»Dann geh doch zurück zu deinem Signore und lass dir von ihm die Sprache der normalen Menschen beibringen«, sagte Nele genervt. »Das ist mein Zimmer.«
»Ein besonders schönes Zimmer ist es ja nicht«, bemerkte Romina. »Oder Haus.«
Nele klappte der Mund auf. Ihr Haus war wohl schön! Im ersten Stock hatte ihr Papa mit seinem Schlafzimmer, Bad und Büro sein eigenes Reich und der zweite Stock gehörte ihr allein. Na gut, bis auf die Abstellkammer voller Fitnessgeräte. Nele fand es aber einfach toll, dass sie hier oben niemand störte. Und wenn sie sich nachts ans Fenster setzte, konnte sie sogar über den Dächern ein paar Sterne beobachten.
Sie schnaufte. »Du willst mir was von Manieren erzählen?«
»Ich kenne das Manifestum der manierlichen Manieren auswendig!«
»Was soll das sein? Klingt superbescheuert.«
»Das müssen alle Prinzessinnen kennen.«
Da war es schon wieder: Prinzessin. Dass Nele nicht lachte! Ihr Papa hatte zwar mit außergewöhnlichen Leuten zu tun, aber er würde doch keine Prinzessin in so eine langweilige Kleinstadt wie Kumpferberg schleppen – schon gar nicht zu ihnen nach Hause.
Außerdem – waren Prinzessinnen nicht höflich, klug und freundlich?
Cinderella hatte sich nicht mal beim Erbsenaufsammeln beschwert. Romina könnte höchstens die Prinzessin von Zeter-Mecker-Unfreundlichhausen sein.
»Wenn du angeblich so eine masupilanische Prinzessin bist, was machst du denn dann in diesem blöden, kleinen Zimmer, hä?«, fragte Nele herausfordernd.
»Marabellanische Prinzessin«, verbesserte Romina sie. »Mein Name ist Romina Cassandra Eleanor Wynter und ich bin die Dritte in der Thronfolge von Marabel.«
»Von all deinen Namen kriegt man echt ’nen Hirnknoten«, murrte Nele.
»Mädchen! Kommt bitte runter!«, rief ihr Papa, nicht mehr ganz so geduldig.
Nele riss Romina ihr Fußballstrategienheft aus den Fingern. »Nach Euch, Eure königliche Majestät die Dritte«, äffte sie deren arroganten Tonfall nach.
»Geht doch!«, sagte Romina beschwingt und schwebte aus dem Zimmer.
Nele verdrehte die Augen und ging ihr nach.
Das konnte ja noch heiter werden!
Kapitel 4
Romina ging nicht normal die Treppe runter, sondern stolzierte wie ein sterbender Schwan Stufe für Stufe hinab. Dabei machte sie mehrmals kleine Pausen und sah sich um. Was sollte das? Sie waren hier doch nicht bei einer Parade, wo man Augenkontakt mit dem Fußvolk suchte! Zumal es hier rein gar nichts zu sehen gab.
Im Wohnzimmer knickste Romina vor Neles Papa, ehe Nele sie aufs Sofa bugsierte und sich neben sie setzte. Das empörte Schnaufen von Prinzessin Pupsegal ignorierte sie. »Ich möchte jetzt wissen, was los ist, Papa. Was soll das Theater? Wo bist du gewesen? Wieso ist sie hier? Wer zum Kuckuck ist sie?«
Bei der Erwähnung des Wortes »Kuckuck« bückte sich Romina und schlug die Hände überm Kopf zusammen, als erwarte sie einen Angriff von oben. »O weh!«
Nele runzelte die Stirn. Nicht mal ihre Oma sagte so was wie »O weh«.
»Hast du irgendeine Vogelphobie?«, fragte Nele sie.
»In Marabel, wo Romina herkommt, werden einige Tiere als Spione eingesetzt«, erklärte ihr Papa. »Aber hier besteht keinerlei Gefahr für dich, Romina.«
Tiere als Spione? Wo gab’s denn so was?
Romina blickte sich verunsichert um. »Sind Sie da sicher, Agent Wolf?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass du mich Konrad nennen kannst – und ja, ich bin mir sicher.«
Nele beobachtete Romina von der Seite. Meinte sie dieses ganze Gehabe ernst? Oder war das eine schauspielerische Glanzleistung? Sie griff nach ihrer Saftschorle und trank ein paar Schluck. Romina, die das gesehen hatte, machte es Nele nach – nur dass sie den kleinen Finger dabei abspreizte wie bei einer Teestunde der Queen.
