Im Schlaraffenland. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962818357
Скачать книгу
der Ge­ne­ral­kon­sul, den Dok­tor Be­die­ner bis zur Trep­pe be­glei­te­te. An­dre­as ver­folg­te mit scheu­em Blick jede Be­we­gung des Man­nes, von dem sein Schick­sal ab­hing. Er sah ihn mit ei­ni­gen jun­gen Leu­ten, die zu­nächst an sei­nem Wege stan­den, lei­se Wor­te wech­seln und nach­denk­lich, die Hand, auf der ein großer Bril­lant blitz­te, an sei­nem grau­en Spitz­bart, in sei­nem Ka­bi­nett ver­schwin­den. Wel­che be­täu­ben­de Fül­le von Ge­schäf­ten und wie we­nig Hoff­nung für einen be­schei­de­nen Neu­ling, hier ans Ziel zu ge­lan­gen! Doch schon nach we­ni­gen Mi­nu­ten trat ganz un­er­war­te­ter­wei­se der­sel­be Die­ner, dem An­dre­as sei­ne Emp­feh­lung an­ver­traut hat­te, auf den jun­gen Mann zu, um ihn zum Ein­tritt in das Büro des Herrn Che­fre­dak­teurs auf­zu­for­dern. An­dre­as durch­schritt blut­über­gos­sen die Rei­hen der War­ten­den. Er mein­te, die Be­vor­zu­gung, die ihm zu­teil ward, müs­se je­der­mann auf­fal­len.

      Und dann führ­te er eine mög­lichst kor­rek­te Ver­beu­gung vor Dok­tor Be­die­ner aus, der ihm lä­chelnd die Hand mit dem Bril­lan­ten ent­ge­gen­streck­te.

      »Sie sind mir als ein sehr aus­sichts­rei­ches Ta­lent emp­foh­len, Herr – re…«

      »Zum­see«, er­gänz­te An­dre­as.

      »Herr Zum­see«, wie­der­hol­te Dok­tor Be­die­ner.

      Er wies auf einen Ses­sel, und An­dre­as, der dem Lei­ter des »Nacht­ku­ri­er« ge­gen­über Platz nahm, sag­te sich, dass der Empfang gar nicht güns­ti­ger hät­te sein kön­nen. Dok­tor Be­die­ner be­gann wie­der:

      »Die Emp­feh­lung, die Sie gel­tend ma­chen, ist mir be­son­ders wert­voll, weil sie von ei­nem lang­jäh­ri­gen, lie­ben Freun­de kommt. Ich hof­fe, es geht mei­nem al­ten Schmücke gut?«

      An­dre­as er­teil­te be­frie­di­gen­de Aus­kunft über die Ge­sund­heit des al­ten Herrn. Aber er er­fuhr mit Er­stau­nen die na­hen Be­zie­hun­gen des Che­fre­dak­teurs zu Schmücke, der sich de­ren nie ge­rühmt hat­te.

      »Ich mei­ne so­gar, Ihren Na­men schon ir­gend­wo ge­fun­den zu ha­ben, Herr, Herr – re…«

      »Zum­see«, er­gänz­te An­dre­as.

      »Herr Zum­see«, wie­der­hol­te Dok­tor Be­die­ner, und er strich mit zwei ge­spreiz­ten Fin­gern su­chend über sei­ne hohe Stirn. Dach­te er an den »Gum­pla­cher An­zei­ger«? An­dre­as hät­te gern von sei­nen Er­fol­gen und Hoff­nun­gen, von den Ge­dich­ten, der No­vel­le, Köpf, dem »Café Hur­ra« und Türk­hei­mer des län­ge­ren ge­spro­chen. Aber durch die un­ge­ahn­te Lie­bens­wür­dig­keit des mäch­ti­gen Man­nes ward in ihm ein sol­ches Ent­zücken er­regt, dass er, mi­nu­ten­lang stumm und rot vor hef­ti­ger Schwär­me­rei, den Dok­tor Be­die­ner an­sah.

      Nie im Le­ben hat­te An­dre­as sol­che aus­ge­such­ten Ma­nie­ren ken­nen­ge­lernt, sol­che welt­män­ni­sche Hal­tung, sol­che na­tür­li­che Glät­te in je­der Be­we­gung, je­dem Blick und je­dem Wor­te. Dok­tor Be­die­ner saß ein we­nig seit­wärts über die Leh­ne ge­neigt, auf die er einen Arm stütz­te. Mit dem an­de­ren be­schrieb er zu­wei­len eine flüch­ti­ge, doch un­nach­ahm­lich run­de Ges­te, die al­les zu er­klä­ren schi­en, was er an­deu­ten woll­te. Sein Lä­cheln war of­fen­bar so ganz für sein Ge­gen­über be­stimmt, dass die­ses sich nicht den­ken konn­te, er wer­de je ei­nem an­de­ren so viel Auf­merk­sam­keit schen­ken. Er sprach zö­gernd, mit leicht ver­schlei­er­ter Stim­me und ließ das R weit hin­ten im Hal­se ver­schwin­den, was dis­tin­guiert klang. Er moch­te mit ei­nem ar­men jun­gen Man­ne noch so fa­mi­li­är tun, ohne es zu wol­len, be­wahr­te Dok­tor Be­die­ner in sei­nem gan­zen We­sen stets eine so vor­neh­me Zu­rück­hal­tung, dass es An­dre­as vor­kam, als stei­ge er aus ei­ner hö­he­ren Di­plo­ma­ten­sphä­re her­nie­der, wo­hin er je­den Au­gen­blick ent­rückt zu wer­den droh­te.

