Ronaldo muss seinen Platz in der 33. Minute nach einem überharten Einsteigen von Boulahrouz unter Zornestränen für Simão räumen. Er kann sein Bein kaum noch bewegen, und sein Einsatz im Viertelfinale gegen England steht bis zur letzten Minute auf der Kippe. Den will er aber auf keinen Fall verpassen – immerhin träfe er da ja auf einige seiner Mannschaftskollegen von Manchester United. Außerdem hofft er ganz fest, sich auf dem Flügel mit Gary Neville duellieren zu können.
Am 1. Juli um 17 Uhr werden in Gelsenkirchen die Mannschaftsaufstellungen verkündet. Ronaldo ist wieder auf dem Damm und wird mit der 17 auf dem Rücken auflaufen. England hat sich im Achtelfinale mühsam mit 1:0 gegen Ecuador durchgesetzt. Der schwedische Trainer der Three Lions, Sven-Göran Eriksson, hat großen Respekt vor dem Gegner und dessen Coach. Immerhin sorgte Luiz Felipe Scolari als Brasiliens Nationaltrainer für Englands Ausscheiden bei der WM 2002 in Japan und Südkorea. Nach seinem Wechsel zu den Portugiesen hat seine Mannschaft England dann auch bei der EM 2004 aus dem Turnier geworfen.
Die Partie beginnt. Auf den Rängen übertönen die 45.000 englischen Fans die 5.000 anwesenden Portugiesen. „Stand up for the Englanders“, „Steht auf für die Engländer“, skandieren sie. Doch England zeigt sich blass und liefert ein enttäuschendes Spiel ab. Auch die Führungsspieler Frank Lampard, Steven Gerrard und Wayne Rooney können daran nichts ändern. Portugal dagegen kontrolliert in der eigenen Hälfte den Ball, kann jedoch jenseits der Mittellinie nichts ausrichten. Man bekommt keinen Schwung ins Spiel und hat Probleme mit der Spieleröffnung. Deco wird schmerzlich vermisst, und es zeichnet sich ab, dass weder Pauleta noch Hélder Postiga ein Tor schießen werden. Die Knipser knipsen nicht.
Cristiano zeigt auf dem Flügel, was er kann. Langsam, aber sicher zermürbt er Gary Neville. Gerrard und Lampard müssen dem linken Außenverteidiger immer wieder zu Hilfe eilen. Sobald Cristiano allerdings in die Mitte zieht, verlöschen sein Feuer und seine Dynamik.
Schlimmer noch: In der 62. Minute kommt es zu einem Vorfall, der noch Monate später für hitzige Debatten sorgen wird. Ricardo Carvalho hat Wayne Rooney an der kurzen Leine und lässt ihn zu keiner Zeit entkommen. Frustriert versucht Englands Nachwuchshoffnung, sich durch das Netz der portugiesischen Verteidiger zu tanken und zwischen Carvalho und Petit durchzubrechen. Nach kurzem Kampf bleibt Carvalho auf dem Boden liegen, Rooney tritt unabsichtlich auf ihn drauf und erwischt ihn mit den Stollen in der „kritischen Zone“. Auf das Foul folgt augenblicklich eine Rudelbildung englischer und portugiesischer Spieler. Cristiano trifft als Erster am Ort des Geschehens ein und stürzt sich auf den Schiedsrichter. Rooney schubst ihn daraufhin weg und sagt wohl etwas wie: „Halt dich da raus!“ Englands Owen Hargreaves versucht, die beiden auseinanderzuhalten, während auf Portugals Seite Maniche die Gemüter beruhigen will.
Der Vorfall hat sich direkt vor der Nase von Schiedsrichter Horacio Elizondo ereignet. Die Portugiesen fordern nun einen Platzverweis für Rooney. Der Schiri zögert kurz und zückt dann die Rote Karte. Englands Nummer 9, Cristianos Sturmkollege bei Man United, tritt den Weg in die Kabine an. Die englischen Spieler sind wütend über die aus ihrer Sicht unfaire Entscheidung und skandieren „Cheat, cheat, cheat!“, „Schwindler, Schwindler, Schwindler!“, in Richtung Carvalhos, der auf der Trage vom Platz befördert wird. In den folgenden Monaten wird die Auseinandersetzung zwischen Cristiano und Rooney immer wieder Thema in den britischen Medien sein. Doch dazu später mehr, jetzt erst einmal zurück zum Spiel.
Eriksson reagiert auf den Platzverweis und entscheidet sich, Joe Cole durch Peter Crouch zu ersetzen. England schafft es auch mit zehn gegen elf, das Ergebnis zu halten. Man zieht sich weit zurück und spielt lange Bälle auf den über zwei Meter großen Mannschaftskameraden, der die Kugel behaupten soll, bis Verstärkung nach vorne geeilt ist. Scolari hingegen bringt Simão für die linke Seite und schickt Cristiano ins Angriffszentrum. Dort sieht er allerdings kein Land, weshalb ihn der Trainer wieder zurück auf den Flügel beordert.
