Sie banden ihn im Sattel fest und nahmen ihn in die Mitte. Der Fremde stellte keine Fragen. Er wusste, dass dafür immer noch Zeit sein würde. Jetzt ging es in erster Linie darum, das Leben des Cowboys zu erhalten.
Andie Morton war sich darüber im Klaren, dass er die Herde im Stich ließ. Vielleicht kamen die Banditen doch noch zurück. Dann war das Vieh für die Ranch verloren. Aber Mr. Lamont würde seine Handlungsweise akzeptieren.
Sie erreichten die Stadt, die in völliger Dunkelheit lag. Ohne nach dem Weg zu fragen, hielt der Fremde direkt auf das Haus von Doc Bishop zu. Er sprang vom Pferd und hämmerte mit der Faust gegen den Fensterladen. Es dauerte nicht lange, da schimmerte durch die Ritzen ein Lichtschein. Der Doc war wach geworden.
Sie hörten es drinnen rumpeln. Eine Tür knarrte. Wahrscheinlich eine Schranktür, hinter der der Arzt sein Gewehr verwahrte. Ein Besuch zu nächtlicher Stunde konnte nichts Gutes bedeuten. Da war es besser, auf der Hut zu sein, bevor man sich eine Kugel in den Pelz brennen ließ. Das galt auch dann, wenn der Pelz nicht mehr viel taugte und mit seinen über siebzig Jahren mehr durchgehalten hatte, als man im Westen erwarten durfte.
„He, Doc!“, rief Andie Morton und hämmerte seinerseits gegen die Tür. „Machen Sie auf! Wir haben einen Verwundeten, der schnellstens Ihre Hilfe braucht.“
Die Tür wurde gerade so weit geöffnet, dass allenfalls eine Fliege hindurchkäme, wenn sie sich sehr dünn machte. Dafür tauchte dahinter der Lauf einer vorsintflutlichen Donnerbüchse auf, mit der der Arzt bei tatsächlichen Banditen vermutlich nur ausgelassenes Gelächter geerntet hätte. Sehr zu Unrecht übrigens, denn mehr als ein Bursche, der den Doc in früheren Jahren unterschätzt hatte, hätte ein trübsinniges Lied von der legendären ,Klara‘ singen können.
Über dem Gewehrlauf funkelten hinter zwei Brillengläsern die etwas kurzsichtigen grauen Augen des Medizinmannes. Sie blieben an dem Fremden hängen, und das Misstrauen in ihnen wurde eher noch stärker. Doch dann fanden sie den Mann, der wie ein Toter über dem Hals seines Pferdes hing und leise röchelte. Das gab den Ausschlag. Die Tür flog weit auf, und der Alte stand, lediglich mit einer langen Unterhose und einem undefinierbaren Hemd bekleidet, dahinter und stellte das Gewehr hastig an die Wand.
„Ist das nicht Doan?“, fragte er und schlurfte, so schnell seine alten Füße es noch erlaubten, auf den Verwundeten zu.
„Er hat eine Kugel eingefangen“, erklärte Andie Morton. „Wir wurden überfallen. Draußen bei den Tieren.“
„Bringt ihn herein und legt ihn auf den Tisch!“, befahl der Doc. „Aber hübsch vorsichtig. Der Ärmste muss heute Nacht noch genug aushalten.“ Er ging voraus und breitete eine Decke auf den riesigen Tisch aus, der schon die abenteuerlichsten Operationen gesehen hatte. Dann schlurfte er in den Nebenraum und kehrte mit einer Tasche aus schwarzem Leder zurück.
Im Herd brachte er in aller Eile ein Feuer in Gang und schob einen gewaltigen Wasserkessel darüber. Dann schaffte er Tücher und Verbandszeug herbei, und als Letztes folgte eine Flasche, in der eine dunkelbraune Brühe schwamm.
„Hoffentlich wird das nicht dein letzter Whisky, mein Junge“, murmelte er und setzte dem Verwundeten den Flaschenhals an die Lippen.
Doans Blick blieb verschleiert. Er nahm seine Umgebung nur undeutlich wahr.
„Schlucke, was hineingeht!“, hörte er eine vertraute Stimme sagen, und er gehorchte, denn er ahnte, dass er bei dem, was sie jetzt mit ihm vorhatten, ohne den Schnaps an die Decke gehen würde. Als die Flasche halb leer war, verdrehte er die Augen und ließ den Rest aus seinen Mundwinkeln hinausrinnen.
„Jetzt reicht es“, stellte Bishop fest. „Wenn einer von euch ein Gebet kennt, kann er es jetzt sprechen. Den anderen brauche ich, dass er den Burschen festhält.“
Der Fremde hatte Doan schon bei den Schultern gepackt, während Andie Morton froh war, dass ihm die geistliche Aufgabe zufiel. Es war schon schlimm genug, die tierischen Schreie mit anhören zu müssen.
