen in ihren Kutten, mit den Flaggen der Pagans als Kopfkissen und Erkennungszeichen, denn das Club-Gesetz schrieb vor, dass Außenseiter nicht in den Westen des Clubs übernachten durften. Zerschlagene Bierflaschen und zerknüllte Dosen vermüllten die Hügel. Aus der Ferne hörte man das klagende Spiel einer Mundharmonika.
Ich fröstelte. Vom Tau des Grases war meine Hose völlig klamm. Über der Bühne breitete sich eine unheimliche Ruhe aus, die nichts von der Action der vergangenen Nacht erahnen ließ. Salt Lick Cherie lag zusammen gerollt und nackt auf den Brettern, wie ein Fötus. Ihr blondes Haar hing wie ein Schild vor dem Gesicht. Rock Star döste vor sich hin, mit der Gitarre in seinem Schoß. Die Sonne tauchte die Hügel in gleißendes Licht. Ich hörte das Heulen von Motorrädern. Bald würden die Bullen eintreffen. Es war höchste Zeit in die Gänge zu kommen.
Später am Morgen stieg ich auf den Rücksitz der Harley des Club-Präsidenten Jerry Fox, dem jemand den Spitznamen Slowe Poke gegeben hatte. Wir machten uns in Richtung Atco Speedway auf. Die Geschwindigkeit verwandelte die Welt um mich herum in ein langes Band aus formlosen Farben. Die Lichter in der Stadt flackerten wie Kerzen. Die Gebäude schienen flacher zu werden, und leuchtende Glocken glitzerten wie Goldstaub. Die Straße wirkte wie eine lange, schwarze Zunge voller Risse, Schlaglöcher und hektischer Fußgänger. Neben mir verschwommen die Autos, und die Insassen machten den Eindruck, als würden sie durch das Glas erstickt. Ich hielt die Hände in den feuchten Fahrtwind, legte mich mit in die Kurven, wobei der Nieselregen auf meine Wangen prasselte. In einer Biegung brach das Hinterrad ein wenig aus und ich wurde zur Seite gerissen. Die Auspuffgase versengten mein Bein. Der Geruch der Straße übermannte mich, erinnerte mich an weggeworfene faule Eier und das nach Knoblauch riechende Brot eines italienischen Dinners. Streusalz, Teer, der feuchte Wind, versengtes Gummi und der strenge Geruch des Rauchs aus der Kabine eines Truckers – all die Eindrücke brannten sich in mein Gedächtnis ein. Die Wucht der heißen Luft wechselte sich ab mit einer kalten Brise. Hinter uns zeichnete sich eine dünne Ölspur auf dem Highway ab. Slow Pokes Pferdeschwanz schlug mir in die Augen, und der Wind schoss in meine Nasenlöcher, trieb mir Tränen ins Gesicht. Ich fühlte mich schwerelos, so als würde ich fliegen. Ich schloss die Augen und hörte aus der Ferne das schrille Geräusch von Sirenen. Diese Erfahrung ähnelte meiner ersten Begegnung mit einem Bike.
Ich war sechs Jahre alt, und mein Vater saß schon im Knast. Mum brauchte Geld und verkaufte aus der Garage heraus Ersatzteile für die Bikes. Saint, damals noch 21, knatterte mit seiner Maschine wie ein Filmstar die Auffahrt hoch. Er trug keinen Helm, aber eine spiegelnde Sonnenbrille, eine Kutte und schwarze Jeans. Die lange, wilde Mähne umspielte sein Gesicht. Er stieg ab, stolzierte durch die Garage, nahm einige Teile in die Hand, schien aber mehr an mir interessiert zu sein. Ich hockte hinter einer kaputten Couch mit Karomuster und flüsterte zu mir selbst.
