Verzweifelt suchst du nach einer Möglichkeit, dein Tun so zu verzögern, dass sie doch noch eingreifen können. Dein Körper kümmert sich nicht um deine Gedanken. Er empfindet sie als Fremdkörper und wäre froh, sie los zu sein.
Dein Körper lässt dich jetzt die letzten Details des Planes erkennen. Du zuckst zusammen. Das also ist die endgültige Wahrheit. EVOLO hat für alles vorgesorgt.
Du wirst die beiden töten. Wenn es erforderlich sein sollte, wirst du dich dabei in die Luft jagen. Du wirst eine psionische Bombe sein, die alles vernichtet, was sich in deiner unmittelbaren Nähe befindet.
Damit ist die Entscheidung bereits gefallen.
Dein Bewusstsein wird erlöschen, und es wird nie wieder einen Mrothyr geben. EVOLO hat es auf die totale Vernichtung abgesehen, weil er weiß, dass andere Methoden bei Anima nicht wirken.
Du warst einst Mrothyr, ein zuverlässiger Freund und Partner. Inzwischen bist du ein anderer. Du hast keine andere Wahl, als diesen grässlichen Plan in die Tat umzusetzen.
Dein innerliches Sträuben nützt dir nichts.
Du weißt es jetzt mit absoluter Sicherheit.
Deine Geburt stand unter einem schlechten Stern. Du bist es nicht wert, in der Reihe der Heldennamen genannt zu werden. Du bist ein Versager, und deine einzige Großtat in deinem Leben besteht darin, EVOLOS Auftrag auszuführen.
Du bist der Todesbote und die Waffe EVOLOS.
Du bist der Mörder deiner besten Freunde!
9.
Plötzlich war da die Stimme im Funkgerät. Es war Mrothyrs Stimme, und der Arkonide lauschte angestrengt.
»Hilfe!«, verstand er die leisen Worte. »So helft mir doch!«
»Mrothyr, ich komme!«, schrie er. »Halte aus. Wo bist du?«
Ein Zischen und Kreischen kam aus den Lautsprechern, dann verstummte die Antwort des Zyrphers.
»Loch ... Sternkreis ... Ungeheuer ...«
»Mrothyr, bleibe auf Sendung, ich peile dich an!«
Hastig justierte der Arkonide das Ortungsgerät. Er drehte den Körper im Flug und versuchte, an der Stärke der Peilimpulse zu erkennen, aus welcher Richtung das deutlichste Echo kam. Dort musste sich Mrothyr befinden.
Der Zyrpher gab keine Antwort mehr, die Peilung ergab nur ungenau einen Anhaltspunkt. Atlan wandte sich mehr nach Südosten.
»Mrothyr, verdammt«, rief er in das Mikrofon des geschlossenen Helmes. »Kannst du dich noch melden?«
Anima mischte sich ein. An Bord der STERNENSEGLER verfolgte man mit, was da los war. Kurz darauf geriet der Arkonide jedoch in einen Staubwirbel, und von da an war die Funkverbindung unterbrochen oder zumindest so gestört, dass keine sinnvolle Verständigung mehr möglich war.
»Mrothyr!«, versuchte er es wieder.
Ein Ächzen war die Antwort, und die neue Peilung ergab, dass die Flugrichtung in etwa stimmte.
»Mach das nochmals!«, rief Atlan. »Gleich bin ich bei dir!«
Er zermarterte sich vergeblich das Gehirn, wieso der Zyrpher sich bisher nicht gemeldet hatte. War sein Funkgerät defekt, so dass es nur noch über eine eingeschränkte Sendeleistung verfügte?
Für wenige Augenblicke riss der Himmel über der endlosen Ebene auf. Sonnenstrahlen fraßen sich in das Halbdunkel und bildeten ein wirres Muster aus hellen Linien und dunklen Schatten. Der Arkonide kniff die Augen zusammen.
Dort vorn, der Schatten, war das das Ziel? Fand er dort Mrothyr?
Die Unberechenbarkeit des Planeten Orgro entfaltete sich gerade in diesen hektischen Minuten der Suche nach dem vermissten Gefährten.
»Hilf...«, kam nochmals die Stimme, diesmal lauter und deutlicher.
