„Was fällt euch ein, Männer? Da gibt es tausend Bessere.“
„Wir wollen nicht tausend, Mr. Brat“, erklärte Raines, der Bürgermeister. „Wir wollen nur einen. Und ich könnte mir vorstellen, dass Sie dieser eine sind.“
„Ich bin ein wenig überrumpelt, Sir. Mit einer solchen Möglichkeit hätte ich nie gerechnet.“
„Das ist auch nicht nötig. Sagen Sie einfach ja, damit wir abstimmen können.“
Collin Brat zierte sich gerade solange, wie er es für wirkungsvoll hielt. Dann stimmte er zögernd zu.
„Aber wirklich“, meinte er, „mir wäre es lieber, wenn es ein anderer machte.“
„Mir auch!“, tönte eine klare Stimme durch den Versammlungssaal.
Ein paar hundert Köpfe wandten sich zur Tür. Dort stand Doc Bishop und erwiderte ruhig die fragenden Blicke.
„Heißt das, dass du dich selbst für den Job interessierst, Henry?“, fragte der Bürgermeister amüsiert. Die Anwesenden lachten prustend.
„Für solche Witze sind wir beide schon zu alt, York“, wies ihn der Doc zurecht. „Ich wollte damit sagen, dass ich es gut fände, wenn wir auch einen Gegenkandidaten hätten, damit es zu einer wirklichen Entscheidung kommt.“
„Sprichst du von Mr. Gates?“
„Von dem spreche ich.“
„Aber du sagtest mir, dass er deinen Vorschlag abgelehnt habe.“
„Stimmt! Aber ich könnte mir denken, dass es ihn vielleicht reizt, gegen Mr. Brat anzutreten. Fragen wir ihn doch am besten selbst.“ Er schob den Halbindianer etwas in den Vordergrund, und ein Raunen ging durch den Saal. Manche konnten sich noch an Chaco erinnern. Den meisten war er unbekannt. Alle aber sahen, dass er ein Halbblut war, und wenn sie auch im Grunde nichts gegen Mischlinge hatten, so ging es hier doch immerhin darum, den Marshalposten zu besetzen, und da sollte man gefälligst die Kirche im Dorf lassen. Erregte Stimmen wurden laut.
„Ein Roter?“
„Er hat Gibsonville schon vor Jahren vor einer Riesendummheit bewahrt“, erinnerte der Doc.
„Aber er gehört nicht in unsere Stadt. Er ist ein Fremder.“
„Wir suchen keinen Mann, mit dem wir Erinnerungen austauschen wollen, sondern der mit unerbittlicher Hand für Ordnung sorgt“, entkräftete der Arzt diesen Einwand.
„Habe ich den Burschen nicht erst heute früh mit Morton die Köpfe zusammenstecken sehen? Ein Marshal, der so vertraut mit einem Mörder ist, dürfte kaum der geeignete Schutz für uns sein.“
Doc Bishop schrie den Sprecher zornig an: „Es ist mir neu, dass Morton bereits des Mordes überführt worden ist! Im Übrigen hat auch Mr. Brat am Abend vorher mit ihm gesprochen. Ja, er hat sogar verhindert, dass Mr. Bibbs ihn über den Haufen schoss. Mit anderen Worten, er hat ihn geschützt. Trotzdem unterstelle ich ihm nicht, mit einem Killer gemeinsame Sache zu machen. Wir sind hier nicht zusammengekommen, um über den Fall Lamont zu befinden, sondern um uns einen Marshal zu wählen.“
„Stellen Sie sich der Wahl, Mr. Gates?“, fragte York Raines.
Chaco hätte dem Doc am liebsten den Hintern versohlt. Aber er hatte sich schon selbst seine eigenen Gedanken gemacht. Und er gab seine Zustimmung.
Der tückische Blick, der ihn aus den Augen Collin Brats traf, verriet ihm, dass er einen unerbittlichen Widersacher gefunden hatte, gleichgültig, wie diese Wahl ausgehen würde.
