In der 67. Minute wird Ronaldo gegen Petit ausgewechselt. Zu dem Zeitpunkt steht es 2:1 für Portugal nach einem traumhaften Treffer von Maniche aus 25 Metern und einem Eigentor von Jorge Andrade, und dabei bleibt es am Ende auch. Die portugiesische Nationalmannschaft qualifiziert sich für ihr erstes Endspiel überhaupt.
Am 4. Juli 2004, einem Sonntag, treffen sie im Estádio da Luz in Lissabon auf Griechenland. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Europameisterschaft, dass die beiden Teams aus dem Eröffnungsspiel auch das Finale bestreiten. Nach gerade einmal 23 Tagen trifft man also erneut aufeinander – ein Endspiel, das zu Beginn wohl nur wenige vorausgesagt hätten. Vor dem Turnierstart wurde Portugal zu den Favoriten gezählt, während die Quoten für Griechenland eher bei eins zu achtzig lagen.
Der Weg der Griechen ist kein leichter gewesen. Nach ihrem Sieg gegen die Portugiesen sowie einem Unentschieden gegen Spanien und einer Niederlage gegen die Russen waren sie Zweiter in der Gruppe A geworden. Sie konnten dann gegen Titelverteidiger Frankreich das Viertelfinale gewinnen und haben im Halbfinale die Tschechen geschlagen.
Scolaris Truppe hat sich das Spiel gegen die Tschechen im Fernsehen angeschaut und konnte über das Ergebnis nur den Kopf schütteln. „Was? Schon wieder Griechenland?“, sagten sie einander. „Wir sollen es gegen die Mannschaft zu Ende bringen, die uns zu Anfang geschlagen hat?!“ Trotzdem sind sie alle überzeugt, dass es dieses Mal anders laufen wird. Sie glauben, dass sie gewinnen und den Titel mit der Selecção holen können. Ein ganzes Land hofft mit ihnen und unterstützt sie. Ganz Lissabon ist auf der Straße, winkt und jubelt, und unzählige Fans folgen dem Bus auf dem Weg ins Stadion. Im Stadion selbst herrscht eine knisternde Stimmung, und um Viertel vor acht kommt an diesem Sonntagabend ganz Portugal zum Stillstand.
Vor dem Spiel erklärt Griechenlands Trainer Otto Rehhagel: „Wir sind jetzt so weit gekommen und haben dem griechischen Volk so viel Freude bereitet. Wir haben nichts zu verlieren. Im Eröffnungsspiel hat uns Portugal unterschätzt. Dieses Mal werden sie besser aufpassen. Es ist ja ganz klar, dass sie die Favoriten sind. Sie haben ja die Unterstützung von 50.000 Zuschauern.“ Und das ist nicht alles. Portugal hat in Lissabon seit 17 Jahren nicht mehr verloren, weder im Alvalade noch im Estádio da Luz. Und sie sind das Gastgeberland – ein entscheidender Faktor für Spanien 1964, Italien 1968 und Frankreich 1984.
Doch all diese guten Vorzeichen erweisen sich als nichtig. Portugal tappt in dieselben Fallen wie beim Eröffnungsspiel. Das Märchen des Gastgebers endet genau so, wie es begonnen hat: mit einer Niederlage. Dieses Mal trifft Angelos Charisteas mit einem herrlichen Kopfball in der 57. Minute zum 1:0-Sieg der Griechen. Die Griechen ruinieren die mit so viel Herzblut vorbereitete Feier einer ganzen Nation und bereiten den Portugiesen ihr ganz persönliches Maracanaço – ein Begriff, der nach der ebenso überraschenden wie erschütternden Finalniederlage Brasiliens bei deren Heim-WM 1950 im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro gegen Uruguay geprägt wurde.
Und die Geschichte des Gastgebers endet, wie sie begonnen hat – mit den Tränen Cristiano Ronaldos. Verloren und alleine steht er in der Mitte des Platzes und bemerkt kaum die Gesten und tröstenden Worte seiner Mannschaftskameraden. Er trauert über vergebene Chancen: wie in der 59. Minute, als Torwart Nikopolidis eine seiner Gelegenheiten zunichte machte, oder in der 74., als er ganz frei vor dem Tor stand, den Ball aber trotzdem über die Latte schoss, begleitet vom Raunen der Menge. Er weint, weil er es sich nie hätte vorstellen können, gegen Griechenland zu verlieren, weil „wir ein fantastisches Team hatten, ein großartiges Turnier gespielt haben und es nicht verdient hatten, auf diese Weise zu verlieren“. Weil er „ein Mensch mit großen Zielen“ ist und „Europameister mit 19“ sein wollte. „Doch nun muss ich dieses Kapitel abhaken“, sagt Cristiano noch. „Ich muss nach vorne schauen. Es wird noch viel mehr Gelegenheiten in meiner Karriere geben, in Europa etwas zu gewinnen und diese riesige Enttäuschung wieder wettzumachen.“
Kapitel 8
Trauer
Der Tod des Vaters
„Mein Vater wird immer bei mir sein. Er wird mir immer ein Vorbild sein.“
Es ist neun Uhr abends nach Moskauer Zeit. Cristiano ist auf seinem Zimmer und schaut einen Film, als Portugals Trainer Luiz Felipe Scolari ihn zu sich bestellt. Es ist Dienstag, der 6. September 2005. Am nächsten Tag soll Portugal gegen Russland antreten: ein Schlüsselspiel in der Qualifikation zur WM 2006. Wenn man gewinnt und die Slowakei Punkte liegen lässt, wird man der Turnierteilnahme einen Schritt nähergekommen sein.
