Eine solche Ausdifferenzierung ist jedoch nicht automatisch mit einer Vertiefung und Spezialisierung der Analysewerkzeuge gleichzusetzen, denn obwohl Konferenzen, Dissertationen/Habilitationen und Sammelbände zum Computerspiel mittlerweile keine Kuriositäten, sondern feste Bestandteile des akademischen Diskurses sind, steht eine nachhaltige Institutionalisierung – insbesondere, aber nicht nur in der deutschsprachigen Computerspielforschung – noch am Anfang. Game Studies bleiben, auch im Zeitalter des Massenmediums Computerspiel, in vielen Fällen ein akademischer ›Liebhaberdiskurs‹, ein ›zweites Standbein‹, das neben dem ›offiziellen‹ Forschungsinteresse existiert. Nur langsam ändert sich diese Situation im deutschen Sprachraum.1
Dieser Band versteht sich daher als Bestandsaufnahme eines Faches im Umbruch. Dabei geht es um eine Verortung der Game Studies zwischen den Disziplinen, um Perspektiven und Perspektivierungen, Ausblicke und Rückblicke, um eine Präsentation neuer Ansätze und um die Re-Lektüre bestehender Forschungspfade. Welche (inter-)disziplinären Kooperationen haben sich als fruchtbar erwiesen, welche sind gescheitert? Wie verhalten sich Game Studies und Game Design bzw. Game-Design-Theorie zueinander? Und nicht zuletzt: Wie hat der (massen-)kulturelle Durchbruch digitaler Spiele andere Disziplinen beeinflusst, etwa Literatur-, Kunst-, Theater- und Filmwissenschaft?
Der Band gliedert sich in drei Kapitel: »Genres | Games«, »Künste | Kulturen« sowie »Diskurse | Disziplinen«. Den Auftakt macht jedoch – als Prolog – ein ebenso pointiertes wie provozierendes Manifest des Game Designers und Game-Design-Theoretikers Eric Zimmerman. Seine Grundthese lautet: War das 20. ein Jahrhundert der Information, so wird das 21. ein Jahrhundert der Spiele und des Spielerischen. Eine entscheidende Konsequenz, die Zimmerman mit diesem Wandel verbindet, betrifft den kulturellen Umgang mit den Spielen selbst: »Im ludischen Jahrhundert werden wir alle Game Designer. [...] Je mehr Menschen spielend in das ludische Jahrhundert eintauchen, desto mehr verwischen sich die Grenzen zwischen denen, die Spiele spielen, und denen, die sie designen.«2 (»Manifest für ein ludisches Jahrhundert«)
Die vier Beiträge des Kapitels »Genres | Games« setzen dann jenseits einer ›klassischen‹ Genreanalyse an, indem sie gerade nicht auf (den Untersuchungsgegenstand vermeintlich ordnende) klassifikatorische Ansätze abzielen,3 sondern sich einerseits bewusst den Anomalien und blinden Flecken einer sich rasant massenmedial ausdifferenzierenden Computerspiellandschaft4 zuwenden und andererseits kritische Re-Lektüren und Reflexionen der interdisziplinären Schnittstellen der Game Studies vornehmen. Der Zusatztitel »Games« will außerdem verdeutlichen, dass alle vier Beiträge – indem sie die Unebenheiten ihrer Gegenstände und Diskurse hin- aber auch ernstnehmen – ihre Argumentation aus einer betont materialnahen, teils bewusst auf ein einzelnes Spiel fokussierten Perspektive heraus entwickeln.
