»Nele?«, fragte ihr Papa vorsichtig. »Es tut mir leid, dass ich das für uns entschieden habe. Ich schwöre dir, es ging nicht anders und ich wollte nicht …«
»Sie bleibt nicht für immer?«, unterbrach Nele ihn.
»Nur für eine Weile. Mit einer Tarnidentität.«
Ihr Papa setzte sich neben Nele und legte den Arm um sie. »Romina ist Teil des Schutzprogramms von M.A.G.I.K. und ich habe geschworen, sie zu beschützen. Ich weiß, dass das unerwartet ist – und es wird bestimmt nicht ganz einfach werden. Ich hoffe, ich kann auf dich zählen. Was meinst du?«
»Sie ist also echt in Gefahr?«, wisperte Nele.
Plötzlich drang ein lauter Knall aus der Küche und Romina Cassandra Eleanor Wynter, die Möchtegernprinzessin, die tatsächlich eine war, gab einen schrillen Schrei von sich.
Kapitel 5
Nele schreckte zusammen. Ihr Papa eilte alarmiert aus dem Raum, während sie noch ganz starr war. Erst eine echte Prinzessin, die bei ihnen auftauchte, und jetzt lauerte die Gefahr bereits um die Ecke? Nele hatte doch kaum Zeit gehabt, irgendetwas davon richtig zu verdauen. Aber ihren Papa allein lassen? Unmöglich! Sie atmete tief durch und folgte ihm.
Nele malte sich die schlimmsten Dinge aus – ein Kampf auf Leben und Tod zwischen Bratpfanne und Obstschale –, aber nicht DAS. Romina stand wie angewurzelt da, den Mund offen und die Hände in den Haaren, die aussahen, als habe sie in eine Steckdose gefasst. Auf der Arbeitsplatte rauchte die Mikrowelle wie ein frisch angezündeter Kohlegrill. Einzelne Blätter der kleinen Tomatenpflanze, die Frau Wu Neles Papa geschenkt hatte, brannten und die Wand hatte ein paar Brandflecken.
»Ist die Mikrowelle etwa … explodiert?«, fragte Nele bestürzt. »Geht’s euch gut?«
Ihr Papa löschte mit einem nassen Tuch die brennende Pflanze und betrachtete das Szenario. »Ja, uns geht’s gut. Nele, mach mal bitte das Fenster auf.«
Fünf Minuten später hatte er die demolierte Mikrowelle nach draußen in die Garage getragen, der restliche Qualm war aus der Küche verschwunden und Rominas Gesicht bekam wieder etwas Farbe, nachdem Nele sie zurück ins Wohnzimmer bugsiert hatte.
»Stehst du unter Schock?«, fragte Nele besorgt. »Wie ist das gerade passiert?«
»Murksiges Makra«, flüsterte Romina, sprang auf und lief hinaus.
Nele konnte durchs Fenster sehen, dass sie in den Garten gegangen war. Die Prinzessin hatte die Arme um sich geschlungen und sah traurig aus. Nele dachte an die Worte ihres Papas. Große Gefahr, von Familie getrennt … ob sich Romina sehr elend fühlte? Blöde Frage! Bestimmt! Nele bekam richtig Mitleid mit ihr.
»Das lief ja nicht so gut«, bemerkte ihr Papa, der sich neben sie ans Fenster gestellt hatte.
»Mhh«, machte Nele bloß. War ja wohl megauntertrieben.
»Kannst du mal nach ihr sehen? Mit dir redet sie sicher eher.«
»Worüber redet man mit Prinzessinnen, die Mikrowellen sprengen?«, fragte Nele. »Und wie hat sie das überhaupt gemacht? Das musst du mir echt erklären, Papa.«
»Das fällt alles unter die Geheimhaltung«, sagte er.
Nele sah ihn verständnislos an. »Hallo! Wenn ich mit ihr zusammenleben soll, muss ich doch wissen, ob gemeingefährliche Dinge zu tun ihr Hobby ist.«
»Nein«, entschied er. »Je weniger du weißt, desto besser. Und an ihr ist nichts ›gemeingefährlich‹, Nele. Ich wünsche mir immer noch deine Hilfe. Es ist wichtig, dass Romina sich bei uns wohlfühlt, solange sie bei uns wohnt.«
»Für wie lange bleibt sie?«, fragte Nele.
