Mrothyrs Gedanken jagten sich. Es hatte keinen Sinn, wenn er jetzt zu seinem Ausgangsort zurückkehrte. Er musste da bleiben, wo er war. Hinter und unter sich vernahm er das Schaben, mit dem die Riesenspinne ihm ans Tageslicht folgen wollte. Er nahm den Stein aus dem Loch, in dem das getötete Tier lag, und setzte ihn in das Loch zurück, aus dem er ihn genommen hatte. Wichtig war, dass er zu jedem Zeitpunkt genau wusste, wo sich das Elterntier aufhielt.
Inzwischen glaubte er auch zu wissen, was sich verändert hatte. Atlan musste in die STERNSCHNUPPE oder in die STERNENSEGLER zurückgekehrt sein. Damit stand das Ereignis unmittelbar bevor.
Mrothyr fluchte lautlos. Es wäre so einfach gewesen. Er hätte nur zu warten brauchen. Keiner hätte ihn hindern können, wenn er vor versammelter Mannschaft zugeschlagen hätte. Aber da war noch etwas anderes. Es hing mit dem Bewusstsein in seinem Innern zusammen. Er nährte sich aus diesem Bewusstsein, und dennoch störte es ihn. Er empfand es als Fremdkörper, wie er auch die Gestalt als Fremdkörper empfand, die er angenommen hatte.
Er war Mrothyr und war es doch nicht. Er war das Bewusstsein und war es doch nicht.
Der Zyrpher schüttelte seinen Körper. Etwas in ihm wollte rufen und warnen, aber er ließ es nicht zu. Sein Programm wurde immer konkreter und deutlicher, und in dem Augenblick, in dem er ratlos dastand und nicht wusste, wie er sich weiter verhalten sollte, da drängten die Detailinformationen an die Oberfläche und setzten seinen Körper in Bewegung.
Es gab eine Lösung. Er musste als verschollen gelten und abwarten, bis man ihn suchte. Er musste warten, bis er Atlan allein vor sich hatte. Dann musste er sich ihm zeigen. Er würde ihn zu dem Steinkreis führen und dann alles tun, um auch Anima hierher zu locken.
Mrothyr wurde bewusst, dass es für ihn keine andere Möglichkeit gab, denn dies waren die Details des absoluten Befehls, dem er sich nicht entziehen konnte.
Er spähte über den Rand der Grube hinweg, die er ausgehoben hatte. Seine Augen erkannten auch noch Einzelheiten, die sich in einer Entfernung von zehn Kilometern befanden.
Er sah etwas.
Sie suchten nach ihm. Er wusste im Augenblick nicht, wie viele in welche Richtungen ausgeschwärmt waren. Aber eines wusste er. Dort vorn kam Atlan, und der Arkonide flog nach Osten in seine Richtung.
Mrothyr sah es und verstand, dass sein Plan aufging.
Aus dem Zyrpher wurde eine kalte und berechnende Mordmaschine. Mrothyr war EVOLOS Ungeheuer.
*
»Du bist kein Ritter der Tiefe, und doch bist du einer«, klang die leise Stimme Animas auf. »Du hast mich damals als deine Orbiterin akzeptiert, und ich bin es bis auf den heutigen Tag. Was kümmern mich Kosmokraten und andere Mächte. Hartmann vom Silberstern konnte ich nicht retten. Er fand einen Tod, den sich kein Ritter der Tiefe je gewünscht hatte. Und Verrin, sein früherer Orbiter? Er hat ...«
»Du solltest nicht an die Vergangenheit denken«, mahnte der Arkonide. »Vergalo wurde zum Erleuchteten, und der Erleuchtete ist nicht mehr. Sein Geschöpf hat ihn absorbiert.«
»Das ist es ja eben. Auch in EVOLO ist ein Stück Vergalos enthalten. EVOLO weiß genau, wer ich bin. Es weiß, woraus ich geworden bin und welche Fähigkeiten ich besitze. Und EVOLO ist darüber im Bild, dass ich mich in Manam-Turu aufhalte.«
Atlan nickte. Er ahnte es. Irgendwann würde Anima diesem Wesen begegnen, das eine Gefahr für alle Teile des Universums darstellte. Dass diese Begegnung unausweichlich war, das sollte er sogleich erfahren.
