Im Schlaraffenland. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962818357
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nicht ein­mal mehr ein Wort der Ab­bit­te her­vor, ganz ent­setzt über sein neu­es Miss­ge­schick. In­des sag­te der alte Herr ver­bind­lich »Par­don« und reich­te An­dre­as Tel­ler und Be­steck. Der arme jun­ge Mann ge­wahr­te jetzt die sei­de­nen St­rümp­fe des Haus­hof­meis­ters und wand­te sich mit blut­ro­tem Ge­sicht hin­weg.

      Vor ihm stan­den Kü­bel mit Sekt­fla­schen. Ein Die­ner war­te­te auf sei­nen Wink, um ihm ein­zu­schen­ken. Aber An­dre­as be­fürch­te­te, man möch­te ihm an­se­hen, dass er noch nie­mals Cham­pa­gner ge­nos­sen habe. Er woll­te einen Wein wäh­len, als man hin­ter ihm lach­te. Die ver­schie­de­nen De­mü­ti­gun­gen, die er in so kur­z­er Zeit er­lit­ten hat­te, brach­ten ihn au­ßer sich, er war im Be­grif­fe, sei­ne Zu­kunft durch einen Skan­dal zu ver­der­ben. Sehr bleich dreh­te er sich nach zwei Her­ren in sei­ner Nach­bar­schaft um, er war ent­schlos­sen, den ers­ten, der ihn schief an­zu­se­hen wag­te, zu ohr­fei­gen. Als die bei­den je­doch sein Ge­sicht be­merk­ten, schie­nen sie es gar nicht ge­we­sen zu sein. Der eine von ih­nen sprach An­dre­as an, und auch das stärks­te Miss­trau­en konn­te in sei­ner Stim­me nur ru­hi­ge Höf­lich­keit ent­de­cken.

      »Ich rate Ih­nen zu dem Cha­b­lis dort«, sag­te er. »Es ist das Feins­te, was hier zu ha­ben ist.«

      An­dre­as dank­te und trank mit wie­der­ge­won­ne­ner Fas­sung meh­re­re Glä­ser. Da der Wein in einen nüch­ter­nen Ma­gen ge­lang­te, brach­te er bald die freund­lichs­te Wir­kung her­vor. Als An­dre­as den letz­ten Trop­fen ge­trun­ken hat­te, tri­um­phier­te er. »Die bei­den Job­ber ha­ben vor mei­nem Ge­sicht Furcht ge­habt«, sag­te er sich.

      Er emp­fand das Be­dürf­nis, zu spre­chen; man schi­en sich hier ja un­be­kann­ter­wei­se an­zu­re­den.

      »Da ist ja Kaf­lisch!« rief er plötz­lich, als be­grüß­te er einen lan­ge ver­miss­ten Freund. Der Jour­na­list zeig­te sich am Arm ei­nes kor­pu­len­ten Herrn mit kur­z­em schwar­zen Spitz­bart, schwe­ren Li­dern und von dem Aus­se­hen ei­ner be­deu­ten­den Per­sön­lich­keit. An­dre­as mein­te ihn zu er­ken­nen.

      Kaf­lisch mus­ter­te den Fremd­ling. Als er ihn in sei­nem Ge­dächt­nis un­ter­ge­bracht hat­te, schüt­tel­te er ihm die Hand.

      »Freut mich, Sie wie­der­zu­se­hen. Nu sehn­se­woll, wie ’ne Emp­feh­lung von un­ser’m Al­ten hier wirkt?«

      »Fa­mos!« sag­te An­dre­as. Er fühl­te sich un­ter­neh­mungs­lus­tig. Er er­kun­dig­te sich:

      »Wis­sen Sie nicht, wo die Haus­frau ist?«

      »Kom­men Sie von Ra­ti­bohr?« frag­te der kor­pu­len­te Herr. Der jun­ge Mann stutz­te.

      »Nein, von Gum­plach«, er­wi­der­te er.

      Der Herr lä­chel­te ihn wohl­wol­lend an. Kaf­lisch brach in Ge­läch­ter aus.

      »Gold­herz meint, ob Sie der Haus­frau von Herrn Ra­ti­bohr was zu sa­gen ha­ben. Sie wol­len sich ihr wohl nur vor­stel­len? Hat ja gar kei­nen Zweck.«

      Der kor­pu­len­te Herr folg­te ge­lang­weilt dem Ruf ei­nes Be­kann­ten. Kaf­lisch nahm An­dre­as’ Arm wie den ei­nes Ju­gend­freun­des.

      »War das der be­rühm­te Ver­tei­di­ger?« frag­te der jun­ge Mann.