Ihr Papa erwiderte nur stumm ihren Blick.
»War das mit der Mikrowelle Magie?«, bohrte Nele weiter. »Was kann sie noch? Blumen rülpsen oder vielleicht mit ihrem goldenen Haar auf Türme raufklettern?«
»Sie kommt aus der vornehmen Familie Wynter.«
»Dann kann sie also vornehm Blumen rülpsen?«, meinte Nele.
Diese ständige Geheimnistuerei ihres Papas nervte gehörig!
»Nele. Bitte«, sagte er nun mit Nachdruck. »Sieh mal nach ihr.«
»Jaja. Dann frage ich sie das eben alles«, antwortete Nele.
»Das lässt du mal schön sein«, erwiderte ihr Papa. »Sie ist so schon überfordert.«
»Na guuuut«, grummelte Nele. Langsam trottete sie nach draußen. »Hey! Romina Cassandra Emma Wynter die Dritte! Brauchst du vielleicht, ich weiß nicht … eine Bürste?«
Eine Bürste? Wie dämlich klang das denn? Und was fragte sie überhaupt? Sicher hatte die Prinzessin eine handgefertigte Bürste aus Einhornhaar oder so im königlichen Handgepäck dabei.
»Eleanor«, sagte Romina. »Nicht Emma. Nach meiner Ururururoma.«
»Ist das ein Prinzessinnen-Ding, so viele Namen zu haben?«, fragte Nele.
»Es ist eine Ehre, nach so vielen mutigen Frauen benannt worden zu sein. Der Stammbaum der Familie Wynter hat wahre Größen hervorgebracht.«
Klang ja wie ’nen Zitat von Wikipedia! Ob da was über die Wynters stand?
»Wie nennen dich denn deine Freundinnen?«, wollte Nele wissen.
»Romina Cassandra Eleanor –«
»Echt jetzt?«, ging Nele dazwischen.
Sie stellte sich vor, wie mehrere Prinzessinnen bei ihrem Treffen erst mal ’ne Stunde im königlich-imposanten Flur standen, weil jede ihre zig Namen runterratterte.
»Wie nennen dich denn deine Freundinnen?«, fragte Romina.
»Na, Nele«, sagte Nele. »Wie wär’s denn mit … ’nem Spitznamen?«
Romina zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Ein Spitzname?«
»Na ja, Papa meinte, du brauchst eine Tarnidentität.« Nele zog die Nase kraus und dachte kurz nach. »Wie wäre es denn mit … Cassie? Ellie? Nee … besser: Romy!«
Die Prinzessin verdrehte genervt die Augen. »Das klingt so gewöhnlich.«
Nele zuckte mit den Schultern. »Gut, dann nicht. Gehen wir rein? Sonst könnten vielleicht noch mehr Meisen auftauchen. Und Kuckucks. Oder … Tauben.«
Romina schnaufte. »Denkst du, ich bin blöd? Tauben sind voll ungefährlich!«
»Ja, im Gegensatz zu Mikrowellen, was?«, scherzte Nele.
»Das war … ein Versehen!« Romina bekam knallrote Wangen. Dann drehte sie sich um und stampfte zurück ins Haus.
Diese Beleidigt-abziehen-Nummer hatte sie echt drauf!
In der Küche war Neles Papa gerade dabei, einige Zutaten auf den Tisch zu stellen. »Zeit für Pizza. Das ist doch unsere Tradition«, sagte er beschwingt.
Sofort wurde Nele flau im Magen. Sicher wollte er nur die Stimmung etwas auflockern, aber das war doch ihre Tradition – nicht die von ihnen und Romina. Wenn ihr Papa nach einer seiner Reisen heimkam, kreierten sie eine neue Geschmacksrichtung – je verrückter, desto besser. Nele liebte diese Zeit zusammen. Wie konnte ihr Papa denn so schnell in den Alles-ist-normal-Modus übergehen?
Nele blickte zu Romina. Die wusste davon natürlich nichts, aber trotzdem spürte Nele einen Widerwillen in sich wachsen, der sich gegen die Prinzessin richtete.
Romina beugte sich zum Toaster herunter und fasste sich entsetzt an den Kopf.
»Meine wunderschönen Haare«, jammerte sie.
»An denen