»Guray«, sagte Anima unvermittelt. »Es liegt an Guray.«
»Ich kenne den Schutzpatron der Piraten, Anima. Aber ich weiß nicht, wo ich ihn suchen soll. Ein einziges Mal war es mir möglich, mit Guray zu sprechen. Damals befand er sich in großer Angst und sprach davon, dass er sich verstecken müsse. Er wollte fliehen!«
»Er kann nicht fliehen. Erinnerst du dich an damals, als ich dir meine Geschichte erzählte? Vergalo war ein Wesen wie ich, mit meinen Fähigkeiten, nur dass er die seinen auf eine andere Weise einsetzte. Er wollte Macht, die über den Planeten hinausging. Sein Nachteil bestand darin, dass er zu groß geworden war. Er brauchte einen Großteil seiner Kraft, diesen gigantischen Organismus zu kontrollieren. Deshalb gelang es ihm nicht, mich zu eliminieren. Es gelang mir, mich von ihm zu lösen und zu fliehen. Ich nahm einen Teil seiner Materie mit, aber es war nicht genug. Ich verließ Barquass und ...«
»Barquass?«, rief der Arkonide. »Der Name Barquass fiel bei den Dienern Gurays, die seine Ableger sind!«
»Ich spürte es, als wir in die Zeitnähe von Barquass kamen«, sagte sie zusammenhanglos. »Als Goman-Largo es endlich schaffte, uns in die Realgegenwart zu bringen, da empfing ich Impulse meines Ritters. Ich war verwirrt, denn ich wusste nicht, ob sie mich an Hartmann oder an dich erinnerten. Ich kam nach Barquass und brachte die Erinnerung an eine mögliche Zukunft des Planeten mit. Ich fand dieses Wesen Guray vor, und es gelang mir, seine friedfertigen Teile zu aktivieren und einen Kontakt herzustellen. Seither weiß ich es.
Manam-Turu ist meine Heimatgalaxis, und Barquass ist mit jenem Planeten identisch, auf dem vor langer Zeit Vergalo herrschte. Ich verstand, dass Vergalo sich damals relativ rasch von den Folgen der Auseinandersetzung erholen konnte. Er verließ Barquass, um in einer anderen Galaxis seinen ehrgeizigen Plänen nachzukommen. Bei seinem Aufbruch ließ Vergalo alles zurück, was ihn behindern konnte.
Verga-Ray oder Verg-gu-ray. Verstehst du? Daher hat Guray seinen Namen, und in ihm war noch ein winziger Rest von Hartmann vom Silberstern enthalten. Vergalo aber hatte jenen Teil auf der Nachtseite des Planeten, Verga-Ray, abgestoßen, nachdem er sich zuvor lange bemüht hatte, mächtiger als dieses Wesen zu werden. Wie vieles gelang ihm dies.
Ich weiß nicht, ob der Erleuchtete jemals an seine Hinterlassenschaft dachte. Guray dachte daran. Er fürchtete sich vor dem FEIND, der kein anderer als der Erleuchtete war. Und diese Furcht bestimmte sein Wesen. Guray war der Wankelmütige und der Sensible, und Guray war der Entschlossene und Umsichtige. Und er schickte seine Diener aus.
Inzwischen haben alle Piraten Barquass verlassen. Sie kehren nicht zurück. Sie müssen erkannt haben, worum es sich bei ihrem Schutzpatron handelte. Guray war die Stadt, der Wald. Guray war die Festung und die Soldaten, die Geschütze und natürlich die Diener. Guray schickt keine Diener mehr aus. Er befindet sich in einem Zustand amnestischer Lähmung. Guray braucht Hilfe. Er braucht eine Aufgabe, um wieder zu sich selbst zu finden. Guray ist gewachsen. Er ist ein planetenumspannendes Wesen. Er hätte dem Erleuchteten die Stirn bieten können, wenn er psychisch stark genug gewesen wäre. Er konnte es nicht, und so haben wir es heute mit EVOLO zu tun.
Guray hat große Angst vor EVOLO, Atlan. Er spürt, dass er diesem Geschöpf nichts entgegenzusetzen hat.«
Der Arkonide nahm Anima in den Arm. Ihr Gesicht glühte vor Erregung. Es war heiß wie im Fieber, und er führte sie zum nächsten Sessel und drückte sie sanft hinein.
»Das alles ist kein Grund, den Mut zu verlieren. Deine Augen sprechen eine deutliche Sprache. Du willst über die Vergangenheit reden. Du musst dich von ihr befreien. Aber du schaffst es nicht richtig.«
»Es ist meine Schuld, dass es so gekommen ist. Hartmann und ich waren es, durch unser Verhalten haben wir die Entstehung und die Motivationen des Erleuchteten mitverschuldet. Ein Ritter der Tiefe tat etwas, wodurch eine Bedrohung eines Teils des Universums entstand. Ich habe damals versagt, als Hartmann erkannte, dass das Ding unter der Glocke das Gehirn Vergalos war, sein Steuer- und Nervenzentrum.«
»Du hast versagt, weil du gelernt hattest, mit deiner Gabe zu heilen. Du konntest nicht töten. Du versuchtest, die beiden unterschiedlichen Teile Vergalos zu einem Ganzen zusammenzufügen. Und da sprichst du von Versagen? Weil du nicht getötet hast?«
»Ich könnte es auch jetzt nicht tun. Aber ich weiß, dass ich Guray helfen muss. Er wartet auf EVOLO, und er ist nicht fähig, einen klaren Gedanken zu denken oder Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Guray wird sterben, wenn ihm nicht geholfen