Art. 178 Schuldnerausfall
(1) Der Ausfall eines bestimmten Schuldners gilt als gegeben, wenn einer oder beide der folgenden Fälle eingetreten sind:
1 Das Institut sieht es als unwahrscheinlich an, dass der Schuldner seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Institut, seinem Mutterunternehmen oder einem seiner Tochterunternehmen in voller Höhe begleichen wird, ohne dass das Institut auf Maßnahmen wie die Verwertung von Sicherheiten zurückgreift.
2 Eine wesentliche Verbindlichkeit des Schuldners gegenüber dem Institut, seinem Mutterunternehmen oder einem seiner Tochterunternehmen ist mehr als 90 Tage überfällig. Die zuständigen Behörden dürfen für durch Wohnimmobilien oder durch Gewerbeimmobilien von KMU besicherte Risikopositionen der Forderungsklasse „Mengengeschäft‟ und für Risikopositionen gegenüber öffentlichen Stellen den Zeitraum von 90 Tagen durch 180 Tage ersetzen. Der Zeitraum von 180 Tagen gilt nicht für die Zwecke des Artikels 127.
Art. 178 Abs. 3 CRR listet Unlikely-to-Pay-Hinweise auf, ab wann die Begleichung einer Verbindlichkeit unwahrscheinlich ist (z.B. Verzicht auf laufende Zinszahlungen, krisenbedingte Restrukturierung der Verbindlichkeiten oder Insolvenz des Schuldners).
Die Definition und die Indikatoren für wertgeminderte finanzielle Vermögenswerte nach IFRS 9 und ausgefallene Risikopositionen nach CRR sind ähnlich, wenngleich nicht identisch:[59]
Beide Definitionen unterscheiden zwischen
der Verletzung der vereinbarten Zahlungsverpflichtung (Überfälligkeit von Zahlungen, Past Due) und
der Unwahrscheinlichkeit des Begleichens der Verbindlichkeiten durch den Schuldner (Unlikely to Pay).
Im Vergleich zur CRR verweist IFRS 9 als Indikator für eine Wertminderung nicht explizit auf Überziehungen (Overdrafts); diese sind jedoch durch den Verweis auf einen Vertragsbruch als Indikator berücksichtigt.[60] Der wesentliche Unterschied zwischen den Definitionen von IFRS 9 und CRR liegt in der gemäß CRR automatischen Ausfalleinstufung, sofern eine Überfälligkeit von 90 Tagen vorliegt (Art. 178 Abs. 1 Buchst. b CRR). Gemäß IFRS 9 besteht eine widerlegbare Vermutung, dass ein Ausfall spätestens vorliegt, wenn ein finanzieller Vermögenswert 90 Tage überfällig ist.[61] Darüber hinaus sind die beispielhaft genannten regulatorischen Unlikely-to-Pay-Ereignisse zwar ähnlich, aber nicht deckungsgleich mit den Indikatoren für einen wertgeminderten finanziellen Vermögenswert i.S.v. IFRS 9.
Im September 2016 veröffentlichte die EBA Leitlinien zur Anwendung der Ausfalldefinition gemäß Art. 178 der CRR.[62]
Tabelle 7: Regulatorische Ausfalldefinitionen nach CRR[63]
Anwendungsbereich | Eckpunkte der Definition | Gesundung/Rücktransfer | |
Ausfall (default) Definition gemäß Art. 178 CRR | Risikoposition = Aktivposten (Vermögenswerte) oder außerbilanzielle Posten | Kriterien: Überfälligkeit (>90 Tage) und Unwahrscheinlichkeit des Begleichens der Verbindlichkeit (Unlikely to Pay) | Strenge Rücktransferkriterien Bewährungszeitraum: ein Jahr |
Die EU hat am 17.04.2019 die Verordnung (EU) 2019/630 erlassen, die die Institute über die Festlegung einer Mindestdeckung für notleidende Risikopositionen sowie einen Abzug des maßgeblichen Betrags einer etwaigen unzureichenden Deckung vom harten Kernkapital (CET 1 (Common Equity Tier)) forcieren soll, ihren Bestand an notleidenden Risikopositionen abzubauen.[64] Durch die Verordnung werden Art. 36 Abs. 1 Buchst. m sowie die Art. 471, 47b, 47c in die CRR eingefügt. Die Bankenaufsicht hat im Zuge dessen die Definition von notleidenden Risikopositionen und Stundungsmaßnahmen in die CRR übernommen und mit FINREP harmonisiert. Art. 469a CRR sieht eine Ausnahme vom Abzug vom harten Kernkapital für Risikopositionen vor, die vor dem 26.04.2019 begründet wurden.
