Die Partie gegen Russland endet mit einem 0:0-Unentschieden. Ronaldo schafft es nicht, das Tor zu schießen, das er seinem Vater widmen wollte. Das wird ihm erst bei der Weltmeisterschaft in Deutschland gelingen, als er den letzten Elfmeter gegen England verwandelt und Portugal ins Halbfinale bringt. Er wird daraufhin seine Hände zum Himmel erheben und sagen: „Der ist für dich, Vater.“ Immerhin ist er am 7. September im Lokomotiv-Stadion der beste Mann auf dem Platz. Mannschaftskamerad Deco erklärt das später so: „Ich glaube, dass er sich in unserem Kreis wohlgefühlt hat. Wir haben an dem Tag nicht allzu viele Worte über die Sache verloren. Wir wussten, dass es ihm besser gehen würde, sobald er auf dem Platz ist. Fußball macht ihm Freude. Aber ich werde auch nie vergessen, wie er mit diesem Schmerz umgegangen ist. Es war bewundernswert, besonders, wenn man sein junges Alter und den Druck, unter dem er stand, bedenkt.“
Nach dem Spiel kehrt Cristiano Ronaldo nach Madeira zurück. Die Beerdigung seines Vaters findet auf dem Friedhof Santo António in Funchal statt. Die Nachricht vom Tod Dinis Avereiros hat die engverbundene Gemeinde geschockt. Freunden und Nachbarn zufolge war Ronaldos Vater ein „bescheidener Mann, der mit allen gut ausgekommen ist und niemals Schwierigkeiten mit irgendwem hatte“. Ein einfacher Mann, der sich trotz des Erfolges eines seiner Söhne nicht veränderte. Er pflegte die gleichen Gewohnheiten und dieselben Freundschaften wie vor der Zeit, als sein Name bekannt wurde.
Obwohl Cristiano ihm ein wunderschönes Haus mit Blick auf den Atlantik gekauft hatte und ihm jeden nur erdenklichen Luxus verschaffen konnte, stand Dinis auch weiterhin mit dem Morgengrauen auf, um dem Zeitschriftenhändler von Santo António zu helfen. Es war ein Hobby, das er niemals aufgab. Den Morgen verbrachte er dann mit Freunden in der Bar oder bei CF Andorinha, dem Verein, wo einst die fußballerische Karriere seines Sohnes ihren Anfang nahm. Nachmittags fuhr er dann mit dem Bus inklusive einmal Umsteigen wieder nach Hause.
Hunderte Menschen sind bei der Beerdigung anwesend – Freunde, Nachbarn aus dem Viertel, Verwandte, Vertreter verschiedener lokaler Institutionen wie auch aus der Welt des Fußballs. Unter ihnen befinden sich Luiz Felipe Scolari, Paulo Bento von Sporting Lissabon (Cristianos früherer Manschaftskollege und nun Trainer im Verein) und die Vorstände von Andorinha.
Cristiano trägt ein schwarzes Hemd und eine Sonnenbrille. Seine Familie und sein Berater Jorge Mendes sind die gesamte Zeit über in seiner Nähe, und er schafft es, die Fassung zu wahren. Auch wenn er keine Tränen vergießt, so sieht man seinen Augen dennoch an, dass er viel geweint haben muss. Die Familie bittet darum, während der Trauerfeier keine Fotos zu machen. Etwas später äußert sich Cristiano selbst zum Umgang der portugiesischen Medien mit dem Tod seines Vaters, der für vier Tage in Folge Schlagzeilen für die Titelseiten lieferte. „Das hat mir und meiner Familie wirklich weh getan. Wir hätten eigentlich Ruhe und Frieden gebraucht, und am Ende wurde so ein Wirbel darum erzeugt.“
Auf dem kleinen Friedhof in Funchal nimmt Cristiano zum letzten Mal Abschied von dem Mann, der für seine persönliche und berufliche Entwicklung eine Schlüsselfigur gewesen ist. „Mein Vater hat mir immer Mut gemacht“, sagt Ronaldo. „Er hat mir immer gesagt, dass ich ehrgeizig sein soll, und er war stolz auf meine Leistungen als Fußballer. Ich liebe ihn und werde ihn immer lieben. Mein Vater wird immer bei mir sein. Er wird mir immer ein Vorbild sein. Ich glaube, dass er sehen kann, was ich tue und was ich erreiche, wo auch immer er sein mag.“
Dinis mochte die Kameras und das Blitzlicht nicht. Er blieb lieber im Hintergrund. Dennoch war seine Beziehung zu seinem Sohn jederzeit eng. Bevor die „kleine Biene“ auf das portugiesische Festland übersiedelte, um bei Sporting Lissabon zu spielen, waren die beiden unzertrennlich. Sie blieben sich auch nahe, als Ronaldo nach Manchester wechselte. Dinis war häufig bei ihm, besuchte ihn, unterstützte ihn und machte ihm Mut – bis sein Krankheitszustand es nicht mehr zuließ. Immer wieder versuchte Cristiano seinen Vater davon zu überzeugen, eine Klinik aufzusuchen und seine Alkoholabhängigkeit behandeln zu lassen. Doch er konnte ihn nicht retten. Dinis trank weiter, und schließlich konnten nicht einmal mehr Englands beste Krankenhäuser etwas für ihn tun.
