Im Flur ertönte ein Poltern, als ihr Papa von der Leiter zum Dachboden stieg, und eine Sekunde später kam er samt Luftmatratze im Arm herein. »Oh, wie ich sehe, dekoriert ihr ein bisschen um? Ist ja schön, dass ihr euch so gut versteht.«
Umdekorieren, ha! Papa raffte ja mal wieder gar nichts!
Wortlos nahm Romy den Pyjama und ging hinüber ins Badezimmer. Als Nele den Wasserhahn laufen hörte, wandte sie sich an ihren Papa. Der pumpte die Luftmatratze mit einem automatischen Blasebalg auf und war fast fertig. Er lächelte Nele an.
»Romy ist wohl sehr anders als die Mädchen aus der Schule, was?«
»Das trifft es ziemlich gut«, murmelte Nele.
Auf der letzten Geburtstagsübernachtungsparty, auf der sie eingeladen gewesen war, hatte jedenfalls niemand um Raupentee und Lavendellaken gebeten. Oder war es andersherum gewesen? Was für ein Leben lebte Romy denn bitte in Marabel?
»Wo ist denn dieses Marabel überhaupt?«, fragte Nele möglichst beiläufig.
»Netter Versuch«, erwiderte ihr Papa und musterte Nele dann eine Weile. »Ich bin aber wirklich froh, dass du ihr eine Chance gibst. Ich wünsche euch eine gute Nacht.«
»Nacht, Papa«, murmelte Nele. Während sie das Gästebettzeug aus ihrem Kleiderschrank holte und frisch bezog, sagte sie sich selbst, dass diese Romy-Situation nur für kurze Zeit war.
Weil Romy noch weg war, schrieb Nele Luis rasch, dass sie morgen nach dem Fußballtraining bei ihm vorbeikommen würde, und räumte anschließend noch den Rest des Romy-Chaos auf. Dabei fiel ihr Blick auf ein altes Foto, das im Regal umgekippt war. Es zeigte ihre Mama mit Nele im Arm, da war Nele gerade vier geworden. Ihre Mama blies in eine alberne Geburtstagspfeife und schnitt dabei eine Grimasse. Nele wurde bei dem Anblick ganz wehmütig.
Ein Knarzen ließ sie herumfahren. Romy stand unsicher in der Tür.
Neles Pyjama mit den scheußlichen Ufos drauf, den ihre Tante ihr mal geschenkt hatte, sah an Romy gar nicht mehr doof aus. Mit ihrem elegant zusammengeflochtenen Haar wirkte er bei Romy wie ein cooles Modestatement.
War bestimmt so ein königliches Gen, das einen stets gut aussehen ließ.
»Du kannst das Bett haben«, sagte Nele und warf ihr Bettzeug auf die Luftmatratze.
Es herrschte eine komische Stimmung, weil Romy keinen Mucks mehr von sich gab. Nele überlegte, ob sie etwas sagen sollte, schwieg dann aber ebenso eisern. Sie wartete, bis Romy im Bett war, knipste das Licht aus und legte sich auch hin. Nele hätte gerne noch ein paar YouTube-Videos auf dem Kanal Furioser Fußball geschaut, aber mit Romy in einem Zimmer fühlte sich alles fremd an. Anders eben.
Zumindest eine Sache war gleich: Eine Handvoll Sterne begann, an der Decke zu leuchten. Manchmal fühlte Nele sich für diese Plastikdinger viel zu alt. Doch unter diesen Sternen hatte ihre Mama ihr Geschichten vorgelesen und ihr Papa mit ihr gelacht. Einiges veränderte sich, aber nicht diese Sterne.
»Wie ein Sternhaufen«, hörte sie Romy murmeln.
»Ein Sternhaufen?«, fragte Nele in die Dunkelheit hinein.
»Sternhaufen bestehen aus hundert bis tausend Sternen. Es sind riesige Ansammlungen Sterne auf einem Haufen«, antwortete Romy. »Sie sind aber selten.«
»Krass«, sagte Nele. »So was lernt man als Prinzessin?«
Kurz wurde es still. Eine Bettdecke raschelte leise.
