„Unser Benjamin hatte Glück“, hatte Paul Millard bei der Rückkehr zu den Rohhäutern gesagt. „Mehrere harte Jungens haben es mit ihm versucht, doch er schlug sie alle. Die neuen Kerben an seinem Colt bedeuten das Ende einiger hartgesottener Burschen, die eines Tages von einem Ranger oder Staatenreiter sowieso geholt worden wären. Das Gesetz müsste unserem Benjamin eigentlich einen Orden verleihen.“
Dan hatte ganz verlegen dagestanden und von diesem Tage an war die Leidenschaftlichkeit einer üppig schönen Frau auf ihn gefallen. Vielleicht war sie gefesselt von dem Geheimnisvollen und Undurchsichtigen, das Dan umgab, ohne dass er sich selbst dessen bewusst wurde. Vielleicht sah die Frau in dem um zwei Jahre jüngeren Mann das Traumbild des Mannes, nach dem sie sich innerlich verzehrte. Nur der Himmel oder die Hölle mochten indes wissen, was in dieser leidenschaftlichen Frau tatsächlich vor sich ging. War es das Besondere und Gefährliche, das diese Frau lockte? Eines konnte sie jedenfalls nicht, das war, sich zu beherrschen. Als sie Dan eines Tages, als er zum Bach ging, folgte und ihm entgegentrat, schreckte sie ihn mehr ab, als dass sie ihn anzog. Ihre Augen funkelten ihn an, sie war es, die sich ihm an die Brust warf und mit ihren Lippen die seinen suchte und ihn mit einer Erregung küsste, die ihren Körper erbeben ließ.
Wie zu Eis erstarrt ließ Dan ihre Leidenschaftlichkeit über sich ergehen.
„Wir gehören zusammen, du und ich“, hörte er sie mit kehlig schwingender Stimme sagen. „Ich habe es in wenigen Stunden begriffen, Dan. Ich will nicht mit den anderen weiterziehen, ich will fort. Lass uns beide zusammen fliehen, irgendwohin! Ich folge dir, wohin du willst.“
„Du hast einen Mann.“
„Ja, einen, den mir der Stamm aufhalste, den ich weder liebhabe, noch jemals Liebe schenken kann. Wir Rohhäuterfrauen werden nicht nach unserer Wahl gefragt. Der Sippenälteste sucht den Mann für uns aus, und wir müssen gehorchen. Kan hat mich nie gefragt, ob ich ihn liebe, ob ich ein Leben lang an seiner Seite bleiben will.“
„Du brichst das Gesetz, Ann!“
„Ist das so etwas Besonderes, Dan? Gehörst nicht du zu jenen, die ständig das Gesetz brechen? Wir sind dann beide Ausgestoßene. Das wird uns um so stärker verbinden. Sieh mich nur an, Dan, niemand kann uns sehen oder zuhören, wir sind allein. Ich liebe dich, Dan, es kam mit elementarer Gewalt über mich. Ich habe nie gewusst, was Liebe und Leidenschaft ist.“
Sie trat einen Schritt zurück. Er hob seinen Blick und sah sie an. Vielleicht hatte er sie noch nie so kritisch angesehen, vielleicht erwachte auch in ihm etwas Neues, Unbekanntes, das ihm bisher verschlossen war. Bisher hatte er nicht wahrgenommen, dass er ihr von allen Frauen des Stammes besonders gefiel und sie sich besonders um ihn gekümmert hatte. Sie war nicht so wie die anderen Frauen, die größtenteils ihr Äußeres vernachlässigten und wenig anziehend wirkten. Sie war ganz anders, sie ließ sich nicht hängen und lebte nicht gleichgültig dahin, sie verstand es sich zu kleiden, und das unterschied sie von den anderen.
Ihr lockiges Haar wogte ihr den Nacken herunter und schien in der Fülle wie ein Schleier zu wirken, der fast bis zur Hüfte hinabreichte. By Gosh, ein Mann hätte ein Herz aus Stein haben müssen, wollte er all das Prachtvolle übersehen, das das Leben selbst hervorgezaubert hatte. Sie war nicht viel älter als er und doch, so schien ihm, war sie in ein leuchtendes Licht getaucht, so weit fern, dass er es einfach nicht wagen durfte, sie lange anzusehen, denn je länger er es tat, um so schneller schlug sein Herz.
Nun, Dan Flemming war unerfahren, und was ihm in ihrer Gestalt entgegentrat, war etwas, mit dem er einfach nicht fertig werden konnte. Er hatte weder die Erfahrung noch die Reife dazu.
