Zunächst ist zwischen Versicherungsnehmern und Versicherungsunternehmen zu unterscheiden. Der Versicherungsnehmer1 (VN) erwirbt Versicherungsschutz gegen Zahlung eines vorab festgelegten Geldbetrages (die sog. Versicherungsprämie) an das Versicherungsunternehmen. Im Gegenzug verpflichtet sich das Versicherungsunternehmen (VU), bei Eintritt eines für den VN negativen Ereignisses (Schadens), eine Leistung zu erbringen, welche das Schadenereignis kompensiert. Das Risiko des VN, welches aus der Gefahr des Schadeneintritts resultiert, wurde also (zumindest teilweise) vom VN auf das VU übertragen. Diese Risikoübertragung wird in der Fachsprache auch Risikotransfer genannt.
Beispiel 1 (»Always Safe« von »Together Strong«):
Das Versicherungsunternehmen »Together Strong« bietet mit seinem Versicherungsprodukt »Always Safe« Versicherungsschutz gegen das negative Ereignis »FUTSCH« an, bei dem nicht sicher ist, ob es in der Zukunft eintreten wird. Falls es zu diesem Ereignis kommt, ist mit einem Schaden in Höhe von 1.000 EUR zu rechnen.
Personen (VN), denen der mögliche Eintritt des FUTSCH-Ereignisses Sorgen bereitet und welche das daraus resultierende Risiko nicht tragen möchten, können mit dem »Always Safe«-Produkt einen Versicherungsschutz erwerben. Dazu müssen die Versicherungsnehmer pro Jahr eine Versicherungsprämie in Höhe von 50 EUR an das VU »Together Strong« überweisen. Im Gegenzug verspricht das VU eine Leistung in Form einer Zahlung von 1.000 EUR an diejenigen Versicherungsnehmer zu erbringen, bei denen es in dem Jahr, für das die Versicherungsprämie gezahlt wurde, zu einem FUTSCH-Ereignis kommt.
Das »Always Safe«-Produkt wurde in den vergangenen Monaten gerne gekauft. Aktuell haben 1.000 Versicherungsnehmer einen »Always Safe«-Vertrag mit dem VU »Together Strong« abgeschlossen und ihre Versicherungsprämie für das zuvor genannte Produkt bezahlt.
Die Gemeinschaft der Versicherungsnehmer wird als Versicherungskollektiv bezeichnet. Die Mitglieder dieses Kollektivs stellen – typischerweise durch Zahlung der Versicherungsprämie – Ressourcen zur Verfügung, welche dazu dienen sollen, eintretende Schäden auszugleichen. Widerfährt somit einem Mitglied dieses Versicherungskollektivs ein Schaden, vor dem die Versicherung schützen soll, so wird ein Teil der zuvor vom Versicherungsunternehmen eingesammelten Geldbeträge verwendet, um das eingetretene, negative Ereignis zu kompensieren. Weil das mit diesem Ereignis verbundene Risiko2 folglich im Kollektiv aufgeteilt und ausgeglichen wird, bezeichnet man diese Vorgehensweise auch als Risikoausgleich im Kollektiv.3
Beispiel 2 (Risikoausgleich im Kollektiv):
Das Versicherungskollektiv, welches sich aus den 1.000 Versicherungsnehmern zusammensetzt, die das »Always Safe«-Produkt erworben haben, zahlt an das VU »Together Strong« insgesamt 50.000 EUR pro Jahr. Im laufenden Jahr ist es bei 33 Personen in diesem Kollektiv zu dem Schadenereignis FUTSCH gekommen, sodass an jede geschädigte Person 1.000 EUR (und somit insgesamt 33.000 EUR) ausgezahlt wurden.
Betrachtet man das Versicherungskollektiv im Zeitverlauf, so werden in unterschiedlichen Perioden4 mit unterschiedlicher Häufigkeit Schadenereignisse eintreten, bei denen zudem unterschiedliche Schadenhöhen auftreten können. Es werden Perioden mit überdurchschnittlicher und unterdurchschnittlicher Gesamtschadenhöhe zu beobachten sein, sodass man in diesem Zusammenhang auch von Überschäden und Unterschäden spricht, welche sich im Zeitverlauf ausgleichen sollten. In Perioden mit Unterschäden können Reserven aufgebaut werden, die in Perioden mit Überschäden wieder abgebaut werden. Weil die Kompensation in diesem Fall im Zeitverlauf über verschiedene Perioden hinweg erfolgt, bezeichnet man diese Form des Ausgleichs auch als Risikoausgleich in der Zeit.
