In den folgenden Monaten wurden Werke Barlachs aus laufenden Ausstellungen entfernt, er selbst schuf weniger, verkaufte weniger und versank in der Güstrower Einsamkeit. Als Freunde waren ihm nur noch seine Lebensgefährtin Marga Böhmer und gelegentlich deren Ex-Gatte, der Kunsthändler Bernhard Böhmer, geblieben. Der stand zwar dem Nationalsozialismus nahe, tat aber sein Bestes, um Barlach im Umgang mit der Obrigkeit beizustehen. Obwohl die Nationalsozialisten gegen seine Kunstwerke vorgingen und er an Ausstellungen nicht mehr teilnehmen durfte, wurde ihm doch nie, wovor er sich fürchtete, seine Berufstätigkeit als Künstler untersagt. Aber er verbitterte und wollte auch keine Besucher mehr empfangen. Dann wurde das bedeutende Ehrenmal aus dem Magdeburger Dom entfernt, der Auftakt zu einer Reihe weiterer derartiger Aktionen – allein im Jahr 1937 wurden 317 seiner Skulpturen beschlagnahmt. Darüber hinaus sollte die deutsche Öffentlichkeit anlässlich der Ausstellung »Entartete Kunst« die Ablehnung seiner Werke bekunden. Einsam und verlassen, starb Ernst Barlach am 24. Oktober 1938 im Alter von 68 Jahren.120
Ähnlich wie Barlach wurde Emil Nolde nach 1945 zum Opfer nationalsozialistischer Kulturpolitik erklärt. Aber Barlach hatte der Politik – ob in Kaiserreich, Weimarer Republik oder Drittem Reich – immer gleichgültig gegenübergestanden, während Nolde sich wie Benn schon früh als Nazi verstand, auch wenn es später Schwierigkeiten gab. Es war daher unangemessen, ihn als den unerschrockenen Widerstandskämpfer Max Ludwig Nansen aus Rugbüll darzustellen, wie es Siegfried Lenz in seinem 1968 erschienenen Roman Deutschstunde tat. (Auch andere Autoren vertraten die Legende vom verfolgten Künstler.) Nicht zuletzt Noldes autobiographische Schriften haben solchen Entstellungen den Weg geebnet.121
Nolde bewegte sich im Dritten Reich zwischen Beifallsbekundungen und Niederlagen, wobei Letztere langsam, aber sicher die Oberhand gewannen. Geboren wurde der Maler 1867 als Hans Emil Hansen im schleswigschen Dorf Nolde; die Eltern waren Bauern. Als Kind eines Deutschen und einer Dänin gehörte er zur dänischen Minderheit, die für die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich eintrat. Nolde wurde zunächst Schnitzer und Zeichner. 1892 begann er in der Schweiz mit der Darstellung von Bergmotiven in Aquarelltechnik. 1899 wies Franz von Stuck seine Bewerbung für die Münchener Kunstakademie ab (acht Jahre später sollte Adolf Hitler von der Wiener Akademie eine Abfuhr erhalten). Nun ging Nolde nach Paris, um an der privaten Académie Julian in Paris zu studieren, die den traditionellen Stil lehrte und den Impressionismus ablehnte. 1901 wurde er Mitglied der Berliner Secession und gewann damit Anschluss an die Moderne. Zwei Jahre später war sein Malstil durch leuchtende Farben und große Intensität geprägt. Bei einer Ausstellung in Dresden lernte Emil Nolde (wie er sich jetzt nannte) 1906 Künstler der Vereinigung Die Brücke kennen, was seinen Stil noch einmal grundlegend veränderte: hin zum Expressiven, zu einfachen Umrissen und einer Betonung der Form. 1911 lehnte die Secession Noldes Bilder ab, die mittlerweile vielfach biblische Motive zeigten. Das führte zu einer Auseinandersetzung mit Max Liebermann, Deutschlands führendem Impressionisten, und zu Noldes Ausschluss aus der Secession. Der Streit mit Liebermann, der damals die Secession leitete, wie auch mit dem Kunsthändler Paul Cassirer – beides Juden – war sehr wahrscheinlich der Grund für Noldes folgenden Judenhass sowie für seine endgültige Ablehnung des Impressionismus, den er als französisch und entartet bezeichnete. Womöglich aus dieser Gefühlslage heraus wurde Nolde schon 1920 Sympathisant und bald Mitglied der antisemitischen und fremdenfeindlichen NSDAP. 1926 zog er ins nordfriesische Seebüll, 1931 wurde er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Die Machtergreifung begrüßte er mit Begeisterung.122