„Ich sehe dich recht deutlich“, sagte er, „doch hinter dir sehe ich deinen Gatten und deinen Stamm. Ich bin nur euer Gast und kann nicht die Hände nach dir ausstrecken. So vergilt man keine Gastfreundschaft, Ann. Ich könnte nicht mehr in einen Spiegel sehen, ich müsste mein Gesicht anspucken. Dein Mann war wie ein Vater zu mir und du wie eine Mutter.“
„Ich deine Mutter, Dan. Ich bin nicht viel älter als du! Ich war fast noch ein Kind, als ich zur Heirat gezwungen wurde. Was wusste ich wirklich vom Leben? Sicherlich so viel, wie du im Augenblick. Ich bitte dich, lasse mich nicht im Stich, ich hoffe und zähle auf dich, nur du kannst meinem Leben eine andere Richtung verleihen. Lass uns fliehen und ein neues Leben beginnen!“
Dan antwortete nicht. Was sollte er auch sagen? Wenn er ehrlich zu sich sein sollte, so musste er sich gestehen, dass er Angst hatte, Angst vor der Zukunft und vor den Rohhäutern, vor dem eigenen Ich. Sein Herz krampfte sich in ihm zusammen. Wortlos hatte er sie stehen lassen und war fortgegangen. Er hatte nicht gewagt, sich ein einziges Mal nach ihr umzusehen. So sah er die Tränen nicht, die über ihre Wangen liefen. Ihre Tränen wurden nicht aus Scham oder Wut vergossen, nicht aus Eitelkeit oder gekränktem fraulichen Stolz. Es waren Tränen der Hilflosigkeit.
Dan kehrte ins Lager zurück, und hier bemerkte er, wie man ihn verstohlen betrachtete, wie sich etwas Bösartiges gegen ihn zusammenbraute. Den ganzen Tag über sprach außer den beiden Brüdern niemand mit ihm.
„Kleiner, du hast da ein Feuer entfacht, das du kaum noch wirst löschen können!“
„Lass ihn, Paul“, mischte Lee Millard sich ein. „Er kann nichts dafür. Aber so ist es, niemand weiß, wann es einen erwischt und innerlich verzehrt. Die Umgebung merkt es schneller, und wenn da Bindungen und Gesetze sind, werden sie verteufelt misstrauisch, und auch daran kann unser Kleiner nichts ändern. So ist es nun einmal im Leben, und so wird es bleiben, gleich wo es ist. Es fragt sich nur, ob es so gut ist, nicht wahr, Paul?“
Der Angeredete nickte bedächtig und sah auf seine Stiefelspitzen nieder.
„Du und ich, wir beide sind wie Adler, Bruder. Wir können uns erheben, wenn es uns passt, das aber wird unser Kleiner nie können. Es wäre daher besser für ihn, wenn er die Gastfreundschaft der Rohhäuter nicht länger in Anspruch nehmen würde. Er ist flügge geworden und wird auf eigenen Beinen stehen können. Er schießt eine schnelle Kugel und ist auch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Das beste ist, Sonny, wenn du verschwindest!“
„Ich glaube das auch“, sagte Lee. „Mach dich davon, bevor der Alte dir den Kopf abschießt und wir für dich ein Grab ausheben müssen. Diese attraktive Ann hat völlig die Übersicht verloren. Ihr ewig nörgelnder, zur Gewalt neigender Mann ist ihr wohl stets gleichgültig gewesen. Sie sieht nur noch dich, mein Junge, und wenn du bleibst, so werdet ihr beide bald dieser schönen Welt so long sagen müssen. Es lohnt sich nicht, Kleiner, denn das Leben ist lebenswert. Wenn man erst die Augen für immer geschlossen hat, gibt es kein Erwachen im hellen Sonnenlicht. Es gibt überall schöne Frauen und wenn du dir die Mühe machst, ein wenig in der Welt herumzureiten, wirst du es immer wieder bestätigt bekommen.“
„Genau so ist es“, bekräftigte Paul. „Das war die längste Rede, die du jemals gehalten hast, Lee. Tu, was wir dir anraten, Kleiner, verschwinde heimlich still und leise, noch in dieser Nacht. Der Alte hat nichts Gutes mit dir vor.“
„Ich habe nichts Unrechtes getan.“
„Darauf kommt es nicht an. Ich sagte schon einmal, dass du Pech hast und es dir irgendwie anhaftet. Du wolltest schon immer das Grab deines Vaters besuchen, nun, das kannst du jetzt tun. Es
sind Jahre vergangen und deine Steckbriefe sind verwittert. Die Jahre haben dich so verändert, dass dich kaum noch ein Verwandter erkennen würde. Es ist also kein Grund, es nicht zu tun. Wenn du