3. Milieutheorie und Konstruktivismus – Irrwege zum „neuen Menschen“
Jede Weltanschauung hat einen Ur-Mythos. Für die Agnostiker steuerte Jean Jaques Rousseau die Idee einer Urgesellschaft bei, die im Einklang mit der Natur und in völliger Harmonie existierte. Erst die Zivilisation, die notwendig geworden war um das Privateigentum zu schützen, habe die Harmonie zerstört und den ursprünglich guten Menschen verdorben. Diese Geschichte war zwar frei erfunden, hatte aber weitreichende Folgen. „Wenn die Unvollkommenheit des Erdenbewohners nicht angeboren ist, sondern sozial bedingt, dann kann der Mensch durch richtige Politik auch wieder werden, was er eigentlich ist: Ein vollkommenes Wesen.“ 13
Seit Rousseau war es denkbar, dass der Mensch den Urzustand wieder herbeiführen konnte. Die daraus abgeleitete Milieutheorie, nach der „das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmte“ 14 führte zur Anthropologie des Sozialismus, die Gerhard Szczesny in seinem Buch „Das sogenannte Gute“ auf den Punkt brachte: „Die Natur ist Natur nur bis zum Menschen. Seine Natur ist es, keine zu haben“. Nachdem der Mensch vollständig durch sein gesellschaftliches Umfeld geprägt wird, bekam die Erziehung eine zentrale Bedeutung. „Wir (die Linken) glauben fest daran, dass alle Phänomene der menschlichen Existenz am Ende auf Erziehung beruhen, auf nichts aber gar nichts anderem.“ 15
Der Konstruktivismus war die logische Folge dieses Menschenbildes. Der Mensch, so Jean-Paul Sartre, muss sich selbst zu dem machen, was er ist. Damit schafft er auch seine soziale Umwelt. Ehe, Familie, Nationen und ethische Normen sind folglich menschengemacht, „konstruiert“, und können genauso gut wieder „de-konstruiert“ werden. Sartres Lebensgefährtin, die Feministin Simone de Beauvoir, weitete den Konstruktivismus auf die Biologie aus. Mit ihrem berühmten Satz: „Man wird nicht als Frau geboren, sondern man wird zur Frau gemacht“ 16 entstand die Idee vom „sozialen“ Geschlecht.
„Wenn aber auch das Geschlecht nur ein Lernprogramm ist, dann kann man es auch umschreiben.“ 17 Damit konnte nun endlich auch die von Friedrich Engels beschriebene Ur-Unterdrückung des weiblichen durch das männliche Geschlecht eliminiert werden. Dazu mussten alle gewohnten Sichtweisen über Frau und Mann als ideologisch aufgelöst werden: „Es gibt kein biologisches Geschlecht (sex), sondern nur noch ein sozial und kulturell zugeschriebenes Geschlecht (gender).18 Das biologische Geschlecht, die Biologie, war irrelevant geworden für den postmodernen Menschen.
Diese Idee, vertreten von der Linguistik-Professorin Judith Butler wurde für die gesamte EU übernommen und wird als „Gender Mainstreaming“ in allen Ländern umgesetzt. So heißt es amtlich: „Gender umschreibt das soziale Geschlecht. Alle tradierten Geschlechterbilder („Gender“) sind demnach eine Rollenzuschreibung von außen.“ 19 Ganz nebenbei wird die seit Jahrtausenden in allen Kulturen selbstverständliche Vorstellung von Mann und Frau als „von außen aufgezwungen“ deklariert. Aus der Sicht von B. F. Skinner war durch moderne Erziehungsmethoden auch eine vollständige „Neuprogrammierung des Menschen“ möglich: „Nach behavioristischer Auffassung kann der Mensch jetzt sein eigenes Schicksal kontrollieren: Er weiß, was getan werden muss, und wie es zu tun ist.“20 Und es wird von der Politik über „modernisierte“ Bildungspläne systematisch umgesetzt.
