»Wir sollten jetzt in den Ort fahren, und etwas essen, Madlon. Darf ich dich einladen? Wir sind bestimmt wieder zurück, wenn Nils wach wird. Für mich ist es nicht so wichtig, aber du kannst nicht ohne zu essen den ganzen Tag am Bett unseres Jungen sitzen. Der Tag kann noch lang werden, und du solltest deine Kräfte einteilen. Bist du einverstanden?«
»Und wenn die Untersuchungsergebnisse eher kommen?«
»Das glaube ich nicht. Dr. Martens hatte dir doch etwas davon gesagt, daß es wohl erst gegen Abend soweit sein würde. Und wir sind ja nicht lange fort.«
»Ja, gut, ich bin einverstanden.«
Guido informierte Schwester Laurie, und sie verließen die Klinik.
»Ob ich wohl auch noch ein freies Zimmer bekommen könnte? Ich möchte auf keinen Fall wieder nach Hause fahren, ehe Nils außer Gefahr ist«, sagte Guido, während sie die kurze Strecke bis nach Ögela fuhren.
»Ich kann es dir nicht sagen, du mußt es eben versuchen. Da vorn ist der Heidekrug schon. Du kannst ja etwas zu essen bestellen, während ich mich in meinem Zimmer frisch mache. Bitte für mich nur etwas Leichtes, ich habe keinen großen Appetit.«
»Wie du möchtest. Ich kümmere mich in der Zwischenzeit auch darum, ob ich noch ein Zimmer mieten kann. Meine Tasche mit den nötigen Kleinigkeiten habe ich vorsichtshalber im Wagen. Mal sehen.«
Madlon nickte nur und betrat mit Guido das Gasthaus. Sie ging nach oben, während Guido sich um die anderen Dinge kümmerte.
Madlon mußte sich eingestehen, daß es ihr guttat, so umsorgt zu werden. Sie dachte an das glückliche Gesicht ihres Sohnes, als er beide Elternteile bei sich sah, und ein zärtliches Lächeln legte sich um ihren Mund.
Dieses Lächeln blieb auch noch, als sie Guido wenig später beim Essen gegenübersaß. Sie war in Gedanken vertieft und bemerkte nicht seine zärtlichen und zugleich sehnsüchtigen Blicke, mit denen er sie schweigend musterte.
Als sie es doch gewahrte, zuckte sie leicht zusammen, und ihr Gesicht überzog sich mit einer dunklen Röte, als Guido mit leiser Stimme sagte:
»Du bist noch schöner geworden, Madlon. Was war ich doch nur für ein Dummkopf. Willst du es dir nicht überlegen, und es noch einmal mit mir versuchen?«
Zunächst lag eine scharfe Erwiderung auf Madlons Zunge, doch sie schluckte sie hinunter und sagte statt dessen:
»Bitte, laß mir Zeit, Guido. Erst muß die Sache mit Nils vorüber sein. Laß uns jetzt bitte wieder zu Nils in die Klinik fahren.«
Guido wußte, daß jetzt nicht der Zeitpunkt war, mehr zu sagen. Wortlos stand er auf.
*
Es ging schon auf neunzehn Uhr zu, und Guido war noch immer mit Madlon in der Kinderklinik.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren weder Kay noch Hanna im Zimmer des Jungen gewesen. Madlon sah es als ein schlechtes Zeichen an, und mit jeder verstreichenden Minute wurden ihre Unruhe und ihre Sorgen größer. Dabei hatte Kay es nur vermieden, Nils im Krankenzimmer aufzusuchen, weil er zufällig gesehen hatte, wie Madlon und ihr geschiedener Mann gemeinsam die Klinik betreten hatten.
Es hatte ihm einen wehen Stich versetzt, und seine Hoffnung, sie doch für sich zu gewinnen, war geringer geworden
Gegen halb acht kam Dieter Rößler zu Kay ins Sprechzimmer und überreichte ihm einen verschlossenen Umschlag. Mit Spannung nahm Kay ihn entgegen.
»Mit herzlichem Gruß von Professor Löblich«, überbrachte Dieter Rößler.
»Danke. Hoffentlich ist es eine gute Nachricht. Gehen Sie jetzt nach Hause. Für Sie war es ein langer Tag heute. Kommen Sie morgen ein paar Stunden später zum Dienst.«
»Aber Chef, das ist doch nicht notwendig. Ich hab’s doch gern getan.«
»Ich weiß, aber trotzdem ist es ganz gut so. Ich möchte auch nicht weiter darüber diskutieren. Alles klar?«
»Alles klar. Und vielen Dank.«
Erst als er allein war, riß Kay hastig den Umschlag auf und zog den Bogen mit den Untersuchungsergebnissen hervor. Ein bißchen flau war ihm dabei schon in der Magengegend, denn was würde er jetzt zu lesen bekommen?
