Randolph nahm den Ausbruch seiner Frau nicht so ernst. Er gab ihr einen leichten Klaps auf den verlängerten Rücken und sagte gutgelaunt: „Ich weiß, das magst du nicht hören. Aber es hilft alles nichts. Der kleine Chalk ist deiner Fürsorge bald entwachsen. Nicht mehr lange, dann gilt sein liebevoller Blick anderen Frauen. Das ist der Lauf der Welt. Bei mir war das damals genauso. Auch meine Mutter konnte sich nur schwer mit dem Gedanken vertraut machen, dass ich mich plötzlich auch noch für andere Dinge interessierte außer für Pferde und Mais.“
Die Frau seufzte. Die Last, die sie schier erdrückte, war zu schwer für ihre schmalen Schultern. Chaco wünschte sich, ihr helfen zu können, doch er wusste genau, dass sie ihn nie mit ihren Sorgen behelligen würde.
Sie sprachen noch lange miteinander. Erst das Morgengrauen erinnerte sie daran, dass ein langer, arbeitsreicher Tag sie erwartete. Randolph betrieb eine kleine Sattlerei, und Ella versorgte die Landwirtschaft, die gerade so groß war , dass sie das zum Leben Notwendige abwarf.
Chaco ließ sich alles zeigen, und er freute sich aufrichtig, dass die Kimballs nach der Krise wieder Fuß gefasst hatten.
Beim Frühstück tauchte auch Chalk auf. Der Junge erkannte das Halbblut nicht sofort. Doch dann erinnerte auch er sich wieder und zeigte Chaco später stolz, was er in der Zwischenzeit gelernt hatte. Chaco war überrascht, wie gut der Bursche mit dem Lasso und dem Revolver umgehen konnte.
„Das kann man hier gebrauchen“, meinte Chalk lachend. „Die Shadows kommen auf manche dummen Gedanken. Ich möchte nicht, dass sie zu dumm werden.“
„Man wird dich noch zum Marshal machen“, prophezeite Chaco.
Chalk zuckte zusammen, als hätte ihn eine Peitsche getroffen. Er wandte sich hastig ab und führte Chaco in den Stall, in dessen Boxen acht Pferde standen.
„Um die kümmere ich mich“, sagte er. Seine Stimme vibrierte etwas.
Chaco spürte schmerzlich, wie tief auch in dem Jungen die Angst vor den Banditen steckte. Er sah eine Zeitlang Randolph bei der Arbeit zu und suchte später Ella auf. Er merkte sofort, dass die kleine Frau geweint hatte. Taktvoll sprach er sie nicht darauf an. Er wählte alle möglichen unverfänglichen Themen, beobachtete die Grauhaarige jedoch aufmerksam. Es entging ihm nicht, dass sie besonders zwei Themen aus dem Weg ging, und die Schlüsse, die er daraus zog, irritierten ihn. Er musste Gewissheit haben, zumal er nicht mehr mit ansehen konnte, wie diese Frau litt.
„Ist es nicht eigenartig“, sagte er leichthin, „dass uns oft schreckliche Träume quälen, und wenn wir dann aufwachen, war alles nur Einbildung?“
Ella Kimball krampfte die Hände zusammen. Sie stieß einen kleinen Laut aus, und Chaco musste rasch reagieren, sonst wäre sie neben ihm zu Boden gesunken. Er fing sie auf und trug sie ins Haus. Sie kam schnell wieder zu sich.
„Es ist nichts“, murmelte sie verlegen. „Mir war nur etwas schwindlig. Wahrscheinlich macht es die Hitze. Es wird ein Gewitter geben.“
Es war zwar warm, doch die Luft war klar. Von einem Unwetter konnte keine Rede sein. Die Ursache für ihren Schwächeanfall war woanders zu suchen.
„Nach einem Gewitter ist die Luft wieder gereinigt“, entgegnete Chaco tiefsinnig. „Doch manchmal schlägt auch ein Blitz dort ein, wo ein junger Baum steht. Wenn man das vorher wüsste, könnte man die Pflanze vielleicht schützen.“
Die Frau sah ihn groß an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dann wurde ihr Körper von heftigem Schluchzen geschüttelt. Chaco ließ sie weinen. Er ahnte, dass er etwas zu hören bekommen würde, was noch kein Ohr gehört hatte. Und er wurde nicht enttäuscht.
