Im Schlaraffenland. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962818357
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      »An­dre­as Zum­see.«

      »Vo­lon­tär, was?«

      »Doch nicht«, sag­te An­dre­as stolz ab­leh­nend, als habe er nie den Wunsch ge­hegt, als Hilfs­ar­bei­ter in die Re­dak­ti­on ein­zu­tre­ten.

      »Dann hat er Ih­nen wohl die Mit­ar­beit an der ›Neu­zeit‹ an­ge­bo­ten?«

      An­dre­as sah den schlau lä­cheln­den Jour­na­lis­ten an. Kaf­lisch nahm die Über­ra­schung des Neu­lings für eine Ant­wort und frag­te wei­ter:

      »Sa­gen­se­mal, hat er Sie auch an Türk­hei­mers emp­foh­len?«

      »Na, herz­li­chen Glück­wunsch!« sag­te er, als An­dre­as be­jah­te. »Ein fei­nes Haus und ’ne schö­ne Frau.«

      Er schmatz­te da­bei so stim­mungs­voll, dass An­dre­as plötz­lich al­ler­lei dunkle Be­gier­den emp­fand.

      »Und bes­ten Dank, sehr ge­ehr­ter Herr. Wenn der Alte einen zu Türk­hei­mers schickt, dann ist er un­fehl­bar gu­ter Lau­ne. Dann kann ich ihm mit mei­nen Ge­schich­ten kom­men. Es ist ja ’n Elend, nie mehr als zehn Pfen­ni­ge für die Zei­le und da­bei noch den Staat er­hal­ten! Jetzt will ich vor den Ge­richts­voll­zie­hern nach Bres­lau flüch­ten, wis­sen­se, wo jetzt der Lust­mord­pro­zess an­fängt. Be­die­ner gibt mir die Be­richt­er­stat­tung, pas­sen­se mal auf. Wenn er zu Ih­nen so nett ist und Sie zu Türk­hei­mers schickt, dann tut er mir auch ’ne Lie­be. Na, Mahl­zeit, und viel Ver­gnü­gen! Auf Wie­der­se­hen!«

      Er war schon dro­ben im Vor­zim­mer ver­schwun­den, als An­dre­as ihm noch nach­schau­te. Die­ser Kaf­lisch be­frem­de­te ihn zwar et­was, aber sein We­sen war nicht ge­ra­de ab­sto­ßend. Er ver­söhn­te mit sei­ner zu­dring­li­chen Neu­gier da­durch, dass er auch in sei­nen ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten kei­ne Dis­kre­ti­on kann­te.

      Auf der Stra­ße wand­te sich An­dre­as um und sah zur Fassa­de des Hau­ses em­por, über die die In­schrift »Ber­li­ner Nacht­ku­ri­er« in mäch­ti­gen Re­lief­let­tern quer hin­über­lief. Der Au­gen­blick schi­en ihm fei­er­lich, er fühl­te, dass hier die ihm vor­ge­schrie­be­ne Lauf­bahn be­gann.

      Zu Hau­se ging er so­fort an die Sich­tung sei­ner Gar­de­ro­be. Es hat­te sei­ne Schwie­rig­keit, einen pas­sen­den Vi­si­ten­an­zug zu­sam­men­zu­stel­len, da je­des der hel­len Bein­klei­der den einen oder an­de­ren Man­gel auf­wies. Seuf­zend ent­schloss sich der arme jun­ge Mann zu der Frack­ho­se, die zu­sam­men mit dem ver­un­glück­ten schwar­zen Rock schon dem Dok­tor Be­die­ner un­vor­teil­haft auf­ge­fal­len war. An­dre­as hat­te dies wohl be­merkt. Er be­saß ein an­ge­bo­re­nes Ver­ständ­nis für gute Klei­dung, das sich in Ber­lin rasch aus­ge­bil­det hat­te. So oft er über die Fried­rich­stra­ße ging, fing er den wohl­wol­len­den Blick ir­gend­ei­nes hüb­schen Mäd­chens auf, den sie aber ei­lig zu­rück­zog, so­bald sie den Rock des jun­gen Man­nes ab­ge­schätzt hat­te. Die­se schlan­ken, blon­den Mäd­chen, die am Arm klei­ner ge­schnie­gel­ter Her­ren mit blan­ken Zy­lin­dern auf schwarz­ge­lock­ten Häup­tern da­hin­wan­del­ten, ahn­ten nicht, wie tief sie An­dre­as ver­wun­de­ten. Heu­te, wie schon oft, stu­dier­te er lan­ge in sei­nem Ra­sier­spie­gel, und er sah bes­ser als je­der an­de­re, warum der An­zug, der doch we­nig ge­tra­gen war, ihm so et­was trau­rig Un­ge­schick­tes ver­lieh. Der Ge­dan­ke, dass in ganz Ber­lin kein Schnei­der auf sein Glück und Ta­lent ver­trau­en und ihm Kre­dit ge­ben wür­de, drück­te ihn tief da­nie­der und hielt ihn zwei Tage von dem Be­su­che bei Frau Türk­hei­mer ab.