Beispiel 3 (Risikoausgleich in der Zeit):
Im Versicherungskollektiv des VU »Together Strong« kommt es im Zeitverlauf zu unterschiedlichen Gesamtschadenhöhen, die in Tabelle 1 und Abbildung 1 dargestellt sind. Auf Unterschäden in den Jahren 1 und 2, in denen Reserven aufgebaut werden können, folgen Überschäden in den Jahren 3 und 4, in denen die Reserven aufgezehrt werden. Ein leicht unterdurchschnittlicher Gesamtschaden (Reservenaufbau) ist in Jahr 5 zu beobachten, während im sechsten Jahr ein leicht überdurchschnittlicher Schaden auftritt (Reservenverzehr).5
Fasst man die vorherigen Erläuterungen zusammen, so lässt sich eine Versicherung im engeren Sinne der klassischen Versicherungsprodukte unserer heutigen Zeit also wie folgt definieren:
Abb. 1: Schäden im Versicherungskollektiv des VU »Together Strong« im Zeitverlauf
Tab. 1: Schäden im Versicherungskollektiv des VU »Together Strong« im Zeitverlauf
Definition 1.B:
Eine Versicherung ist eine entgeltliche Absicherung gegen negative Folgen eines zukünftig möglichen, im Einzelnen ungewissen Ereignisses auf der Basis des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit.6
1.2 Wie funktioniert das Versicherungsgeschäft?
Das Kerngeschäft eines Versicherungsunternehmens (VU), welches auch als Risikogeschäft bezeichnet wird, besteht darin, die Risiken der Versicherungsnehmer (VN) gegen eine Prämienzahlung zu übernehmen, sodass die VN abgesichert sind. Versicherungsunternehmen fassen die übernommenen Risiken in einer Gefahrengemeinschaft (einem Kollektiv) zusammen und organisieren und verwalten die Teilung und den Ausgleich dieser Risiken. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung im Umgang mit Risiken bewältigen Versicherungsunternehmen diese Aufgabe i. d. R. besonders effizient. Ein angestrebtes Absicherungsniveau wird daher sowohl auf einzelwirtschaftlicher als auch auf volkswirtschaftlicher Ebene meist kostengünstiger erreicht als bei individueller Vorsorge. Beim Versicherungsnehmer führt diese Absicherung zu finanzieller Sicherheit und in deren Folge zur Möglichkeit einer effizienteren Kapitalverwendung. Geldbeträge, die in einer Situation ohne Versicherung von Individuen vorgehalten werden müssen, um bei Eintritt eines Schadens über die notwendigen Mittel zu verfügen, den Schaden auszugleichen, können nach Abschluss einer Versicherung einer effizienteren Verwendung zugeführt werden. Die Versicherungsprämie ist deutlich niedriger als die mögliche Schadenhöhe.
Beispiel 4 (Effiziente Kapitalverwendung):
Michel hat große Sorge, dass er aufgrund einer Krankheit, einer Verletzung oder eines allgemeinen Kräfteverfalls nicht mehr in der Lage sein könnte, seinen Beruf auszuüben. Deshalb hat er 150.000 EUR angespart, die nun unter seiner Matratze liegen, damit er jederzeit Zugriff darauf hat und er im Fall der Berufsunfähigkeit einige Jahre von seinem Ersparten leben kann. Das Geld bringt ihm auf diese Weise jedoch keine jährlichen Erträge, wie z. B. Zinsen oder Dividenden.
Als Michel von einem Versicherungsvermittler das Angebot erhält, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen, die ihm eine Absicherung gegen das oben genannte Risiko ermöglicht, nimmt er dieses Angebot gerne an. Nach dem Abschluss dieser Versicherung weiß er, dass er im Fall der Berufsunfähigkeit vom Versicherungsunternehmen