Auch Portugals Kapitän Luís Figo befindet sich im Hotelzimmer des Trainers. Cristiano findet diese Zusammenkunft ein wenig seltsam, aber er schöpft keinen Verdacht. Er nimmt an, dass es um irgendeine taktische Angelegenheit geht, irgendetwas, was der Trainer und der Kapitän mit ihm besprechen wollen. Doch sie haben ihn rufen lassen, um ihm den Tod seines Vaters mitzuteilen. Dinis Aveiro ist in einer Londoner Klinik verstorben, nachdem er einige Monate zuvor erstmals in ein Krankenhaus eingeliefert worden war.
Bereits im Juli hatte man ihn mit schweren Leber- und Nierenkomplikationen als Notfall und mit eher vorsichtiger Prognose im Centro Hospitalario, dem Klinikzentrum von Funchal, aufgenommen. In dem Versuch, sein Leben zu retten, lässt Ronaldo ihn für eine Lebertransplantation nach England verlegen. Doch obwohl sich sein Zustand zunächst kurzzeitig verbessert, verstirbt Dinis bald darauf. Sein früher Tod ist auf den Alkohol zurückzuführen und macht Cristiano untröstlich. „Es war, als wenn um uns herum eine Welt zusammenbrach“, sagt seine Schwester Cátia.
Scolari und die Verbandsfunktionäre bieten Ronaldo an, sofort aus Moskau abzureisen, um bei seiner Familie zu sein. Doch der sagt Nein. Er will bei der Mannschaft bleiben und bittet Scolari, ihn spielen zu lassen. „Ich wollte auflaufen. Das wusste ich genau“, wird Cristiano später sagen. „Ich wollte allen zeigen, dass ich die Dinge voneinander trennen kann, dass ich ein Vollprofi bin und dass ich meine Arbeit ernst nehme. Ich wollte das Spiel zu Ehren meines Vaters spielen. Ich wollte ein Tor für ihn schießen. Ich wollte mich selbst auf die Probe stellen und auch alle Menschen, die mich lieben.“
„Ich hoffe, dass das Fußballspielen ihm helfen wird, mit seinen Gefühlen klarzukommen“, sagt Portugals Verbandspräsident Gilberto Madaíl. Und als die Presse ihn fragt, wie es dem Spieler gehe, antwortet er: „Ich habe einen 20 Jahre alten Mann gesehen, der wegen des Verlusts seines Vaters am Boden zerstört ist. Die Sache ist ja kompliziert. Auch wenn es abzusehen war, hatte nun mal niemand gedacht, dass es so plötzlich kommen würde. Es ist eine sehr schmerzhafte Trauer.“
Die endgültige Entscheidung über einen Einsatz Cristianos von Beginn an liegt bei Scolari, einem Mann, der ihm in einer schwierigen Zeit sehr nahesteht. Er erinnert Cristiano daran, dass die Familie oberste Priorität hat und der Fußball erst an zweiter Stelle kommt. Er sagt ihm, dass er stark sein müsse, er fühlt mit ihm und erzählt ihm vom Tod seines eigenen Vaters. Auch Eusébio, der die Mannschaft begleitet, tröstet den Star, indem er von dem Tag erzählt, an dem seine Mutter starb. Er bestritt am selben Tag ebenfalls noch ein Match und erzielte dabei drei Tore.
Die Mannschaft steht hinter ihm, und der ganze Stab versucht, ihm ein möglichst gutes Gefühl zu geben. Auch die Presse unterstützt ihn: „Portugal ist mit dir“, heißt es in A Bola. Dennoch herrscht am Spieltag eine ungewohnte Atmosphäre in der Umkleidekabine des Lokomotiv-Stadions. Die Trauer ist spürbar. Die Gesichter blicken nach unten, niemand