Notleidend ist eine Risikoposition für Zwecke des Art. 36 Abs. 1 Buchst. m CRR immer, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:
die Ausfalldefinition nach Art. 178 CRR ist erfüllt;
nach den anwendbaren Rechnungslegungsgrundsätzen gilt die Position als wertgemindert;
die Position befindet sich im Probezeitraum (vgl. Abschnitt 3) und zusätzliche Stundungsmaßnahmen i.S.d. Art. 47b CRR werden gewährt bzw. eine Überfälligkeit von 30 Tagen tritt ein;
es handelt sich um Kreditzusagen, bei denen absehbar ist, dass diese im Falle der Inanspruchnahme nicht ohne eine Verwertung der Sicherheiten in voller Höhe zurückgezahlt werden;
die Risikoposition stellt eine Finanzgarantie dar, bei der das Institut als Garantiegeber voraussichtlich in Anspruch genommen wird.
Ergänzend gelten alle bilanziellen und außerbilanziellen Risikopositionen gegenüber einem Schuldner als ausgefallen i.S.d. Arti. 178 CRR, wenn mindestens 20% der bilanziellen Risikopositionen gegenüber dem Schuldner seit 90 Tagen fällig sind.
Zum Zwecke der Definition einer notleidenden Risikoposition wurde durch Art. 1 Nr. 2 Verordnung (EU) 2019/630 Art. 47a in die CRR eingefügt. Risikopositionen, die grundsätzlich in die Bestimmung eines etwaigen Abzugs vom CET 1 einfließen, sind demnach jedwede Form von Schuldtiteln (bspw. Darlehen, Schuldverschreibungen oder Sichteinlagen) sowie erteilte Kreditzusagen, erteilte Finanzgarantien oder sonstige erteilte Zusagen, unabhängig davon, ob sie widerruflich oder unwiderruflich sind.[65]
Ausgenommen vom Anwendungsbereich des NPL-Abzugs sind Positionen, die dem Handelsbuch zugeordnet werden und somit einer täglichen Bewertung zu Marktpreisen unterliegen und sich darüber hinaus im Anwendungsbereich der vorsichtigen Bewertung befinden sowie Kreditfazilitäten, die jederzeit uneingeschränkt und fristlos widerrufen werden können bzw. bei denen eine Bonitätsverschlechterung des Kreditnehmers automatisch zum Widerruf der Kreditzusage führen.
Hintergrund dieser Ausnahmeregelungen ist, eine wirtschaftliche Doppelbelastung der Eigenmittel der Institute zu verhindern bzw. Positionen von der Berechnung auszuschließen, die für das Institut nur ein überaus geringes Kreditrisiko bergen.
6 Fazit/Zusammenfassung
Ein Kunde, der seine ausstehende Forderung ohne Genehmigung des Kreditgebers zum festgelegten Termin nicht rechtzeitig zurückzahlt, ist leistungsgestört.
Aber eine Vielzahl an Veröffentlichungen von Regulatoren enthält unterschiedliche Ausfalldefinitionen für die Rechnungslegung, die regulatorische Überwachung einer angemessenen Eigenmittelausstattung und das bankaufsichtliche Meldewesen. Insoweit wird eine einheitliche und somit deckungsgleiche Identifikation von NPLs erschwert.
Fraglich erscheint, ob das von der Bankenaufsicht verfolgte Ziel einer einheitlichen Ausfalldefinition erreicht werden kann. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Regelungen der Bankenaufsicht mit den Vorschriften der Rechnungslegung – besonders IFRS 9 – in Einklang stehen und ob bzw.