Englands Mannen überstehen den Ansturm der Portugiesen, und nach 90 Minuten steht es weiterhin 0:0. Portugal hat aus der Überzahl keinen Vorteil ziehen können, zumal Erikssons Jungs durch Konter immer wieder für Gefahr sorgten. In der Verlängerung brennt es zwar vor Robinsons Tor, aber die Portugiesen agieren zu planlos und lassen jede Kreativität vermissen. England hält sich irgendwie über Wasser, und es geht ins Elfmeterschießen.
Ricardo, Torhüter von Sporting Lissabon und Held der EM 2004, nachdem er dort zwei englische Elfmeter abgewehrt hatte, steht ganz ruhig und konzentriert auf der Torlinie. Die Spannung, die sich auf dem Platz aufgebaut hat, scheint an ihm vorbeizugehen. Nun tritt Frank Lampard an, um den ersten Elfmeter für England zu schießen. Ricardo kann halten. Nachdem er den zweiten von Hargreaves passieren lassen musste, kann er den dritten von Gerrard wiederum abwehren. Als nächster Engländer ist Jamie Carragher an der Reihe. Er legt sich den Ball auf den Punkt, geht weg, dreht sich schnell um und schießt, ohne allerdings den Pfiff des Schiedsrichters abzuwarten. Elizindo schickt ihn für einen zweiten Versuch zurück. Dieses Mal wartet Ricardo bis zur letzten Sekunde, taucht dann ab und lenkt den Ball an die Latte, von wo er ins Nirgendwo fliegt.
Damit steht es 2:1 für Portugal, und nun ist es an Cristiano, sein Land ins Halbfinale zu schießen. Der Junge von Madeira wirkt nervös. Die Kamera zoomt nahe heran, um zu zeigen, wie er die Lippen schürzt und eine Grimasse schneidet. Er tritt ein wenig auf den Elfmeterpunkt, um ihn einzuebnen, küsst den Ball und legt ihn sich sorgfältig zurecht. Er wählt einen kurzen Anlauf, verzögert kurz und schießt.
Toooooooor! Ronaldo legt den Kopf zurück und schreit gen Himmel, während Fans und Mannschaft ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Er zeigt nach oben und widmet das Tor seinem Vater. „Ich war mir ganz sicher und habe mit voller Kraft draufgehalten“, sagt er hinterher. England muss genau wie schon 2004 die Heimreise antreten. Damals hatte Beckham verschossen. Dieses Mal hat er verletzt zugeschaut.
Am 5. Juli trifft Portugal in München auf die Franzosen um Zinedine Zidane, die zur allgemeinen Überraschung Titelfavorit Brasilien mit Superstar Ronaldinho aus dem Rennen geworfen haben. Portugal legt einen guten Start hin und kann die Franzosen dank einer glänzenden Leistung von Figo, Cristiano Ronaldo und Deco immer wieder in Bedrängnis bringen. Doch in der 33. Minute zieht Thierry Henry in den Strafraum, wo Ricardo Carvalho stolpert und ihn zu Fall bringt. Der uruguayische Schiedsrichter Jorge Larrionda zeigt auf den Punkt, woran auch der Unmut aus Scolaris Lager nichts ändert.
Kapitän Zinedine Zidane, genannt Zizou, trabt zum Elfmeterpunkt. Frankreichs Nummer 10 wählt einen kurzen Anlauf und schießt platziert ins Eck. Ricardo ahnt die Ecke, ist aber machtlos. Damit steht es 1:0, und das wird bis zum Schlusspfiff auch so bleiben. Patrick Vieira und Claude Makélélé sorgen dafür, dass ihre Abwehr nicht durchbrochen wird. Die Portugiesen lassen den Ball zirkulieren und versuchen alles, um vor das Tor zu kommen. Figo und Cristiano bearbeiten die Flügel, aber jeder Ansturm scheitert an der französischen Verteidigungsmauer. Die größte Herausforderung für Fabien Barthez stellt ein Freistoß von Cristiano dar, der direkt auf ihn zufliegt. Frankreichs Torwart versucht, den Ball festzuhalten, kann ihn aber nur abklatschen. Figo hat noch die Chance zum Kopfball, zielt aber knapp neben das Tor.
Nach dem Schlusspfiff weint Cristiano wie schon nach dem Endspiel der EM 2004, während Zizou seinen ehemaligen Kollegen von Real Madrid, Luís Figo, tröstet. Dies ist Figos letztes großes Turnier, das Spiel um Platz drei wird sein letztes im portugiesischen Trikot sein. Zum zweiten Mal haben die Franzosen den Portugiesen ein Endspiel vor der Nase weggeschnappt. Bei der EM 2000 war ihnen dies dank eines Tores von Henry sowie durch einen von Zidane verwandelten Strafstoß