»Bin schon da!«, versicherte Atlan. »Durchhalten, Mrothyr. Du hast schon ganz andere Dinge ausgehalten!«
Er versuchte, die STERNENSEGLER oder die STERNSCHNUPPE zu erreichen, aber beide Schiffe meldeten sich nicht. Schuld war der Sandsturm, der sich über der Ebene bildete. Der Himmel verfinsterte sich übergangslos, und es wurde beinahe stockdunkel. Es lag diesmal nicht an einer Staubwolke, die durch die Hochatmosphäre trieb, sondern an einer Sandfontäne, die über dem Boden aufwuchs und rasch mehrere hundert Meter emporwanderte. Sie kam immer näher und holte Atlan ein. Der Wind schob sie vor sich her, und der Arkonide verlor von einer Sekunde auf die andere die Orientierung. Um ihn herum war nur noch mehliger Sand, und der Sturm, der ihn trieb, riss an dem Einsatzanzug und ließ das Triebwerk auf dem Rücken heißlaufen. Atlan schaltete es ab. Er stürzte drei, vier Meter in die Tiefe, aber da fing ihn die Gewalt des Sturmes auf und riss ihn mit sich. Hilflos bewegte er sich hin und her. In seinem Funkempfänger herrschte endgültige Stille, und er bedeckte mit den Handschuhen den Helm, um das nervtötende Prasseln kleiner Sandkörner zu vermindern.
Wieder ein Ächzen und Stöhnen, ein unterdrückter Aufschrei. Diesmal vernahm er es trotz des Sturmes und des Sandes ganz deutlich.
»Mrothyr, ich bin im Sandsturm. Ich komme!«
Ein dunkler Schatten glitt unter ihm vorbei. Er verschwand seitlich hinter ihm, dann tauchte er vorn wieder auf. Fliehkräfte zerrten an dem Einsatzanzug, und Atlan zog die Beine an und umfasste sie mit den Armen. Er beugte den Kopf im Helm ein wenig vor, bis die Sichtscheibe an die Brust stieß. Seiner Schätzung nach befand er sich etwa sieben Meter über der Oberfläche des Planeten. Er begriff, dass er in einem Wirbel steckte, der ihn hin und her riss, von einer Seite auf die andere drehte und ihn nicht losließ, wenn er nicht wenigstens den Versuch einer Befreiung machte.
Hastig streckte er seinen Körper und schaltete das Flugaggregat auf maximale Leistung. In rechtem Winkel zu seiner Bewegungsrichtung schoss er davon. Er breitete die Arme aus und machte den Körper so steif wie möglich.
Es war, als prallte er gegen eine unsichtbare Wand. Die Kräfte seines Tornisters kämpften gegen die Kräfte der Natur dieses Planeten. Und sie gewannen, weil der Staubwirbel an dieser Stelle eine Schwachstelle besaß. Der geschützte Körper brach durch und befand sich im nächsten Moment außerhalb des Wirbeltrichters. Er wurde eine Strecke mitgerissen, dann hatte er die starken Fliehkräfte überwunden und entfernte sich nach rückwärts von der Staubwand, die über die Ebene raste.
Das Schauspiel der Natur war einmalig. Die Wand bildete in regelmäßigen Abständen solche Wirbel, und es sah aus, als würde ein künstliches Objekt mit eingelagerten, senkrecht stehenden Schläuchen mit hoher Geschwindigkeit über die Ebene rasen.
»Mrothyr!«, ächzte Atlan.
Er erhielt keine Antwort mehr. An der Bewegungsrichtung der Staubwand orientierte der Arkonide sich. Er flog entgegengesetzt, und nach kurzer Zeit fand er jenen dunklen Schatten wieder. Viel war nicht davon übrig. Der Sand hatte einen Wall aufgeschüttet, aber dennoch konnte Atlan die elf Felsspitzen ausmachen. Und er sah das Loch, das von einer bepelzten Kugel verdeckt wurde.
Atlan landete und zog den Strahler aus dem Gürtel. Er entsicherte ihn und trat an das Loch.
»Mrothyr, bist du das drinnen?«, fragte er über den Außenlautsprecher.
Dumpfes Gemurmel war die Antwort. Der Pelz wackelte. Atlan erkannte, dass es sich um den Kopf des Zyrphers handelte.
»Es hat mich gepackt«, hörte er Mrothyr flüstern. »Es ist eine riesige Spinne. Das Ungeheuer lässt mich nicht mehr los!«
Im nächsten Augenblick verschwand der Kopf. Atlan hörte den dumpfen Laut, als Mrothyrs Schädel gegen den Felsen stieß. Er beugte sich über die Öffnung und schaltete den Helmscheinwerfer ein. Kopfüber ließ er sich fallen und aktivierte den Antigrav. Er sank nach unten. Im grellen Licht der Lampe erblickte er das Untier. Es war eine dieser riesigen Spinnen, mit denen Chipol und er bereits Bekanntschaft