»Schmeckt’s dir nicht?«, fragte Nele, weil Romina nur am Saft nippte.
Diese verschluckte sich sogleich, hustete, und als sie hastig ihr Glas abstellen wollte, stieß sie es um und der Inhalt verteilte sich über den Tisch.
»Das tut mir fürchterlich leid!«, sagte Romina, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen und irgendetwas aufzuwischen. Nele wollte schon aufstehen, da deutete ihr Papa zum Durchgang zur Küche. »Könntest du einen Lappen aus der Küche holen? Die sind direkt unter der Spüle.« Zu ihrer Verwunderung sah er Romina dabei an.
Die schien kurz nachzudenken, ob das nicht unter ihrer Würde war oder so was, setzte dann ein höfliches Lächeln auf und verließ schweigend das Wohnzimmer.
»Ist sie wirklich so oder spielt sie das?«, platzte es aus Nele heraus.
»Sie wurde so erzogen«, antwortete ihr Papa und sah sie mit einer Dringlichkeit an, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Nele setzte sich kerzengerade hin.
»Sie behauptet, sie wäre eine Prinzessin … stimmt das?«
»Ich fange mal vorne an«, sagte ihr Papa. »Meine letzte Mission war sehr schwierig und alles, was ich dir darüber erzähle, muss bitte unter uns bleiben. Okay?«
Nele zögerte kurz, dann nickte sie. Er sprach sonst nie über seinen Job …
Natürlich wusste sie ein wenig, aber eben nicht besonders viel. Früher hatte Nele gequengelt und gebettelt, er möge ihr mehr über M.A.G.I.K. erzählen, sie in die Geheimnisse einweihen, die er beschützte, aber da war ihr Papa stets schweigsam wie ein Grab gewesen. Das hier war ihre Chance, mehr zu erfahren.
Vor Aufregung zupfte Nele an ihrem Shirt herum. »Wie schwierig?«
»Es gibt ein kleines magisches Land namens Marabel«, begann er zu erzählen. »Die Königsfamilie Wynter regiert seit Generationen dort und wird vom Volk geschätzt und verehrt. Bereits vor einigen Monaten wurden M.A.G.I.K. jedoch Unruhen gemeldet. Es gab Gerüchte über eine große Gefahr für die Königsfamilie und so wurden einige Agenten dort postiert. Es gibt eine Organisation, welche an Macht gewinnt und die Familie Wynter nicht länger auf dem Thron sehen möchte.«
»Aha«, sagte Nele. »Romina ist also eine echte Prinzessin, krass.«
Ihr Papa wurde einen Augenblick sehr nachdenklich, ehe er fortfuhr. »Ja, Romina ist eine Prinzessin von Marabel und die Dritte in der Thronfolge. Ihre ältere Schwester Ariella soll Ende des Jahres gekrönt werden. Aufgrund eines Zwischenfalls musste M.A.G.I.K. die Königsfamilie aber außer Landes schaffen.«
Nele schluckte schwer. Das klang nach einer üblen Geschichte …
»Und wieso ist Romina bei uns?«, fragte Nele beklommen.
Sie hatte ein ganz komisches Bauchgefühl. M.A.G.I.K. – die Magische Allianz des großen internationalen Katastrophenschutzprogramms – war der Grund, wieso Nele bei vielen Momenten ihres Lebens eine Papa-Lücke hatte. Das ging von einsamen Wochenenden über Schulfeste ohne ihn bis hin zu verpassten Fußballspielen. Viele dieser Momente hatten ihr im Herzen wehgetan, denn statt bei ihr war er irgendwo auf der Welt gewesen, um anderen Menschen zu helfen und diese zu beschützen.
Doch niemals hatte er seine »Arbeit« mit nach Hause gebracht.
»Sie wird eine Weile bei uns untertauchen«, antwortete ihr Papa. »Alles musste sehr schnell gehen und der Notfallplan hat nicht komplett funktioniert …« Er unterbrach sich, als habe er Angst, Nele zu viel zu verraten. »Andere M.A.G.I.K.-Agenten haben den Rest von Rominas Familie an verschiedene, geheime Orte gebracht. Dass sie