Cambridge Analytica und die Folgen
Es geht also bei Facebook nicht nur darum ›Menschen miteinander zu verbinden‘, wie das in Kalifornien ansässige Unternehmen immer wieder betont, sondern im Wesentlichen darum, mit diesen Daten eine Menge Geld zu verdienen. Was andere mit den Daten machen, interessiert den Zuckerberg‐Konzern offenbar nicht. So flüsterten eingeweihte Whistleblower der englischen Zeitung Guardian, dass der Populist und Anti‐Europäer Nigel Farrage mit Cambridge Analytica zusammengearbeitet haben soll, das wiederum die Facebook‐Daten zu nutzen wusste.51 Auch Boris Johnson steckte demnach 40 Prozent seines Wahlkampfgeldes in ein kanadisches Unternehmen, das wiederum eng mit Cambridge Analytica arbeitete.52 Es ist daher davon auszugehen, dass dieses Datenwissen auch beim Brexit eine große Rolle gespielt hat. Das ist zwar noch nicht alles bis ins Letzte belegt, aber die Recherchen der Investigativjournalistin Carole Cadwalladr haben eine Menge ans Tageslicht gebracht.53 So weiß Cadwalladr, dass es einen noch nicht namentlich genannten amerikanischen Milliardär gab, der mit seiner Firma beim Brexit‐Referendum half, in Großbritannien »den größten konstitutionellen Wechsel des Jahrhunderts« herbeizuführen.54 Mit diesen Fragen und auch mit der, inwieweit die Russen die Anti‐Europa‐Kampagnen im Vorfeld des Brexit massiv beeinflusst haben, hat sich ein Untersuchungsausschuss in London befasst, dessen Ergebnisse Boris Johnson jedoch unter Verschluss hält.55 Nun ist auch dem Letzten klar: Die Kontrolle über unsere Daten haben wir längst verloren. Denn Facebook hat nicht nur mit jenem ominösen Unternehmen Cambridge Analytica das ganz große Rad beim Datenhandel gedreht, auch mit Giganten wie Yahoo und Netflix betrieb es jahrelang ähnliche Deals.56 Irgendwann aber packten ehemalige Mitarbeiter bei der Washington Post aus und nannten mehr als 150 Firmen, mit denen der Zuckerberg‐Konzern solche Geschäfte betrieben hatte.57 Amazon, Spotify, Microsoft, Apple – alle profitierten davon.58 Geld floss angeblich nicht, man half sich gegenseitig beim Wachstum und dafür brauchte man die Daten.59 Mit diesen Daten können die Datenkonzerne die Kunden viel präziser ansprechen. Je individueller die Werbung auf den User angepasst ist, desto mehr Geld lässt sich mit den Klicks verdienen.
Auch Identitäten werden geklaut
Als der Skandal öffentlich bekannt wurde, machte sich bei den Kunden der Tech‐Riesen Unsicherheit breit, aber auch eine gewisse Resignation. Wer am digitalen Leben teil haben will, so glaubten und glauben immer noch viele, müsse wohl diese Nachteile in Kauf nehmen. Doch das Vertrauen, dass ihre Daten dort gut aufgehoben sind, ist dahin. Dabei ist es nicht nur der Verkauf ihrer privaten Daten, der viele Nutzer hat misstrauisch werden lassen, auch die Tatsache, dass immer wieder spektakuläre Hacks offenbaren, dass die Daten in den Clouds von Microsoft & Co. vor fremdem Zugriff nicht sicher sind, verunsichert die Kunden.60 Offenbar zu Recht. Denn niemand weiß, was alles mit den Daten gemacht wird, wenn sie entwendet oder kopiert werden. Identitätsklau ist dabei ein großes Thema. Sind die Identitäten der Kunden erst einmal in die falschen Hände geraten, können Kontobewegungen manipuliert, falsche Personalausweise ausgestellt oder massenhaft Waren bestellt werden, die der eigentliche Inhaber der Identität im Zweifelsfall bezahlen muss. Dann muss Strafanzeige gestellt und die Bank informiert werden. Und zwar rasch. Sonst kann es teuer werden bis hin zur privaten Insolvenz.61
CEO‐Fraud macht die Runde
Von professionellem Identitätsklau sind auch Führungspersönlichkeiten in Unternehmen betroffen. Ermittler nennen das ›CEO‐Fraud‘. Doch das läuft ein wenig raffinierter. Dazu werden soziale Kontakte des CEOs im Netz ausgespäht, die Mitteilungen zu künftigen Investments auf der Unternehmenswebseite verfolgt und vieles mehr. So sind die Täter bestens informiert. Sie wissen, wo sich die Führungskräfte befinden, nutzen etwa deren Auslandsaufenthalt, um mit Hilfe einer gefälschten E‐Mail‐Adresse oder einem Telefonat in der Buchhaltung Zahlungen auf andere Konten umzuleiten.62 Meist erzeugen sie künstlichen Zeitdruck, damit nicht zu viel nachgedacht wird. Dass das funktioniert, zeigen die Zahlen. Der CEO‐Fraud verursachte allein in Nordrhein‐Westfalen im Jahr 2017 einen Schaden von 8,9 Millionen Euro. 2018 lag er bei 6,8 Millionen Euro.63 Und das sind nur die offiziellen Zahlen eines einzigen Bundeslandes. Die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher geschätzt. Dabei sind die Betrüger flexibel. Erst waren die Großunternehmen im Visier, jetzt sind es die mittelständischen Betriebe, denn die Großen sind sicherheitstechnisch inzwischen gut geschützt. Praktisch ist für die Betrüger auch, dass bei mittelständischen Unternehmen die Entscheidungswege kürzer sind. Manchmal gibt es nur ein oder zwei Leute im Unternehmen, die manipuliert werden müssen. So haben sie leichteres Spiel.64
Big Brother is watching you
Das Ausspähen von Unternehmen und Bürgern geht allerdings nicht allein auf das Konto von Betrügern. Das erfuhr die Öffentlichkeit im Jahr 2013. Da informierte uns ein sich auf der Flucht befindlicher unauffälliger junger Mann namens Edward Snowden darüber, dass es ein weltweites virtuelles Spionagenetz gibt, die so genannten ›five eyes‘, in denen sich die amerikanische National Security Agency (NSA), der britische Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) sowie die Geheimdienste von Kanada, Australien und Neuseeland austauschen.65 Verblüfft nahm die Öffentlichkeit zur Kenntnis, wie weit das Ausspähen geht und wer alles abgehört wird. Dass darunter zahllose Regierungschefs sind, große Organisationen wie Weltbank und Opec, und auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel aufmerksam mitgehört wurde, überraschte weniger als die Tatsache, dass es auch ganz unbescholtene Bürger und Unternehmen trifft, und zwar millionenfach.66 Die Unterlagen von Snowden enthüllten, dass deutsche, norwegische, spanische und französische Bürger fleißig abgehört wurden.67 In den USA traf es sogar alle US‐Bürger im Zeitraum von 2001‐2015, bis zu dem Zeitpunkt, als Sektion 215 des Patriot Act ausgelaufen war.68