Zu Beginn der NS-Herrschaft wollte Goebbels Nolde als Vertreter einer Kunstrichtung, in der viele einen »Nordischen Expressionismus« erblickten, zum Direktor einer Berliner Kunstakademie machen. Aber Hitler hatte in Goebbels’ Räumlichkeiten ein Gemälde von Nolde entdeckt und ihm befohlen, es zu entfernen. Hitlers künstlerische Auffassung war rein traditionalistisch; er hasste Nolde wegen der Konzentration auf neutestamentliche Themen und der Verzerrungen von Form und Farbe in seinem Werk.123 Nolde aber sprach sich bei jeder Gelegenheit, bei der er im Propagandaministerium zu der neuen Position befragt wurde, für eine Neuordnung der deutschen Kunstwelt aus und denunzierte seinen Konkurrenten um die Stelle, den einstigen Mitstreiter von der Brücke Max Pechstein, als »Juden« – eine falsche Anschuldigung.124 In den folgenden Monaten und Jahren kämpfte Nolde, sehr wahrscheinlich in Kenntnis von Hitlers Ablehnung und Goebbels’ Schwanken, hart für seine Anerkennung in der NS-Bewegung. Von früher her gab es immer noch Menschen, die ihn unterstützten, so etwa Erna Hanfstaengl aus der einflussreichen Kunstverlegerfamilie, die Hitler gleich nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch von 1923 geschützt hatte. In ihrer privaten Galerie am Münchner Karlsplatz stellte Erna Hanfstaengl diverse Gemälde von Nolde aus, denn theoretisch kämen dort alle wichtigen Nazis einmal vorbei. Sie platzierte auch einige Aquarelle in der Münchner Wohnung ihres Bruders Ernst (»Putzi«) Hanfstaengl, damit dessen Freund Hitler sie dort sah.125 Im November 1933 bat Erna ihre enge Freundin Marga Himmler, sich bei ihrem Mann Heinrich dafür einzusetzen, dass Nolde zu einem Bankett zum Gedenken an den Putsch von 1923 eingeladen wurde. Bei der Feier saß Nolde neben dem SA-Führer Ernst Röhm, einem Schrank von Mann. Kurz danach äußerte er sich in seinem Tagebuch lobend über Hitler. Der Führer verfolge, meinte er, große und edle Absichten, sei aber von dunklen Gestalten in einem künstlich geschaffenen kulturellen Nebel umgeben. Der könne sich aber in naher Zukunft lichten und der Sonne weichen.126
Mag Nolde in diesem Zusammenhang auch an sich gedacht haben, so wurde er enttäuscht. Selbst wenn er, wie Barlach, noch Bewunderer unter den Nationalsozialisten besaß und, wie dieser, 1934 den »Aufruf der Kulturschaffenden« unterschrieben hatte, gab es von Rosenberg beeinflusste und Hitler ergebene Kräfte, die sich zunehmend gegen ihn wandten.127 In Theodor Fritschs einflussreichem Handbuch der Judenfrage wurde Nolde 1935 mit jüdischen Malern in einem Atemzug genannt: Er sei genau so schuldig wie sie an der Verbreitung des Expressionismus und habe die Grenzen der Ästhetik sogar noch weiter ausgelotet als sie.128 Rosenbergs Gefolgsmann, der Maler und Kritiker Wolfgang Willrich, schrieb 1937, dass Nolde zwar politisch akzeptabel sein mochte, doch »sein Schaffen und seine Phantasie ist [sic] krank«; damit liege er ganz auf der Linie des Kunstbolschewismus.129 Zu eben dieser Zeit wurde Nolde aufgefordert, die Preußische Akademie der Künste zu verlassen. Nur nach heftigem Protest, bei dem er voller Stolz auf seine Parteimitgliedschaft verwies, konnte er seine Mitgliedschaft vorerst behalten. Doch bis zum Juli, als die Ausstellung »Entartete Kunst« eröffnet wurde, waren 1052 Werke Noldes aus der Öffentlichkeit entfernt worden, mehr als von jedem anderen Künstler.130
Obwohl Nolde im Laufe der Zeit einige der beschlagnahmten Bilder zurückerhielt, besserte sich seine Lage insgesamt nicht. Im August 1941 wurde er aus der Reichskunstkammer ausgeschlossen und drei Monate später offiziell mit dem Verbot belegt, Bilder zu malen und die Gemälde zu verkaufen.131 Zwar hat Nolde diese Ungerechtigkeit nach dem Krieg dramatisiert, doch durfte er privatim durchaus weiter malen, nur eben nicht verkaufen. Nachdem ein Treffen mit Gauleiter Baldur von Schirach in Wien, das der Filmstar Mathias Wieman, ein Nolde-Bewunderer, 1942 arrangiert hatte, ergebnislos geblieben war, malte Nolde für sich in der Einsamkeit seines norddeutschen Dorfes. Noch 1944 schrieb seine dänische Frau Ada Briefe an hochgestellte Persönlichkeiten in Partei und Regierung, wobei sie Noldes Patriotismus und seine Parteimitgliedschaft hervorhob.
Zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft hatte sich Nolde, wie Benn, im Lager einer ganzen Reihe von Nationalsozialisten gesehen, die den Expressionismus für eine perfekte Verkörperung des neuen, faschistischen Geistes hielten. Zu dieser Gruppe gehörten Studenten, Künstler, Intellektuelle, auch Politiker wie beispielsweise Goebbels, der in seiner Jugend als Mann von Geist und Geschmack an der Moderne durchaus Gefallen gefunden hatte. Zwar begegnete er führenden Expressionisten wie Georg Kaiser mit Ablehnung, doch enthielt sein eigenes Stück Der Wanderer (1927), das frohlockend mit der Vorhersage eines »Neuen Reiches« endete, expressionistische Elemente, wie Kritiker damals anmerkten. Helmut Heiber, Goebbels’ erster seriöser Biograph, entdeckte in Michael, dem zwischen 1923 und 1929 geschriebenen Roman des jungen Mannes, »expressionistische Liebeslyrik«. Zwar war Goebbels’ Geschmack in Sachen Musik, wie aus seinen Tagebüchern hervorgeht, eher traditionell; er schätzte die Werke von Beethoven, Richard Strauss und, wenn