„Mit wem redet der?“, fragte Saint meine Mum. Er zog ein Dollarbündel aus der Weste und knallte es auf den Tisch: „Fürs Licht.“
„Mit seiner Farmerfamilie.“ Sie stellte den Ton des Fernsehers lauter. Bei uns standen zwei Geräte übereinander, von denen aber keins vernünftig funktionierte. Der eine Fernseher war noch eine Schwarzweiß-Flimmerkiste und in dem anderen klaffte ein riesiges Loch.
„Was dagegen, wenn ich ihn auf eine Spritztour mitnehme? Er sieht so aus, als würde er Hilfe brauchen.“ Saint hielt die Handschuhe in der rechten und klopfte damit in die linke Hand.
„Pass aber auf, dass er einen Helm trägt“, murmelte Mum. Sie war total in Der Preis ist heiß versunken. Eine Kippe hing in ihrem Mundwinkel.
Saint kniete sich neben mich und tätschelte meinen Kopf. „Hey Kleiner, hast du schon mal so ein Ding gesehen?“ Er zeigte auf seine Maschine. Glänzendes Chrom blitzte vor dem Hintergrund des trostlosen Graus der Garage auf. Ich hatte schon viele Bikes gesehen, meist auseinandergebaut in unserem Wohnzimmer, aber niemand hatte mich je zu einer Fahrt eingeladen.
Ich verließ den Schutz des Sofas und rannte zu der Maschine, um aufzusteigen. Natürlich fiel ich runter und schürfte mir die Hände am Beton auf. In meiner Jeans klaffte ein Loch. Saint lachte.
Er setzte mich auf den Sozius. „Leg deine Hände um meine Taille und halt dich ganz fest, klar?“ Dann drückte er meine kleinen Hände in seinen Gürtel. Meine Beine baumelten in der Nähe des Auspuffs in der Luft.
„Zieh sie ein wenig hoch“, instruierte mich Saint. „Sonst wirst du sie dir noch verbrennen.“
Ich hörte aufmerksam zu und befolgte die Anweisungen. Ich beobachtete ihn, wie er mit seinem Fuß den Kickstarter der Harley durchtrat. Der laute Knall des Auspuffs jagte mir so eine Angst ein, dass ich wieder zu Mum rannte.
„Verdammter Schisshase. Genau wie dein Vater“, bemerkte sie zynisch, die Hände in die Seiten gestemmt, die Lippen voller Missgunst in Falten gelegt.
Danach kam Saint immer öfter vorbei. In seiner Gesellschaft fühlte ich mich gut. Er verkörperte das Bild, das ich von einem richtigen Vater hatte: Saint stand für Ehre. Die Pagans nannten das Rechtschaffenheit. Nicht jeder Pagan war rechtschaffen. Es gab verschiedene Grade der Auszeichnung. Die Leute hörten auf Saint und luden ihre Probleme bei ihm ab. Auf eine magische Art konnte er sie immer lösen – wie ein Zauberer. Er wusste alles Mögliche, privaten Scheiß, von dem kein anderer Ahnung hatte, und auch etwas über Drogendeals, mögliche Risse im Gruppengefüge und Fallen.
Wenn ich ihn darum bat, mir zu erklären, warum er so weise ist, zuckte er nur gleichgültig mit den Schultern und meinte: „Ich habe die Dinge beobachtet. Es wiederholt sich alles. Nach einer Weile habe ich die Klappe gehalten und den Leuten einfach zugehört.“ Er lehrte mich, beschrieb Szenarien, Leute, die bei ihm in der Kreide standen, Typen, die ihm Meth schuldeten, oder einen Kerl, der seine alte Dame respektlos behandelt hatte.
„Was würdest du tun?“, lautete die Testfrage. Er spielte mit den Spiegeln des Bikes, wischte sie mit einem weichen Lappen ab, ergötzte sich an seiner Reflektion und stoppte, um mir zuzuhören.
„Wahrscheinlich ihm seine verfluchten Eier zerquetschen“, erwiderte ich ehrlich.
„Dann