      »Ihn selbst ha­ben Ihre sterb­li­chen Au­gen ge­se­hen. Wis­sen­se, den müs­sen Sie ken­nen­ler­nen.«

      Im Men­tor­ton setz­te Kaf­lisch hin­zu:

      »Von de­nen, die hier sind, kann kei­ner sa­gen, dass er ihn nicht ei­nes Ta­ges nö­tig ha­ben wird.«

      »Wie geht es Ih­nen sonst?« frag­te er gleich dar­auf. »Ist Be­die­ner nett zu Ih­nen?«

      »Sehr«, sag­te An­dre­as. »Vo­ri­gen Sonn­tag ist was von mir er­schie­nen.«

      »Aha, das Ge­dicht in der ›Neu­zeit‹.«

      »Ha­ben Sie es ge­le­sen?«

      »Das kön­nen Sie nicht ver­lan­gen. Aber von je­dem aus­sichts­rei­chen Ta­lent, das an den Al­ten emp­foh­len ist, bringt die ›Neu­zeit‹ ein Ge­dicht. Auf das zwei­te kön­nen Sie lan­ge war­ten. – Da ha­ben Sie Asta«, setz­te er schnell hin­zu, stieß An­dre­as an und wand­te sich un­ver­fro­ren nach ei­ner vor­über­ge­hen­den Dame um.

      »Wer, Asta?« frag­te An­dre­as, der Kaf­lisch’ Bei­spiel folg­te. Aber sei­ne wein­se­li­ge Auf­ge­räumt­heit räch­te sich so­fort, er trat der Dame auf die Schlep­pe, und sie zeig­te ihm ein Ge­sicht vol­ler Ver­ach­tung.

      »Nu ha­ben Sie sie doch mal an­ge­se­hen«, sag­te Kaf­lisch freund­lich. Die Dame ging wei­ter, ei­nem lan­gen, blon­den Herrn mit schüt­term Bart ent­ge­gen, der ihr über den Köp­fen der Men­ge, hin­ten an der Tür zu­wink­te.

      An­dre­as war jetzt nicht mehr so leicht aus der Fas­sung zu brin­gen. Er frag­te, über­mü­tig la­chend:

      »Sa­gen Sie doch, wer ist denn die Asta?«

      »Die Toch­ter vom Hau­se, mein jun­ger Freund. Und wenn die hier spa­zie­ren­geht, so kön­nen Sie glau­ben, dass die Mut­ter ganz wo an­ders ist.«

      »Wa­rum?« frag­te An­dre­as. Er war doch leicht er­schro­cken.

      »Wa­rum? Die lie­be Un­schuld! Asta ist ’n Mäd­chen mit Grund­sät­zen, das heißt, sie geht à la Ib­sen fri­siert, mo­der­nes Weib, mehr in­tel­lek­tu­ell als Ge­schlechts­we­sen, ver­stehn­se mich, sehr ge­ehr­ter Herr?«

      Kaf­lisch sprach mit der Nase dicht an An­dre­as’ Mund und sehr laut. Es lag ihm of­fen­bar nichts dar­an, sein Licht un­ter den Schef­fel zu stel­len. Um sie her fing man an zu la­chen. An­dre­as fühl­te die Auf­merk­sam­keit auf sich ge­rich­tet, was ihm schmei­chel­te.

      »Und die Mut­ter?« frag­te er mit er­ho­be­ner Stim­me, wäh­rend sie weiter­schlen­der­ten.

      »Die ist ’ne gute Frau«, er­klär­te Kaf­lisch leicht­hin. »So­gar zu gut ge­gen uns jun­ge Leu­te.«

      »Ich ver­ste­he«, sag­te An­dre­as mit ei­ner Be­to­nung, die er für viel­sa­gend hielt.

      »Kommt dort nicht Liz­zi Laffé?« frag­te er. Der Name je­ner Dame, die er schon im Vor­zim­mer durch sei­ne In­dis­kre­ti­on be­lei­digt hat­te, war ihm zu sei­nem Schre­cken ein­ge­fal­len. Er kann­te sie von der Büh­ne her, der sie an­ge­hör­te, und Liz­zis Be­zie­hun­gen zu Türk­hei­mer wa­ren im »Café Hur­ra« des öf­te­ren er­ör­tert.

      »Abend, Liz­zi«, sag­te Kaf­lisch, der ihr im Vor­über­ge­hen die Hand schüt­tel­te. Sie be­merk­te An­dre­as gar nicht, der voll Ehr­furcht fest­stell­te, dass ihre Toi­let­te, seit sie den gelb­sei­de­nen Man­tel ab­ge­legt, an Prunk noch nichts ver­lo­ren hat­te. Er schau­te ihr vor­sich­tig nach, wie sie in ih­rer alle ein­schüch­tern­den Üp­pig­keit, mit Bril­lan­ten über­sät, am Arm des­sel­ben Herrn da­hin­schritt, mit dem er sie über­rascht hat­te. Es war ein ge­schnie­gel­ter jun­ger Mann, mit bart­lo­sem, doch her­aus­for­dern­dem Ge­sicht, breit­schult­rig, be­leibt und von der Hal­tung ei­nes Korps­stu­den­ten.

      »Also Liz­zi ist auch da!«

      An­dre­as be­müh­te sich, recht harm­los zu spre­chen. Die Be­geg­nung mit die­ser Frau, die ei­ner be­lei­dig­ten Her­zo­gin glich, hat­te ihn völ­lig er­nüch­tert.