Schon nach den ersten Reihen atmete er erleichtert auf, und seine gerunzelten Brauen glätteten sich. Er hatte hier schwarz auf weiß stehen, daß es sich bei Nils um eine gutartige Geschwulst handelte.
Ihm fiel ein Stein vom Herzen, denn dieses Ergebnis erleichterte die weitere Behandlung kolossal. Alle Sorgen der vergangenen Tage verflogen im Nu. Den ganzen Tag über hatte er in Gedanken sorgfältig abgewogen, was er weiter tun würde, wenn…
Doch das, was er den Eltern von Nils so sehr gewünscht hatte, vor allen Dingen natürlich Nils selbst, war Wirklichkeit geworden. Er mußte jetzt sofort hinauf auf die Krankenstation und Nils’ Eltern von ihrer bangen Ungewißheit befreien. Sie warteten sicher schon sehnsüchtig auf ihn.
Er stand auf, straffte sich und machte sich auf den Weg nach oben.
Unterwegs nahm er sich vor, daß er im Anschluß an das Gespräch mit Nils’ Eltern sofort ins Doktorhaus hinübergehen und es Hanna erzählen würde. Jetzt konnten sie am kommenden Morgen die Operation durchführen, die Nils von seinen Beschwerden befreien wurde. Bei der nun anstehenden Operation zur Entfernung der Geschwulst waren keine Komplikationen zu befürchten. Mit weit ausgreifenden Schritten näherte er sich der Zimmertür und klopfte energisch an.
Madlon sah ihn mit aufgerissenen Augen entgegen, und in ihren Blicken konnte er die bange Frage lesen. Auch Guido sah ihn erschrocken an.
»Hallo, Nils. Wie fühlst du dich?« wandte er sich zunächst an den Jungen.
»Gut, Herr Doktor. Sehen Sie mal, mein Vati und meine Mutti sind hier.«
»Schön«, antwortete Kay schmunzelnd.
Dann wandte er sich an die beiden Erwachsenen.
»Kann ich Sie beide mal einen Moment sprechen?«
»Ja, natürlich«, sagten Madlon und Guido wie aus einem Mund und erhoben sich sofort.
Sie folgten Kay auf den Gang und schlossen sorgfältig die Tür hinter sich. Dann hefteten sich zwei bange Augenpaare an seinen Mund.
»Sie haben das Ergebnis, Dr. Martens?« fragte Guido mit einer Stimme, die ihm kaum gehorchen wollte.
»Ja, nicht wahr?« sagte auch Madlon aufgeregt. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach, denn von Kays Antwort hing es ab, wie sich die nächsten Tage gestalten würden.
»Bitte, sei ganz ruhig, Madlon«, bat Kay. »Es ist kein Grund zur Sorge mehr vorhanden. Ich habe gerade das Ergebnis erhalten. Und ich habe eine ausgesprochen gute Antwort erhalten. Es handelt sich bei Nils um eine gutartige Geschwulst. Wir können Nils operieren, ohne Komplikationen befürchten zu müssen. Ich kann Ihnen beiden gar nicht sagen, wie erleichtert ich über diese Benachrichtigung bin.«
Sekundenlang starrte Madlon Kay nur an. Sie war nicht fähig, auch nur ein Wort hervorzubringen. Dann aber begann es in ihren Augen zu glänzen, und Freudentränen sickerten hervor.
»Wie wunderbar das ist. Unser Herrgott hat unser Gebet erhört. Guido, unser Junge wird wieder gesund werden.«
Ihr unbewußt, tastete ihre Hand zu der von Guido, der sie mit festem Druck umspannte. Nur Kay sah es, und es traf ihn tief.
Äußerlich ließ Kay sich jedoch nichts von seinen Gefühlen anmerken, und er sagte:
»Ich lasse Sie jetzt allein, denn ich muß noch einige Anweisungen geben, damit jeder weiß, daß die Operation morgen stattfinden kann.«
Kay erwartete weder ein Wort von Madlon noch eine Antwort von ihrem geschiedenen Mann. Hastig wandte er sich um und ging mit langen Schritten davon.
Als Kay das Doktorhaus betrat, öffnete Hanna ihre Wohnungstür.
»Kay,