Das Tao der Gefühle. Pete Walker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pete Walker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Здоровье
Год издания: 0
isbn: 9783962572297
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so viel Gewicht wie das gedruckte Wort »glücklich«.

      Das Wesen des Fühlens ist nicht wie ein Supermarkt, in dem man aus einer größeren Anzahl von verfügbaren Produkten nur die Lieblingsmarken der Emotionen auswählen kann. Der Einkaufswagen der Psyche kann nicht mit angenehmen Emotionen gefüllt werden, während die unangenehmen im Regal liegen bleiben.

      Ganz gleich, wie raffiniert die Werbung uns weismachen will, dass das, was sie verkaufen, wünschenswerte Emotionen erzeugt, ihre Produkte werden eher Ausschläge und Magen-Darm-Beschwerden hervorrufen, als dass sie uns Liebe und Glück bringen.

      Echte Freude kann nicht ohne das nötige Maß an Trauer erworben werden, so wie es Liebe nicht ohne Streit gibt, oder Vergebung ohne Schuldzuweisung. Zorn, Angst und Traurigkeit sind für den ganzheitlich fühlenden Menschen ebenso unersetzlich wie Liebe, Vertrauen und Freude. Unser Leben wird strahlender, wenn wir den gesamten Vorrat an emotionalen Farben nutzen, nicht nur Rosa, Glitzer und Babyblau.

      Menschen, die sich nur mit »positiven« Gefühlen identifizieren, werden oft fad, abgestumpft und distanziert und leben in einer gefühllosen Wüste, einem wahren Niemandsland. In der psychischen Wüste der verleugneten Gefühle lässt die glühende Hitze der unterdrückten Wut unsere Gefühle von Liebe und Zuneigung verdampfen und uns emotional dehydrieren. Emotionen abzulehnen, weil sie manchmal unangenehm sind, ist, als würde man einzelne Körperteile abschneiden, weil sie nicht schön sind. Es gibt ein altes Sprichwort:

      Für den klugen Menschen sind Glück und Pech wie seine rechte und linke Hand – er nutzt beide zu seinem Vorteil.

      Dasselbe gilt auch für die »guten« und »schlechten« Emotionen. Das »Auswählen« nur der bevorzugten Gefühle ist wie die Entscheidung zu essen, ohne die Notwendigkeit der Ausscheidung zu akzeptieren. Kein Wunder, dass die Menschen der westlichen Welt von allen Gesellschaften die körperlich und emotional verstopftesten Menschen sind.

      … von allem, was ich bin, bin ich auch das Gegenteil. Ich kann mich nicht von meinen Dämonen befreien, ohne zu riskieren, dass meine Engel mit ihnen fliehen.

      — Sheldon Kopp

      Die Dynamik der Polarität beherrscht die vielen Phänomene im Leben, die sich aus gegensätzlichen, aber miteinander verbundenen Hälften zusammensetzen. In der Chemie manifestiert sich die Polarität als Plus- und Minuspol einer Batterie; in der Physik als positiv geladene Protonen und negativ geladene Elektronen von Atomen. Im Alltag zeigt sich die Polarität in solch voneinander abhängigen Gegensätzen wie Nacht und Tag, heiß und kalt, männlich und weiblich, Hunger und Sättigung.

      Im Osten wird das Prinzip der Polarität als Tao bezeichnet, symbolisiert durch ineinandergreifende Kreishälften, wie auf dem Einband dieses Buches dargestellt. Das Tao-Symbol veranschaulicht, dass das menschliche Leben sowie die gesamte Natur und der Kosmos durch Prozesse gekennzeichnet sind, die sich aus entgegengesetzten, aber sich ergänzenden Hälften zusammensetzen.

      Auch unser emotionales Wesen besteht aus vielen Paaren oder Polen scheinbar gegensätzlicher Erfahrungen. Bekannte emotionale Polaritäten sind: Glück und Traurigkeit, Zustimmung und Ablehnung, Vertrauen und Misstrauen, Hochgefühl und Depression.

      Und so wie ein Magnet nicht ohne gegensätzliche Pole existieren kann, können wir nicht ganzheitlich fühlen, ohne unsere inhärenten emotionalen Polaritäten anzunehmen. Wir können uns nicht gut fühlen, ohne uns manchmal schlecht zu fühlen. Mit den Worten von Ken Wilber:

      … bei dem Versuch, das Positive zu betonen und das Negative zu beseitigen, haben wir vergessen, dass das Positive nur durch das Negative definiert wird. Das Negative zu zerstören, bedeutet gleichzeitig, alle Möglichkeiten zu zerstören, das Gegenteil zu genießen.

      Unsere Sprache spiegelt leider den Mangel an Gefühlen in unserer Kultur wider, und es fehlen uns die Worte, um viele der wesentlichen emotionalen Polaritäten zu beschreiben. Daher müssen wir das Wort Liebe als Pendant zu einer Vielzahl gegensätzlicher Gefühlserfahrungen verwenden: Liebe und Hass, Liebe und Einsamkeit, Liebe und Neid, Liebe und Ekel, Liebe und Arglist, Liebe und Verlassenheit. Die Griechen, die nicht unter der gleichen emotionalen Auszehrung zu leiden scheinen wie die meisten Menschen der westlichen Welt, haben nicht dieses Problem mit dem Wort Liebe. Sie haben eigene Wörter für dreizehn verschiedene emotionale Liebeserfahrungen.