Der Doc arbeitete etwas länger als eine Stunde. Dann richtete er sich erschöpft auf. Seine Stirn glänzte vor Schweiß. Sein noch immer volles, wenn auch schneeweißes Haar war ziemlich in Unordnung geraten. Er fror plötzlich und merkte, dass er noch immer halbnackt herumlief.
„Alles, was er jetzt braucht, ist Ruhe“, sagte er müde. „Ich habe getan, was ich konnte. Hoffen wir, dass es genug war.“
„Sie haben ausgezeichnet gearbeitet, Doc“, meldete sich der Fremde anerkennend.
Erst jetzt nahm sich Bishop Zeit, den Mann näher zu betrachten. Ein erkennendes Lächeln huschte über sein faltiges Gesicht. Er nahm seine Brille ab, putzte sie mit Daumen und Zeigefinger, wodurch sie nur noch schmieriger wurde, setzte das Drahtgestell wieder auf und strahlte.
„Chaco! Chaco Gates! Wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen?“
Andie Morton hatte über eine Stunde Zeit gehabt, den Unbekannten zu beobachten. Er hatte es gründlich getan, und seine Gefühle waren zwiespältig geblieben. Es war nicht zu leugnen, dass Doan dem Mann eine Menge zu verdanken hatte. Und wenn er nicht durchkam, dann war das gewiss nicht dessen Schuld. Aber andererseits konnte man nicht wegleugnen, dass es sich um ein Halbblut handelte. Irgendeine Rothaut hatte bei seiner Produktion mitgemischt, und das stellte nicht gerade eine Empfehlung dar.
Er selbst hatte noch keine Erfahrung mit Halbindianern gemacht, aber unter den Kumpels kursierten die abscheulichsten Geschichten. Und wenn nur ein Zehntel von dem, was sie erzählten, wahr war, dann reichte das, die ganze gescheckte Sippe zu verteufeln.
Sobald Indianerblut in eines Mannes Adern floss, war Vorsicht geboten. Und dies umso mehr, solange in der Gegend eine Bande ihr Unwesen trieb, von der niemand wusste, wer sich dahinter verbarg.
Dass der Doc den Burschen nicht nur allem Anschein nach kannte, sondern ihm sogar deutliche Sympathie entgegenbrachte, sprach jedenfalls für das Halbblut. Bishop schenkte so leicht keinem Menschen sein Vertrauen. Dazu hatte er in seinem langen Leben zu viel erlebt und war zu oft von vermeintlichen Freunden enttäuscht worden.
Andie Morton beschloss, sich zunächst zurückzuhalten, bis er sich ein besseres Urteil gebildet hatte.
„Vier Jahre reichen wohl nicht“, sagte Chaco. Er nahm es dem Alten nicht übel, dass er ihn erst jetzt erkannte. Zuvor war wirklich keine Zeit gewesen, um Wiedersehen zu feiern. „Ich freue mich, dass Sie anscheinend noch immer der Alte sind.“
„Das sieht nur so aus.“ Der Doc seufzte. „Langsam merke ich doch, dass ich alt werde. Und manchmal wünschte ich, ich hätte den vergangenen Winter nicht überlebt.“
„War der so schlimm, Doc? Waren Sie etwa krank?“
„Krank? Nein. Wer hätte mich denn gesund machen sollen? Einer von den jungen Burschen vielleicht, die nicht mal den Unterschied zwischen einer werdenden Mutter und einem von der Rinderpest befallenen Kalb kennen?“
Chaco lachte. „Also, was macht Ihnen sonst Sorgen? Sie nehmen uns doch nicht etwa übel, dass wir Sie aus dem Schlaf getrommelt haben?“
Der Arzt funkelte den Halbindianer an.
„Früher hast du nicht solchen Blödsinn geredet, Chaco. Habe ich mich schon mal gedrückt, wenn es galt, einem armen Hund zu helfen?“
„So habe ich das natürlich nicht gemeint“, lenkte Chaco rasch ein. „Aber irgendeine Laus ist Ihnen doch über die Leber gekrochen.“
„Eine Laus? Es sind mehrere. Und ich wette meine alte Klara, dass ich meinen heutigen Nachtjob auch wieder dieser Höllenbrut zu verdanken habe. Sie sind wie die Pest. Sie terrorisieren die ganze Gegend, und niemand wird ihrer Herr.“
„Eine Bande?“, fragte Chaco.
„Die Schattenbande“, meldete sich jetzt Andie Morton und sah