Ein erster blinder Fleck der Game Studies, der in den Blick genommen wird, sind sogenannte Editor-Games, Spiele wie MINECRAFT oder LITTLEBIGPLANET,5 die einen Schwerpunkt auf ein Verändern oder Ergänzen – ein Editieren – der Spielwelt legen. Pablo Abend und Benjamin Beil dient dieses ›Genre‹ als Ausgangspunkt einer kritischen Betrachtung verschiedener aktueller Positionen der Game Studies, die – so die These der Autoren – oft dazu tendieren, in ihren Analysen die nicht-ephemeren Elemente von Computerspielen (ihre Narrationen und audiovisuellen Qualitäten) zu betonen. Demgegenüber finden sich die Attraktionsmomente von Editor-Games »nicht mehr nur ›im Spiel‹, sondern einerseits in kreativen spielerischen Praktiken und andererseits in den Paratexten, denn ebenso wichtig wie das Spiel selbst sind die zahlreichen Foren und YouTube-Channels, in denen die […] Spieler in Let's Play-Videos ihre Spiel-Erlebnisse und -Ergebnisse präsentieren und kommentieren.«6 (»Editor-Games. Das Spiel mit dem Spiel als methodische Herausforderung der Game Studies«) Abend und Beil zeigen dabei verschiedene Perspektiven auf – von medienhistorischen über -ästhetische bis hin zu -ethnographischen Ansätzen –, die eine erste analytische Annäherung an die partizipativen Medienkulturen eines ›Spiels mit dem Spiel‹ erlauben.
Attraktionsmomente, die jenseits der innerdiegetischen Spielwelt liegen, untersucht auch Judith Ackermann, die in ihrem Beitrag – ausgehend von theaterwissenschaftlichen Ansätzen – die vielfältigen Rollenverschiebungen zwischen Spieler und Zuschauer in digitalen Spielen systematisch beschreibt. Ackermann entwickelt dabei das Konzept des Hybrid Reality Theatres, »um zum einen auf die generellen Schnittmengen zwischen digitalem Spiel und Theater hinzuweisen und zum anderen die parallele Bespielung von digitalem und physischem Raum zu betonen.«7 (»Digital Games und Hybrid Reality Theatre«) Die Autorin identifiziert drei maßgebliche Konstellationen von Aufführungen: im privaten, im teilöffentlichen und im öffentlichen Raum. Bei Aufführungen digitalen Spielens im Privatraum handelt es sich um Single-Player-Modi, die jedoch nicht selten auch gemeinschaftlich genutzt werden; teilöffentliche Aufführungssituationen finden sich im Bereich des e-Sports, aber z.B. auch zunehmend im musealen Kontext; Aufführungen im öffentlichen Raum schließlich zeigen sich aktuell u.a. in Form von sogenannten Location-based Games, die wiederum ganz neue Formen einer ›klassischen‹ Rollenverteilung von Spieler und Zuschauer hervorbringen.
Auch Andreas Rauschers Beitrag widmet sich einer interdisziplinären Analyse von Spielräumen – allerdings geht es ihm um den Vergleich filmischer und spielerischer Rauminszenierungen. Rauscher stellt – ausgehend von der filmischen Mise en Scène – sein Konzept der Mise en Game vor. Die Mise en Game nimmt zwar die vielfältigen ästhetischen Stilmittel der filmischen Rauminszenierung auf, transformiert diese jedoch innerhalb eines spielerisch-interaktiven Settings. Anhand einer Fülle von Fallbeispielen veranschaulicht Rauscher dabei die komplexen intermedialen Wechselspiele von Computerspiel und Film und zeigt neue Potenziale der interdisziplinären Verbindung von Game Studies und Filmwissenschaft auf. »Die Mise en Game kann jenseits des durch den interaktiven Film beförderten ›Cinema Envy‹ dazu beitragen, dass die Gemeinsamkeiten, aber auch die medienspezifischen Unterschiede zwischen den Kunstformen Film und Videospiel sich präziser definieren und diskutieren lassen.«8 (»Mise en Game – Die spielerische Aneignung filmischer Räume«)
Eine dritte Variante interdisziplinärer wie intermedialer Annäherungen an das Computerspiel demonstriert Lisa Gotto am Beispiel von TYPE RIDER.9 Auf den ersten Blick präsentiert dieses Adventure Puzzle Game eine Reise durch die Geschichte der Schrift – von der Keilschrift über die Druckerpresse bis zur digitalen Textverarbeitung –, wobei die jeweilige Schriftbildlichkeit der einzelnen Epochen zur Spielweltarchitektur transformiert wird. Gottos Analyse zeigt jedoch, dass TYPE RIDER nicht einfach nur die Mediengeschichte der Schrift Revue passieren lässt, das Spiel also »die Veränderbarkeit von Schreibverfahren nicht nur thematisch verarbeitet, sondern über spezifisch mediale Anordnungen auch selbst vorantreibt.«10 (»TYPE RIDER: Typenspiel und digitale Graphie«) Dem