„Gut.“ Saint lächelte. „Du lernst dazu.“ Ich gähnte, müde von dem ganzen Spielchen und wollte nur noch schlafen. Erschöpft legte ich den Kopf gegen das Fenster und schloss die Augen. Ich verstand nichts von dem, was hier abging, fühlte mich aber glücklich. Ich war in Sicherheit und fuhr zusammen mit Saint in seinem Wagen.
Wenige Tage später statteten wird dem Barbesitzer einen weiteren Besuch ab. Es war spät, schon nach der Sperrstunde. Das Gesicht des Italieners verzog sich bei unserem Anblick. Er wurde kreidebleich und versuchte die Nervosität zu überspielen, indem er geschäftig den Tresen putzte. Gehetzt blickte er in Richtung des anderen Raums. Ich fragte mich, ob er Verstärkung hatte, und setzte mich wieder auf meinen alten Platz an dem großen Tisch. Dagger pflanzte sich auf einen Barhocker und nahm sich ein Bier. Er blies die Schaumkrone direkt in das Gesicht des Italieners und malte mit dem Finger ein Bild darauf. Es ähnelte Hangman. Saint saß mir gegenüber an einem anderen Tisch. Mehrere Minuten lang wechselte niemand ein Wort. Der Italiener ließ den Putzlappen fallen und begann mit tiefen, schweren Seufzern zu weinen. Er tupfte sich die Tränen mit der Schürze ab, schluckte, schüttelte den Kopf und warf mir einen bettelnden Blick zu. Vielleicht dachte er, ich sei sein Verbündeter und könnte durch meine Anwesenheit die ihm bevorstehende Strafe abmildern.
„Du hast uns angelogen.“ Dagger nippte am Bier. Er zog den Rand des Glases mit den Fingern nach. Seine Stimme klang ruhig, fast so, als würde er sich über das Wetter unterhalten.
„Nein“, erwiderte der Italiener mit tränenerstickter Stimme, und schaute auf den Boden.
„Sehen wir so dämlich aus?“ Dagger erhob die Stimme. Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund und trommelte anschließend mit den Fingern auf dem Tresen.
„Nein“, stammelte der Italiener. Er legte die Schürze ab und faltete den Putzlappen in kleine Quadrate. Sein Kinn zitterte. Mein Herz raste. Daggers Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. Sein Gesicht lief rot an. Ich hätte mich am liebsten ins Hinterzimmer verkrümelt. Völlig unerwartet war aus dem Spaß Ernst geworden.
„Was denkst du?“, fragte Dagger, seinen Blick auf mich gerichtet. „Sehen wir wirklich so dumm aus?“
Der Italiener weinte immer lauter. Ich spürte ein Kribbeln in den Händen. Mit einem krächzenden Geräusch schob Saint den Stuhl zurück. Er zog einen Eispickel aus dem Gürtel. Der Griff glitzerte im fahlen Licht. Mein Bewusstsein schien sich abzuspalten, und ich kam mir vor, als würde ich schweben. Das hier vor meinen Augen geschah nicht wirklich! Ich war kein Zeuge, sondern schwirrte in der Luft herum, weit weg von diesen Leuten. Daggers Hand schoss über den Tresen, und Saint packte sich den Kopf des Italieners und knallte ihn mit voller Wucht auf die Tischplatte. Dann schlug er mit dem Eispickel zu – wieder und wieder, bis der ganze Tresen mit Blut überströmt war. Es erinnerte mich an das Kürbiswerfen zu Halloween. Dagger ließ los und der leblose Körper glitt auf den Boden. Saint wischte den Eispickel an der Weste ab. Im Hinterzimmer richtete Dagger seinen Revolver gegen den Safe und drückte ab. Das Schloss barst auseinander und die Tür flog auf.
„Nichts drin.“ Dagger schüttelte den Kopf.
Saint wirkte gleichgültig. „Vielleicht hat der alte Mann doch die Wahrheit gesagt?“
Auf der Atco-Rennstrecke musste Dagger es mit „zivilisierten“ Profis aufnehmen. Ohne Hemd, aber mit seiner Kutte, raste er über die dreckigen Buckel, und sah dabei eher aus wie ein Dämon, statt wie ein Motorradfahrer. Ein leichter Nieselregen dämpfte die Stimmung der Menge, die größtenteils aus Pagans und Zuschauern aus der Stadt bestand. Die Luft schien vor Spannung und Donner zu vibrieren. Die Pagans formten eine menschliche Wand auf der Zuschauertribüne, standen Schulter an Schulter und hatten ihren Spaß über die Abneigung und den Schock, den sie bei den anderen auslösten. Die Kinder wichen zurück und auch die Frauen verdrückten sich. Die Biker fanden das lustig. Sie prahlten mit den Tattoos, rempelten die Leute aus Lust und Laune an und zetteltenen ohne jeglichen Grund Schlägereien an.