„Es ist wegen Chalk“, flüsterte sie nach einer langen Pause.
„Er ist ein prima Kerl.“
„Das ist er immer gewesen. Aber jetzt ...“ Sie stockte.
Chaco half nach. „Jetzt?“
„Ich fürchte, er gehört zu den Shadows!“
5
Chaco war nicht überrascht. Mit einer ähnlichen Eröffnung hatte er gerechnet. Aber er war sich auch im Klaren, dass dieser Hilfeschrei einer verängstigten Mutter noch nichts zu sagen hatte.
Von Doc Bishop wusste er, dass die Atmosphäre in Gibsonville vergiftet war. Einer misstraute dem anderen. Gerüchte und Verleumdungen kursierten. Das Gespenst der üblen Nachrede machte auch vor Halbwüchsigen nicht halt. Die Kimballs waren vom Schicksal ziemlich gebeutelt worden. Es war kein Wunder, wenn sie schnell hysterisch wurden.
„Chalk ist schon in Ordnung“, tröstete er. „Wer behauptet, dass er ein Halunke ist, sollte lieber erst mal in seinem eigenen Haus Nachforschungen anstellen.“
„Es behauptet niemand“, sagte Ella.
„Aber du sagtest doch ...“
„Ich! Ich selbst bin zu der Auffassung gekommen, Chaco. Ich habe noch mit keinem darüber gesprochen. Auch mit Randolph nicht. Auch zu dir hätte ich nie etwas gesagt, aber es brach plötzlich aus mir heraus. Ich kann auch nichts dafür. Ich konnte das Schweigen einfach nicht länger ertragen. Ich muss dich um etwas bitten, Chaco. Versprichst du es mir?“
Es war die erste Bitte, die von den Kimballs an ihn herangetragen wurde. Chaco gab ohne zu zögern sein Versprechen.
„Vergiss, was ich dir gesagt habe, und sprich mit keinem Menschen darüber!“ Sie sah ihn flehentlich an. Ihre rotgeweinten Augen waren die eines hilflosen Kindes. Chaco gab es einen Stich.
„Selbstverständlich bleibt das, was du mir anvertraut hast, unter uns, Ella“, meinte Chaco, „aber damit ist dein Problem noch nicht gelöst.“
„Ich werde schon damit fertig.“
„Nein, nicht allein. Du machst dich fertig. Ich beobachte dich, seit ich hier bin, und was ich sehe, gefällt mir gar nicht. Du hättest allen Grund, zufrieden zu sein, aber der Kummer frisst dich auf. Wir müssen feststellen, ob deine Befürchtungen grundlos sind, was ich mit Sicherheit annehme. Ich vermute, dass du auch mit Chalk noch kein Gespräch hattest.“
Die Frau schwieg. Chaco nahm das als Bestätigung. Deshalb fuhr er fort: „Du musst mir jetzt die volle Wahrheit sagen. Ich beanspruche dein volles Vertrauen.“
„Das hast du, Chaco. Aber er ist immerhin mein Sohn.“
„Und das soll er bleiben. Wenn du dich irrst, wird er von deinem Verdacht nie etwas erfahren, das verspreche ich dir. Wenn aber deine Angst nicht unbegründet ist, dann ist es höchste Zeit, dass wir etwas unternehmen, bevor es zu spät ist.“
„Mein Gott!“
„Vor allem musst du dich jetzt zusammennehmen. Nicht nur Chalk, auch Randolph darf keinen Argwohn schöpfen. Von den Nachbarn ganz abgesehen.“
Die Frau nickte unter Tränen.
„Wo war der Junge heute Nacht?“
Ella Kimball sah ihn fassungslos an.
„Er schießt auf keinen Menschen“, stammelte sie mit erstickter Stimme. „Er ist doch kein Mörder! O Gott, hätte ich doch nur meinen Mund gehalten!“
„Wo war er?“
„Im Haus - nehme ich an.“
„Nein, das nimmst du nicht an, Ella. Im Gegenteil! Du weißt genau, dass er nicht zu Hause war. Zumindest nicht zu der fraglichen Zeit.“
Wieder brach die Frau in Tränen aus.
„Was soll ich nur tun?“, jammerte sie. „Er ist unser einziges Kind. Wir haben ihn immer gelehrt, Gott zu