Vor ihm standen Kübel mit Sektflaschen. Ein Diener wartete auf seinen Wink, um ihm einzuschenken. Aber Andreas befürchtete, man möchte ihm ansehen, dass er noch niemals Champagner genossen habe. Er wollte einen Wein wählen, als man hinter ihm lachte. Die verschiedenen Demütigungen, die er in so kurzer Zeit erlitten hatte, brachten ihn außer sich, er war im Begriffe, seine Zukunft durch einen Skandal zu verderben. Sehr bleich drehte er sich nach zwei Herren in seiner Nachbarschaft um, er war entschlossen, den ersten, der ihn schief anzusehen wagte, zu ohrfeigen. Als die beiden jedoch sein Gesicht bemerkten, schienen sie es gar nicht gewesen zu sein. Der eine von ihnen sprach Andreas an, und auch das stärkste Misstrauen konnte in seiner Stimme nur ruhige Höflichkeit entdecken.
»Ich rate Ihnen zu dem Chablis dort«, sagte er. »Es ist das Feinste, was hier zu haben ist.«
Andreas dankte und trank mit wiedergewonnener Fassung mehrere Gläser. Da der Wein in einen nüchternen Magen gelangte, brachte er bald die freundlichste Wirkung hervor. Als Andreas den letzten Tropfen getrunken hatte, triumphierte er. »Die beiden Jobber haben vor meinem Gesicht Furcht gehabt«, sagte er sich.
Er empfand das Bedürfnis, zu sprechen; man schien sich hier ja unbekannterweise anzureden.
»Da ist ja Kaflisch!« rief er plötzlich, als begrüßte er einen lange vermissten Freund. Der Journalist zeigte sich am Arm eines korpulenten Herrn mit kurzem schwarzen Spitzbart, schweren Lidern und von dem Aussehen einer bedeutenden Persönlichkeit. Andreas meinte ihn zu erkennen.
Kaflisch musterte den Fremdling. Als er ihn in seinem Gedächtnis untergebracht hatte, schüttelte er ihm die Hand.
»Freut mich, Sie wiederzusehen. Nu sehnsewoll, wie ’ne Empfehlung von unser’m Alten hier wirkt?«
»Famos!« sagte Andreas. Er fühlte sich unternehmungslustig. Er erkundigte sich:
»Wissen Sie nicht, wo die Hausfrau ist?«
»Kommen Sie von Ratibohr?« fragte der korpulente Herr. Der junge Mann stutzte.
»Nein, von Gumplach«, erwiderte er.
Der Herr lächelte ihn wohlwollend an. Kaflisch brach in Gelächter aus.
»Goldherz meint, ob Sie der Hausfrau von Herrn Ratibohr was zu sagen haben. Sie wollen sich ihr wohl nur vorstellen? Hat ja gar keinen Zweck.«
Der korpulente Herr folgte gelangweilt dem Ruf eines Bekannten. Kaflisch nahm Andreas’ Arm wie den eines Jugendfreundes.
»War das der berühmte Verteidiger?« fragte der junge Mann.
»Ihn selbst haben Ihre sterblichen Augen gesehen. Wissense, den müssen Sie kennenlernen.«
Im Mentorton setzte Kaflisch hinzu:
»Von denen, die hier sind, kann keiner sagen, dass er ihn nicht eines Tages nötig haben wird.«
»Wie geht es Ihnen sonst?« fragte er gleich darauf. »Ist Bediener nett zu Ihnen?«
»Sehr«, sagte Andreas. »Vorigen Sonntag ist was von mir erschienen.«
»Aha, das Gedicht in der ›Neuzeit‹.«
»Haben Sie es gelesen?«
»Das können Sie nicht verlangen. Aber von jedem aussichtsreichen Talent, das an den Alten empfohlen ist, bringt die ›Neuzeit‹ ein Gedicht. Auf das zweite können Sie lange warten. – Da haben Sie Asta«, setzte er schnell hinzu, stieß Andreas an und wandte sich unverfroren nach einer vorübergehenden Dame um.
»Wer, Asta?« fragte Andreas, der Kaflisch’ Beispiel folgte. Aber seine weinselige Aufgeräumtheit rächte sich sofort, er trat der Dame auf die Schleppe, und sie zeigte ihm ein Gesicht voller Verachtung.
»Nu haben Sie sie doch mal angesehen«, sagte Kaflisch freundlich. Die Dame ging weiter, einem langen, blonden Herrn mit schütterm Bart entgegen, der ihr über den Köpfen der Menge, hinten an der Tür zuwinkte.
Andreas war jetzt nicht mehr so leicht aus der Fassung zu bringen. Er fragte, übermütig lachend:
»Sagen Sie doch, wer ist denn die Asta?«
»Die Tochter vom Hause, mein junger Freund. Und wenn die hier spazierengeht, so können Sie glauben, dass die Mutter ganz wo anders ist.«
»Warum?« fragte Andreas. Er war doch leicht erschrocken.
»Warum? Die liebe Unschuld! Asta ist ’n Mädchen mit Grundsätzen, das heißt, sie geht à la Ibsen frisiert, modernes Weib, mehr intellektuell als Geschlechtswesen, verstehnse mich, sehr geehrter Herr?«
Kaflisch sprach mit der Nase dicht an Andreas’ Mund und sehr laut. Es lag ihm offenbar nichts daran, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Um sie her fing man an zu lachen. Andreas fühlte die Aufmerksamkeit auf sich gerichtet, was ihm schmeichelte.
»Und die Mutter?« fragte er mit erhobener Stimme, während sie weiterschlenderten.
»Die ist ’ne gute Frau«, erklärte Kaflisch leichthin. »Sogar zu gut gegen uns junge Leute.«
»Ich verstehe«, sagte Andreas mit einer Betonung, die er für vielsagend hielt.
»Kommt dort nicht Lizzi Laffé?« fragte er. Der Name jener Dame, die er schon im Vorzimmer durch seine Indiskretion beleidigt hatte, war ihm zu seinem Schrecken eingefallen. Er kannte sie von der Bühne her, der sie angehörte, und Lizzis Beziehungen zu Türkheimer waren im »Café Hurra« des öfteren erörtert.
»Abend, Lizzi«, sagte Kaflisch, der ihr im Vorübergehen die Hand schüttelte. Sie bemerkte Andreas gar nicht, der voll Ehrfurcht feststellte, dass ihre Toilette, seit sie den gelbseidenen Mantel abgelegt, an Prunk noch nichts verloren hatte. Er schaute ihr vorsichtig nach, wie sie in ihrer alle einschüchternden Üppigkeit, mit Brillanten übersät, am Arm desselben Herrn dahinschritt, mit dem er sie überrascht hatte. Es war ein geschniegelter junger Mann, mit bartlosem, doch herausforderndem Gesicht, breitschultrig, beleibt und von der Haltung eines Korpsstudenten.
»Also Lizzi ist auch da!«
Andreas bemühte sich, recht harmlos zu sprechen. Die Begegnung mit dieser Frau, die einer beleidigten Herzogin glich, hatte ihn völlig ernüchtert.