Kapitel 9
Eine Falle
Die Vergewaltigungsvorwürfe 2005
„Es war eine falsche Anschuldigung.“
Scotland Yard nennt keine Namen. Man bestätigt nur, dass sich ein etwa 20 Jahre alter Mann auf einem Londoner Polizeirevier gemeldet hat, nachdem eine Frau Anzeige erstattet hatte. Doch die britischen Medien glauben zu wissen, um wen es sich handelt. „Ronaldo wegen Vergewaltigung verhaftet. Fußballschönling Cristiano Ronaldo wegen unglaublichen Vergewaltigungsvorwurfs festgenommen“, heißt es am folgenden Tag auf der Titelseite der Sun. Die Titelstory vom 19./20. Oktober 2005 verbreitet sich rasch um die ganze Welt.
Was steckt dahinter? Eine französische Frau behauptet, am 2. Oktober in einer Suite im Londoner Sanderson Hotel sexuell missbraucht worden zu sein. Sie erklärt gegenüber der Polizei, dass sie und eine Freundin Ronaldo in der angesagten Diskothek Movida in der Nähe des Oxford Circus kennengelernt hätten.
Cristiano befand sich in der Hauptstadt, weil er am Nachmittag ein Spiel in der Premier League gegen Fulham absolviert hatte. United gewann 3:2. Vom Movida waren Ronaldo, ein Freund und die beiden Mädchen noch in die Long Bar des im West End gelegenen Sanderson Hotel weitergezogen. Dort hatten sie sich zwei Stunden lang unterhalten und etwas getrunken, um dann auf die Suite hinaufzugehen. Und dort soll nach Angaben der Mädchen auch die Vergewaltigung stattgefunden haben. Um fünf Uhr morgens verlassen die beiden das Hotel und begeben sich in ein Krankenhaus. Am Montag erstatten beide auf der Polizeiwache West End Central Anzeige. Nachdem man sie befragt und untersucht hat, beginnt die Polizei, die Aussagen der Damen äußerst ernst zu nehmen.
Am 19. Oktober erscheint Cristiano Ronaldo in Begleitung des Anwalts von Manchester United auf der Polizeiwache West Didsbury in London. Er hatte zuvor eine Vorladung der Polizei erhalten im Zusammenhang mit einer Ermittlung, die auf Berichten über einen schweren sexuellen Missbrauch in einem Hotel im Zentrum Londons basiert. Das „Sapphire Command“, also die „Abteilung Saphir“ von Scotland Yard, die sich in erster Linie mit Vergewaltigung und sexueller Gewalt befasst, befragt darüber hinaus auch einen 30-jährigen Mann, der später jedoch wieder gehen darf. Ronaldo aber bleibt auf der Polizeiwache. Man nimmt seine Fingerabdrücke und eine Speichelprobe, und man verhört ihn. Er bestreitet kategorisch jeglichen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs und wird nach knapp neun Stunden wieder entlassen.
Bei der Polizei überlegt man, ob man die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft übergeben soll, damit diese über eine Anklage gegen den Spieler entscheiden kann. „Momentan gibt es von uns keinen Kommentar“, sagt Phil Townsend, Mediendirektor von Manchester United. Reden tut nur einer, nämlich Co-Trainer Carlos Queiroz. In einem Telefoninterview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender Rádio e Televisão de Portugal dementiert er, dass Cristiano verhaftet worden wäre. Er sagt, dass Ronaldo freiwillig auf die Polizeiwache gekommen sei, in Absprache mit Vertretern der Polizei und des Vereins.
„Er ist hingegangen, um eine gemeinsam vereinbarte Aussage zu machen. Auf Basis dieser Aussage werden die Behörden nun gerechte und korrekte Schlussfolgerungen ziehen. Cristiano ist ganz ruhig, auch wenn er natürlich sehr verärgert darüber ist, dass man ihn in diese unwahre Geschichte hineingezogen hat. Es gibt bei solchen Geschichten ja immer zwei Seiten, aber diese Beschuldigungen sind eine Schande.“ Zudem nutzt Queiroz die Gelegenheit und kritisiert die Sensationsgier der Medien. Auch, dass diese ohne jeden Beweis von einer „Verhaftung“ sprechen, prangert er an: „Sie erfinden offenbar gerne Skandalgeschichten ohne Fakten dahinter und schaden damit doch nur den Menschen“, meint Queiroz. „Verhaften sollte man eigentlich diejenigen Medienleute, die immer weiter die Tatsache ignorieren, dass ihre Worte unheimlich großen Schaden anrichten können.“
Cristianos Berater Jorge Mendes schaltet sich zur Verteidigung seines Klienten ebenfalls in die