      Mit dem Mute der Verzweif­lung schlug er end­lich den Weg in die Pots­da­mer Stra­ße ein. Er ging die Kö­ni­gin-Au­gus­ta-Stra­ße ent­lang und bog ent­schlos­sen in die Hil­de­brandt-Pri­vat­stra­ße ein, eine stil­le mit Sand be­streu­te Al­lee, die an bei­den En­den durch ein Git­ter ab­ge­schlos­sen war. Das Palais Türk­hei­mer fiel als das groß­ar­tigs­te un­ter den Ge­bäu­den je­dem Passan­ten auf. Es war in ei­nem deut­schen Re­naissance­stil er­baut, den man auf sei­ne Echt­heit nicht nä­her an­se­hen durf­te. An­dre­as schell­te an dem rei­chen bron­ze­nen Gar­ten­tor, und es öff­ne­te sich ohne das Er­schei­nen ei­nes Men­schen. Ein­sam wie der Mär­chen­prinz, der ein ver­wun­sche­nes Schloss er­obert, schritt der jun­ge Mann über eine Art von Bur­g­hof, be­trat eine ma­je­stä­ti­sche Freitrep­pe und stand vor der ele­gan­ten Glas­tür, die in die Wöl­bung des kunst­voll ge­mei­ßel­ten Por­tals von pro­fa­nen Hän­den ein­ge­fügt schi­en.

      Die Tür ging auf, doch der grün-sil­ber­ne La­kai, der An­dre­as ent­ge­gen­trat, be­saß die Macht, den mu­ti­gen Ero­be­rer von der Schwel­le sei­nes Pa­ra­die­ses zu­rück­zu­scheu­chen. Er sag­te, dass die gnä­di­ge Frau nicht zu Hau­se sei. Un­ter dem ers­ten Ein­druck die­ser Nach­richt übergab ihm der jun­ge Mann sei­ne Kar­te und das Bil­lett des Dok­tor Be­die­ner. Gleich dar­auf fiel ihm ein, dass er dies nicht hät­te tun sol­len. Er blick­te bleich vor Wut dem Die­ner in das un­ver­schäm­te Ge­sicht und stand im Be­grif­fe, einen Schlag hin­ein­zu­ver­set­zen. »Wenn es nicht mei­nem In­ter­es­se zu­wi­der­lie­fe«, sag­te er sich, »wür­de ich es tun. Üb­ri­gens kann ich ihm sei­ne Un­ver­schämt­heit nicht nach­wei­sen, sie ist ver­steckt wie im­mer bei sol­chen Men­schen.«

      Er ging mit der Last sei­ner ver­nich­te­ten Hoff­nung auf der Brust die Stra­ße zu Ende und be­fand sich am Tier­gar­ten. Zwei Stun­den lang trieb ihn sein ent­täusch­ter Ehr­geiz in den ent­laub­ten We­gen um­her. Er fühl­te sich so leer und ziel­los wie an dem Tage, als er mit dem »Café Hur­ra« zu bre­chen be­schloss. Aber in­zwi­schen hat­te er Schrit­te ge­tan, die nicht so leicht zu wie­der­ho­len wa­ren. Wenn nun der fre­che La­kai, der ihn wie einen stel­lung­su­chen­den Kan­di­da­ten ge­mus­tert hat­te, die Kar­te des Che­fre­dak­teurs nicht ab­gab?

      Aber schon am fol­gen­den Mor­gen er­hielt An­dre­as mit der Post eine Ein­la­dung zum Abend des zehn­ten No­vem­ber von Frau Adel­heid Türk­hei­mer.

      1 leich­ter, zwei­rei­hi­ger Her­ren­man­tel <<<

      An­dre­as Zum­see er­schi­en, weil er dies für vor­neh­mer hielt, sehr spät auf der Soi­ree in der Hil­de­brandt­stra­ße. An dem bron­ze­nen Gat­ter, das dies­mal weit auf­stand, stieß ein ma­je­stä­ti­scher Por­tier sei­nen Stab auf den Bo­den. An­dre­as blick­te ihm ins Ge­sicht, es drück­te aber nur im­po­san­te Käl­te aus. Der La­kai, der ihm sei­nen Man­tel ab­nahm, war zu­fäl­lig der­sel­be, den er kann­te. An­dre­as sah ihn nicht ein­mal an. »Du hast mich nicht hin­dern kön­nen, her­zu­kom­men«, dach­te er.

      Das Selbst­be­wusst­sein, mit dem er sei­nen Ein­tritt voll­führ­te, er­stick­te sei­ne ge­hei­me Ver­le­gen­heit, mach­te ihn aber auch un­vor­sich­tig. Als­bald stieß ihm ein klei­nes Un­glück zu. Ne­ben der Gar­de­ro­be lag ein Vor­zim­mer, das An­dre­as auf den ers­ten Blick für leer hielt. Er be­trat es, ohne sich an­zu­kün­di­gen, aber schon nach zwei Schrit­ten stand er auf der Schlep­pe ei­nes Abend­man­tels. Es war ein Man­tel aus gel­ber Sei­de mit Bro­kat­sti­cke­rei, ge­füt­tert mit Sa­tin-Du­ches­se. Und An­dre­as konn­te sich nicht schnell ge­nug zu­rück­zie­hen, um nicht mehr zu be­mer­ken, dass die Be­sit­ze­rin des Man­tels von dem jun­gen Man­ne, der ihn ihr ab­nahm, einen Kuss emp­fing.