Das Ergebnis fiel knapper aus, als erwartet. Chaco hatte nicht mit so vielen Stimmen gerechnet. Doch zum Schluss hatte doch Collin Brat die Nase vorn, und Chaco war nicht mal sauer deswegen.
Doc Bishop dagegen teufelte: „Hoffentlich müssen wir diese Wahl nicht bald bitter bereuen. Das wäre nicht passiert, wenn du gleich meinem Vorschlag zugestimmt hättest, Chaco.“
Chaco lächelte.
„Sie sind ein schlechter Verlierer, Doc. Ich bin froh, dass es so ausgegangen ist. Immerhin wissen wir jetzt, wer auf der Seite von Collin Brat steht und wer auf unserer.“
„Und wer auf der Seite von Andie Morton steht, werden wir auch bald erfahren. Der Junge ist schon so gut wie tot.“
„Bis jetzt befindet er sich noch auf freiem Fuß. Und ich möchte Collin Brat nicht zu dem Fehler raten, ihn einzusperren.“
„Und wenn er es doch tut?“
Chaco blickte durch den Doc hindurch.
„Dann wird er seine Gründe haben, denke ich.“
16
Chaco hielt sich nicht gerne in Saloons auf, in denen er kaum jemanden kannte. Im Grey Horse Saloon kannte er nicht mal das Mädchen hinter der Theke, obwohl er inzwischen mitgekriegt hatte, dass es sich Lola Winters nannte. Ihr richtiger Name war aber bestimmt viel bürgerlicher.
Er stand nicht wegen dieses Mädchens hier. Es gefiel ihm nicht besonders. Trotz seiner Jugend sah es schon ziemlich verlebt aus. Dunkle Ringe unter den Augen erzählten von langen, anstrengenden Nächten. Die Haut war dick mit einer Puderschicht verklebt. Das Zeug hatte Lola wahrscheinlich von einem der fahrenden Händler erstanden. Es stank verdächtig nach einer Mischung von Maismehl und ranzigem Fett.
Chaco trank sein Bier in kleinen Schlucken. Er wartete auf einen Mann. Doch dieser Mann kam nicht. Er wartete fast zwei Stunden. Er musste wohl oder übel ein zweites Bier bestellen. Wenig genug für die lange Zeit.
„Bist du inwendig nicht schon ganz vertrocknet?“, fragte Lola besorgt.
Chaco überhörte die Frage. Er antwortete mit einer Gegenfrage: „Wo bleibt denn heute dein Stammkunde?“
„Willst du was von Jerome?“
„Hätte vielleicht ein Geschäft vorzuschlagen.“
„Tatsächlich? Spuck es aus! Wenn ich Jerome sehe, werde ich es ihm sagen.“
„Du siehst ihn oft?“
„Eigentlich jeden Abend.“
„Hier im Saloon?“
„Wo sonst? Du glaubst doch nicht ...?“
Chaco machte eine beschwichtigende Handbewegung.
„Was ginge es mich an? Kommt er heute später?“
„Kann sein. Was ist das für ein Geschäft?“
„Eigentlich ist es nur ein guter Rat.“
„Einer, der was kostet?“
„Nur ein offenes Ohr und ein bisschen Verstand.“
„Das müsste möglich sein.“ Lola schmunzelte. Ihr Blick verschleierte sich. Es musste doch möglich sein, diesen Burschen aus der Reserve zu locken. Schließlich hatte sie was zu bieten. Sie beugte sich weit über den Tresen. Diese Haltung verfehlte bei Jerome nie ihre Wirkung. Das Halbblut schenkte ihr kaum einen flüchtigen Blick und feuchtete sich dann wieder die Lippen mit dem warmgewordenen Bier an.
Lola seufzte enttäuscht. Schade! Der Junge sah fantastisch aus. Darüber, dass er ein Halbblut war, konnte man ja hinwegsehen. Es gab schlimmere Gebrechen.
„Du willst es mir also nicht verraten?“
„Nein, Mädchen, ich möchte dich wirklich nicht beunruhigen.“
Er ließ den Rest des Biers stehen