Ich verschlang meinen vierten Hot Dog innerhalb einer Stunde und stellte mich wieder bei der Imbissbude in die Schlange. Durch den Geruch des Bratfetts bekam ich noch mehr Appetit. Schon seit Tagen hatte ich nicht mehr so viel gegessen, und deshalb interessierten mich das Rennen und der Wettstreit nicht die Bohne. Die Rennfahrer ließen die Motoren aufheulen. Aus der Ferne wirkten sie in den eng geschnittenen Lederanzügen, den dazu passenden Helmen und den angehefteten Plastiknummern wie ein überdimensionales Farbknäuel. Die Plakate der Sponsoren flatterten im Wind – „Nur die Geschwindigkeit zählt“. Aus den Lautsprechern hallten laute Ansagen. Überall herrschte geschäftiges Treiben. Cheese, der hinter mit stand, stieß mich an. Er öffnete seinen Trenchcoat und zeigte mir das Arsenal von Deodorantdosen. Er winkte mir zu und meinte: „Pass auf.“
„Hier stinkt aber einer.“ Er verzog die Nase. Links von mir machte sich ein Mitglied der Breed kampfbereit. Die Pagans und die Breed hassten sich, denn ihr Club hatte einen von uns umgebracht.
„Nachdem Storm Cloud starb“, erklärte Cheese, „haben die Pagans ein Mitglied der Breed gekidnappt, es in einen Teppich eingerollt, mit Benzin übergossen und angesteckt. Dann schnappten wir uns das Abzeichen der Breed.“
Dadurch wurde nichts bereinigt, aber das war auch egal. Es fielen keine Worte, nur Grunzen, was sich ständig wiederholte, wie ein archaisches Gestammel. Doch irgendwie fühlten sie sich hinterher besser. Cheese sprühte mit der Deodorant-„Knarre“ so wild durch die Gegend, dass seine Finger vom Druck taub wurden. Der Regen hatte zugenommen und ich begann zu frieren. Der Chemienebel des Deodorants stach in meine Augen. Der Typ von den Breed hielt sich die Hände vor das schmerzverzerrte Gesicht. Er schrie gequält und rempelte mich an. Ich roch seinen Angstschweiß. Cheese stand hinter mir und lachte sich kaputt, denn für ihn stellte das nur eine weitere lustige Episode dar. Mir hingegen war überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ich verstand nicht, was das sollte, aber damals konnte ich das noch nicht aus einer nüchternen Perspektive beurteilen. Rache für den Mord an Storm Cloud? Auf den Hügeln blitzten die Taschenlampen der Bullen wie böse, rote Augen auf. Als sie ankamen, um den Streit zu schlichten, erinnerte sich keiner der Biker mehr an Details.
Die Flammen des Barbecues schlugen höher und der Geruch von angekokeltem Fleisch zog durch die Luft. Überall lagen Decken herum, auf denen sich Mütter und ihre Kinder das Picknick schmecken ließen. Einige Pagans waren auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen, legten sich unter die geparkten Autos und dösten. Ich flitzte überall herum, machte mich als Laufbursche der Biker nützlich, holte Wasser für die Maschinen und hörte Saint aufmerksam zu, der über die Vorzüge eines Axtgriffs palaverte. Das gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Allerdings schmerzten mir auch die Beine. Bei Partys konnte ich in punkto Durchhaltevermögen mit den Pagans nicht mithalten. Mit zwölf musste ich hart kämpfen, um einen halbwegs klaren Blick in einem Nebel von Alkohol und Gras zu behalten. Mein Kopf pochte und der Alk lief viel zu schnell die Kehle runter. Ich war noch ein Kind, aber die Pagans merkten das nicht. Vielleicht wollte ich genau das?
„Hey Kleiner, komm mal rüber.“ Redneck kam auf mich zu. Er war ein großer, muskulöser und untersetzter Pagan mit geröteten Wangen und blondrotem Haar, das er zu einem schmierigen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Er ähnelte einem aufgeblasenen Ballon, in eine Jeans gequetscht. Redneck hielt außerhalb eines weißen Vans Wache. Seine mit Blech beschlagenen und durch Stahlsohlen verstärkten Stiefel klackten aneinander. Ein Eispickel und eine Kette hingen an seinem Gürtel. Wie die meisten Pagans trug er ein Tattoo-Hemd, was heißt, dass seine Arme von oben bis unten mit Bildern bedeckt waren. Ich gehorchte, denn das wurde von mir erwartet. Man konnte mich für fast alles gebrauchen. Was auch immer die Pagans benötigten – ich sprang und besorgte es ihnen.
Die Tür des Vans öffnete sich. Ich kletterte in den dunklen Innenraum, dann schloss sich die Tür wieder mit einem lauten Klicken. Als sich meine Augen noch nicht an den vollgestopften Raum gewöhnt hatten, fasste mir eine Hand mit lackierten Fingernägeln in den Schritt. Ein schimmliger Teppich lag in der Mitte ausgebreitet. Die bequemen Van-Sitze waren gegen grobe Holzbänke ausgetauscht worden, und drei Zuschauer starrten mich regungslos an.
Eine Frau zog den Reisverschluss meiner Jeans langsam runter, die Jeans, die ich seit