      Er ließ die Fra­ge, wo er An­dre­as’ Na­men schon ge­fun­den ha­ben moch­te, nach ei­ni­ger Über­le­gung auf sich be­ru­hen, um sich zu er­kun­di­gen:

      »Ha­ben Sie schon li­te­ra­ri­schen An­schluss ge­fun­den?«

      »Es ist mir als ganz un­be­kann­tem An­fän­ger sehr schwer ge­fal­len«, er­wi­der­te An­dre­as be­schei­den.

      »Ich ken­ne ein paar Re­dak­teu­re, zum Bei­spiel Dok­tor Pohl­atz.«

      »Oh, Pohl­atz«, sag­te Dok­tor Be­die­ner mit ei­ner Hand­be­we­gung, die nicht viel Hochach­tung aus­zu­drücken schi­en. Doch setz­te er hin­zu:

      »Ich schät­ze Pohl­atz per­sön­lich hoch, ich kann so­gar sa­gen, dass wir recht gute Freun­de sind.«

      »Schon wie­der je­mand, mit dem ich ver­kehrt habe, ohne zu wis­sen, dass er mit dem Che­fre­dak­teur des ›Nacht­ku­rier‹ be­freun­det ist«, dach­te An­dre­as.

      »Nur möch­te ich Ih­nen da­von ab­ra­ten«, fuhr Dok­tor Be­die­ner fort, »an sei­nem Blat­te mit­zu­ar­bei­ten. Es wür­de für Sie we­nig Wert ha­ben – dies un­ter uns.«

      An­dre­as ver­beug­te sich, voll Ver­gnü­gen über die ver­trau­li­che Mit­tei­lung, de­ren er ge­wür­digt wur­de. Wie gut, dass Pohl­atz gar nicht dar­an ge­dacht hat­te, ihn beim »Ka­bel« ein­zu­füh­ren! Er lausch­te atem­los auf Dok­tor Be­die­ners Be­leh­rung.

      »Alle die­se Blät­ter mit stren­ger Par­tei­rich­tung tau­gen nichts für ein aus­sichts­rei­ches Ta­lent«, sag­te der Che­fre­dak­teur. »Sie wür­den sich dort kom­pro­mit­tie­ren, ohne für den Ver­lust Ih­rer Selbst­stän­dig­keit ent­schä­digt zu wer­den. Bei uns da­ge­gen, wis­sen Sie wohl, be­hält je­der Mit­ar­bei­ter sei­ne Ei­gen­art. Der ›Nacht­ku­rier‹ hat vor al­len an­de­ren er­kannt, dass die Par­tei­pres­se sich über­lebt hat. Dass man eine ge­sun­de li­be­ra­le Wirt­schafts­po­li­tik ver­tritt, ver­steht sich von selbst; wir wä­ren ver­rückt, wenn wir es nicht tä­ten. (Hier voll­führ­te Dok­tor Be­die­ner eine Arm­be­we­gung, die ei­ner län­ge­ren Par­en­the­se gleich­kam.) Im Üb­ri­gen be­trach­ten wir uns als ein Or­gan der deut­schen Geis­tes­kul­tur.«

      Dok­tor Be­die­ner hielt an; er war bei­na­he warm ge­wor­den. Aber er er­lang­te so­fort sein vor­neh­mes Gleich­ge­wicht wie­der, des­sen au­gen­blick­li­ches Ab­han­den­kom­men An­dre­as in sei­ner Hin­ge­ris­sen­heit gar nicht be­merkt hat­te. Der Che­fre­dak­teur be­trach­te­te den Ein­druck, den er auf den jun­gen Mann mach­te, mit Wohl­wol­len. Er lä­chel­te so­gar, denn er hat­te die Be­mer­kung ge­macht, dass An­dre­as’ Blick, der zwi­schen dich­ten und lan­gen Wim­pern her­vor­kam, in sei­ner Treu­her­zig­keit merk­wür­dig ein­schmei­chelnd sei, und dass die be­din­gungs­lo­se Ver­eh­rung, die er aus­drück­te, ei­ner Dame über­aus an­ge­nehm sein müs­se. Flüch­tig dach­te er so­gar an Frau Türk­hei­mer. Er zö­ger­te noch, denn der miss­lun­ge­ne schwar­ze Rock, der dem gut ge­wach­se­nen Jüng­ling et­was Un­ge­schick­tes gab, for­der­te zur Vor­sicht auf. Das Haar war er­bärm­lich ge­schnit­ten, doch trug An­dre­as den Kopf recht gut. Dann ent­schloss sich Dok­tor Be­die­ner.

      »Sie soll­ten sich vor al­lem beim Thea­ter ein­füh­ren, ich mei­ne in den Krei­sen, die dem Thea­ter na­he­ste­hen.«

      »Schon wie­der das Thea­ter«, dach­te An­dre­as. »Es muss doch et­was da­mit los sein.«

      Er