Wie bei allen sozialistischen Gesellschaftsentwürfen greift das Ziel hoch hinaus: „Es will nicht weniger als den neuen Menschen schaffen, und zwar durch die Zerstörung der „traditionellen“ Geschlechterrollen.“ 21 Für Martine Rothblatt, ursprünglich männlichen Geschlechts, ist die neue Gender-Welt der Inbegriff von Freiheit und Selbstbestimmung: „Wir werden eine Kultur von nie dagewesener Kreativität bezüglich persönlicher Entwicklungsmöglichkeiten schaffen. Aus der Apartheid der Geschlechter entsteht die Freiheit der Gender.“22
Allerdings stehen dieser neuen Welt die Erkenntnisse der empirischen Wissenschaft, insbesondere der Hirnforschung, entgegen. „Es gibt zahlreiche prägende neurophysiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Diese sind weder durch Erziehung noch durch sozio-kulturelle Veränderungsbestrebungen … beeinflussbar.“23 Selbst die kanadische Feministin und Neuropsychologin Louann Brizendine sieht hier unüberwindliche Probleme: „Wir müssen uns von diesem Unisex-Gedanken verabschieden. Männer und Frauen sind verschieden, das belegen eine Vielzahl von Studien.“ 24 Aber das ficht die Gender-FeministInnen nicht an. Jede Kritik an der Gender-Theorie wird eingeordnet als „Teil der antifeministischen Bewegung. Bis heute wird mit diesem bizarren Argument jeder Einwand gegen die Gender-Theorie zurückgewiesen.“ 25
4. Dekonstruktion der Naturwissenschaft
„Ein kluger Kopf hat mal gesagt: Die Biologie ist das, was man dafür hält.“26 Diese Sicht ist inzwischen amtlich. Diese für jeden Naturwissenschaftler verblüffende Argumentation ergibt sich aber zwingend aus einem Konstruktivismus, der nun auch die Natur einbezieht. „Die Genderbewegung hat (…) kein Interesse an Objektivität. Eine objektive Wirklichkeit, die es zu erforschen gilt, existiert für sie nicht.“27
Aus dieser Sicht nimmt der Konstruktivismus allerdings bizarre Züge an: Als Wissenschaftler nach der Untersuchung der Mumie von Ramses II herausfanden, dass der Pharao wahrscheinlich an Tuberkulose gestorben war, bestritt der französische Konstruktivist Robert Latour, dass das möglich sei, weil Robert Koch das Virus erst 1882 entdeckt hatte: „Vor Koch hatte das Virus keine wirkliche Existenz.“ 28 Noch weiter geht Judith Butler. Als Professorin für Linguistik entsteht Wirklichkeit für sie erst durch Sprache. Somit ist auch Geschlecht semantisch konstruiert: „Es gibt überhaupt keinen „natürlichen“ Körper als solchen, der „vor“ der Sprache und Deutung der Kulturen liege. Radikalisiert bedeutet das, auch „Biologie“ sei Kultur.“ 29 Da aber offensichtlich Lebewesen existierten, bevor es Menschen und Sprache gab, ist diese Weltsicht so wirklichkeitsfremd, dass sie eigentlich nur zeigt, wie Ideologie selbst offensichtlichste Dinge vernebeln kann.
Die in Sachen „Dekonstruktion der Naturwissenschaft“ führende kanadische Gender-Professorin Donna Haraway fährt gleich drei Geschütze auf, um den Wahrheitsanspruch der empirischen Wissenschaft zu dekonstruieren. Das erste:
„Der Konstruktivismus lehrt, dass wir die Wirklichkeit niemals als das erkennen können, was sie wirklich ist.“ 30 Zunächst ist der Konstruktivismus für die Gender-Wissenschaft offensichtlich eine nicht hinterfragbare Prämisse und somit unwissenschaftlich. Aber es gibt einen wahren Kern in der Aussage. „Die Physik ist nicht die Beschreibung der Natur, sondern vielmehr nur die Beschreibung unserer Vorstellung von der Natur.“ Diese Aussage von Nils Bohr31 wird von Carl-Friedrich von Weizsäcker noch verschärft: „Die rationale Physik sieht … nur die Oberfläche der Wirklichkeit, die Physik erklärt nicht die Geheimnisse der Natur, sie führt sie auf tiefer liegende Geheimnisse zurück.“32 Tatsächlich werden wir nie herausfinden, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.
Aber wenn wir heute die meisten Krankheiten medikamentös behandeln und über Kontinente hinweg kommunizieren können; wenn sich ein viele Tonnen schwerer Jumbo in die Luft erhebt oder unsere Raumsonden auf dem Mond, dem Mars und sogar auf einem Kometen landen, dann belegt das wohl eindrucksvoll, dass wir zumindest die Oberfläche der Wirklichkeit, die uns ja unmittelbar betrifft, hinreichend genau beschreiben können. Donna Haraway´s zweites Argument lautet:
„Geltende Theorien wurden bisher nur nicht falsifiziert. Wenn überhaupt, dann wissen wir nur sicher, was Wirklichkeit nicht ist.“ 33 Auch dieser Einwand ist im Prinzip richtig: Alle unsere mathematischen Modelle der Wirklichkeit müssen sich im Experiment bewähren. Aber noch so viele Bestätigungen machen eine Theorie nicht zur Wahrheit, sie kann nur falsifiziert werden. Insofern wissen wir tatsächlich nur sicher, was die Wirklichkeit nicht ist.
Aber die großen Theorien wie Newtons Mechanik wurden nicht „falsifiziert“, sondern eingeschränkt auf den Geltungsbereich, in dem sie angewandt werden können. Im „Alltagsgebrauch“ funktioniert Newtons Mechanik wunderbar. Sie versagt erst bei Geschwindigkeiten