      Ein Mensch erlebt ein bestimmtes »positives« Gefühl in dem Maße als authentisch, wie er bereit ist, dessen »negatives« Korrelat vollständig zu fühlen. Die Intensität und Authentizität des Lachens eines Menschen verhält sich analog zu seiner Fähigkeit zu weinen. Der Nervenkitzel bei einer mutigen Tat misst sich am Grad der Angst, die überwunden werden muss. Die Intensität der Liebeserfahrung hängt direkt mit ihrem Gegenteil, der Erfahrung von Einsamkeit zusammen. Die Tiefe der Vergebung hängt von der gefühlten Vehemenz der Beschuldigung ab.

      Es gibt unterschiedlich starke Bänder emotionaler Intensität, die sich zwischen jedem gegensätzlichen Paar erstrecken. Unsere emotionale Erfahrung verschiebt sich von einem Pol zum anderen entlang eines Gefühlskontinuums, und es gibt viele verschiedene Grade von Gefühlen auf jedem einzelnen emotionalen Kontinuum. Wir alle sind sowohl allmählichen als auch plötzlichen Schwankungen zwischen den emotionalen Extremen der verschiedenen Gefühlskontinua ausgesetzt.

      Zwischen ängstlicher Paranoia und völlig verletzlichem Vertrauen gibt es verschiedene Grade des Gefühls von Misstrauen oder Sicherheit. Zwischen einem rauschhaften Glücksgefühl und einer sich nach dem Tod sehnenden Trauer gibt es zahlreiche Schattierungen der Freude und der Traurigkeit. Zwischen herzzerreißender Liebe und explodierendem Hass gibt es viele weniger intensive Zustände von Zustimmung und Ablehnung.

      In der Mitte jedes Kontinuums gibt es einen Zustand, in dem wir keinerlei emotionale Erregung erfahren. Desinteresse beispielsweise liegt auf halbem Weg zwischen herzzerreißender Liebe und intensivem Hass, auf der Grenze zwischen Mögen und Nichtmögen. Mein Freund Herbie Monroe hat dieses Konzept mit diesen Worten erläutert: »Ich liebe die Westküste, ich hasse die Ostküste, und Nebraska ist mir völlig egal.«

      Wenn wir uns weigern, die volle Intensität unserer Emotionen zu spüren, werden wir depressiv und bleiben in den »sicheren« und tristen mittleren Bereichen der emotionalen Kontinua stecken. Apathie ist eine häufige Folge davon, wenn man das Kind der emotionalen Vitalität mit dem Badewasser der nicht akzeptierten Gefühle ausschüttet. Während ich schreibe, erinnere ich mich an einen niedergeschlagenen Nachbarn von mir, der auf meine Begrüßung »Wie geht es Ihnen heute, Herr S.?« stets mit der gedämpften Antwort »Gut bis mittelmäßig, danke« antwortete.

      Die Praktik des ganzheitlichen Fühlens lehrt uns, uns geschmeidiger entlang der facettenreichen Bandbreite des emotionalen Spektrums zu bewegen. Tag für Tag und manchmal auch Stunde um Stunde können auf einem bestimmten Kontinuum Schwingungen auftreten. Auf dem Kontinuum von Liebe und Einsamkeit zum Beispiel können wir uns auf sehr subtile Weise verbunden oder getrennt fühlen. Manchmal erleben wir uns plötzlich, ohne erkennbaren Grund, ausgesprochen einsam und abgeschnitten und dann, wie aus dem Nichts, können wir ebenso plötzlich eine starke liebevolle Verbundenheit mit anderen empfinden.

      Es gibt auch Zeiten, in denen wir zu Recht in der Mitte eines bestimmten Kontinuums ruhen und keines der polaren Gefühle vorhanden ist. Wir fühlen uns an einem bestimmten Punkt vielleicht nicht einsam oder liebevoll. Jedes Kontinuum hat auch einen Mittelpunkt, der sich von Apathie und Desinteresse unterscheidet und wirklich erholsam ist. Wenn alle Gefühlskontinua sich wirklich im Ruhemodus befinden, erleben wir Entspannung und Frieden.

      Friedfertigkeit ist auch eine vergängliche Erfahrung. Wenn wir versuchen, Ruhe dauerhaft zu installieren, stellen wir gewöhnlich den abgestumpften Mittelweg des Nicht-Gefühls wieder her. In solchen Fällen geht der Friede allmählich in eine bedrückende Tristesse über, da wir immer mehr Energie verschwenden, um neu aufkommenden Gefühlen zu widerstehen.

      Schließlich gibt es viele komplexe emotionale Zustände, die Menschen mit ganzheitlichen Gefühlen erleben. Manchmal schwingen mehrere Gefühlskontinua gleichzeitig mit, und wir empfinden