»Mein Bruder Costa hat mir das erzählt. Wir sitzen oft zusammen im Westturm und schauen uns die Sterne an«, sagte Romy. »Manchmal, da … da fühle ich mich wie in so einem Sternhaufen. Im Schloss wimmelt es nur so von Menschen. Und egal, wie hell du leuchtest, du gehst einfach zwischen allen anderen unter.«
Nele spürte ein seltsames Pochen in der Brust. Das hörte sich so vertraut an …
»Das kenne ich«, flüsterte sie. »Vermisst du deinen Bruder? Deine Familie?«
Einige Momente verstrichen und Nele glaubte schon, Romy würde nicht darauf antworten, bis sie ein Seufzen hörte und die Prinzessin es dann doch tat.
»Ja. Sie alle. Aber …« Romy schien zu zögern. »… ich frage mich, ob sie gerade in diesem Moment vielleicht auch alle irgendwelche Sterne sehen und an mich denken.«
Das Gefühl in Neles Brust wurde zu einem wehmütigen Ziehen. »Ich weiß, wie das ist, jemanden zu vermissen. Ich vermisse meine Mama … sie wohnt nicht mehr bei uns. Es wäre schön, wenn sie die Sterne sieht und auch an mich denkt.«
Erneut wurde es ganz still, so still, dass Nele immer schläfriger wurde, während sie die Sterne betrachtete. Fast schon war sie eingeschlafen, da hörte sie Romy noch etwas flüstern. »Familie vermissen. Wir haben wohl doch was gemeinsam.«
»Ja«, wisperte Nele. »Scheint so. Gute Nacht, Romy.«
»Gute Nacht, Nele.«
Kapitel 7
»Das nicht! Nein, das auch nicht! Murksiges Makra auch!«
Nele rollte sich auf den Rücken und rieb sich über die Augen.
Sonst hatte sie kein Problem damit, früh aufzustehen – sie war morgens eigentlich topfit, aber die Nacht auf der Luftmatratze war ungewohnt und unbequem gewesen.
»Was ist los?«, murmelte Nele verschlafen.
Die Antwort darauf erübrigte sich. Nach einmal Blinzeln traf Nele fast der Schlag. Romy hatte ihre Klamotten kreuz und quer im Zimmer verteilt und gerade riss sie einen roten Pullover von einem Bügel.
»Perlrubinrot ist so eine schöne Farbe! Wer entwirft denn so einen Kartoffelsack!«
Prompt flog der Pullover über Romys Schulter und segelte zu Boden.
Nele war mit einem Mal hellwach. »Perlenrotwasauchimmeregal! Das ist mein Pullover! Wie oft soll ich dir das noch sagen: Lass meine Sachen in Ruhe!«
Die Prinzessin beachtete Nele nicht. Sie hatte Neles altes Lieblingsshirt entdeckt und starrte es an, als wäre es absolut abscheulich. Es stammte aus der Sportkollektion von Neles Lieblingsfußballspielerin Diana Belladonna und Nele hatte ewig ihr Taschengeld dafür gespart. Inzwischen war es ausgeblichen, mit Loch am Kragen und der Druck war ziemlich abgeblättert. Nele liebte es aber noch immer.
»Das ist das lumpigste Shirt, was ich je gesehen habe!«, stieß Romy aus.
»Gib das sofort her!«, forderte Nele. Romy brachte sie echt auf die Palme! Anscheinend war die Prinzessin auf beiden Ohren taub, wenn’s um Neles Kram ging.
Romy hielt das Shirt weg von sich, als würde es unangenehm riechen. »Das ist eine Beleidigung für meine königlichen Augen!«
»Dann mach sie doch zu! Und deinen Mund gleich mit!«, schimpfte Nele.
Sie versuchte, Romy das Shirt wegzuschnappen, bekam aber nur einen Ärmel zu fassen. Romy ließ jedoch nicht locker. Nele kam sich fast wie beim Tauziehen vor.
»Soll ich mal deine Sachen so behandeln? Gib her!«, sagte Nele sauer.
»Ich tu dir einen Gefallen!«, erwiderte Romy. »Außerdem hab ich ja nichts dabei.«
»Dir gebe ich garantiert nichts mehr von mir. Lass los!«
»Als ob ich so was tragen würde! Das gehört in den Müll!«
Ratsch! Nele ließ vor Schreck das Shirt los und stolperte zurück. Romy hielt es noch fest und sah es mit großen Augen an. Aus dem Loch am Kragen war ein fetter Riss im Stoff geworden. Oh, nein! Ihr Lieblingsshirt war komplett hinüber!
Bei Nele knallte eine Sicherung durch. »Guck, was du angerichtet hast!«, ging sie Romy an. »Lernt man das als Prinzessin auch? Wie man die