32
Als wir wieder in meinem Sportwagen saßen, führte ich von dort aus ein Gespräch mit der Zentrale. Immerhin hatte man Reverend Mincusos Adresse herausfinden können. Er wohnte in Brooklyn, Myrtle Street, Hausnummer 567.
Hier in Queens waren wir wenigstens schon mal auf der richtigen Seite des East Rivers.
Ich sprach mit Agent Max Carter, einem Innendienstler der FBI-Fahndungsabteilung. Und was er mir mitzuteilen hatte, war durchaus interessant.
"Reverend Mincuso war Mitglied einiger rechtsradikaler Organisationen, bevor er sich als eine Art Wanderprediger selbständig machte", berichtete Carter. "Er äußerte zwar immer sehr radikale Ansichten, war aber selbst wohl nie an irgendwelchen Gewalttaten beteiligt. Über eine Organisation mit der Bezeichnung KÄMPFER DES LICHTS ist uns nichts bekannt..."
"Scheint wohl auch kein öffentlicher Verein zu sein", meinte ich.
Carter fuhr fort: "Für einen Reverend ist es allerdings schon recht erstaunlich, dass er mal wegen Verstoßes gegen die Waffengesetze verurteilt wurde. Ist zwar schon zehn Jahre her und seitdem sind die Gesetze liberalisiert worden, aber...
Für einen Mann Gottes nicht gerade alltäglich, oder?"
"Das ist allerdings wahr", zischte ich zwischen den Zähnen hindurch. "Und was ist mit Belmont?"
"Die Fahndung läuft. Und inzwischen sogar mit Erfolg!
Wir haben nämlich Belmonts Wohnung gefunden. Sie war zweimal untervermietet, deswegen hat es so lange gedauert, ihn ausfindig zu machen. Er wohnte in der Lower East Side..."
"Wohnte?", echote ich. Das klang nicht sehr gut.
"Ja, Jesse. Das hast du richtig verstanden. Alles spricht dafür, dass Belmont untergetaucht ist. Medina und Caravaggio sind gerade in seiner Wohnung. Vor ein paar Minuten habe ich mit den beiden gesprochen..."
"Dann hat es wohl nicht viel Sinn, wen wir da auch noch auftauchen, was?"
"Nein."
"Danke, Max."
Milo, der alles mitangehört hatte, meinte: "Immerhin dürfte Belmont in der Falle sitzen. Er kann das Land nicht verlassen..."
"Der Käfig, in dem er frei herumläuft ist mir allerdings ein bisschen zu groß!", erwiderte ich.
Ich ließ den Motor des Sportwagens an und fuhr los. Über den Queens Expressway ging es südwärts, Richtung Brooklyn. Ich war ziemlich ungeduldig. Irgendwie sagte mir mein Instinkt, dass jetzt schnell gehandelt werden musste. Sonst waren die schrägen Vögel, denen wir auf den Fersen waren am Ende allesamt ausgeflogen.
"Irgendwer muss diesen Belmont gewarnt haben", meinte Milo in die Stille hinein. "Und zwar ein Polizist. Wir hatten Belmont in der Fahndung, aber darüber ging nichts an die Öffentlichkeit. Aber auf den Revieren der City Police wusste man natürlich Bescheid!"
"Dobbs!", entfuhr es mir. "Er starb gestern Abend. Aber spätestens seit gestern Mittag ist Belmont in der Fahndung gewesen."
"Ich hoffe, du hast recht!", erwiderte Milo.
"Wieso?"
"Na, wenn es nicht Dobbs war..."
Milo brauchte nicht zu Ende zu sprechen. Ich wusste auch so, was er meinte. Es war nicht auszuschließen, dass Captain Billy Dobbs nicht der einzige Beamte des NYPD war, der sich vom Gedankengut der KÄMPFER DES LICHTES hatte anziehen lassen.
33
Reverend Paul Mincuso residierte in einem fünfstöckigen Haus, das aus der Zeit um die Jahrhundertwende stammte. Das Gebäude war aufwendig restauriert worden und in sehr gutem Zustand.
Ganz offensichtlich litt der Besitzer nicht unter finanziellen Schwierigkeiten.
Am Haupteingang meldeten wir uns mit Hilfe der Gegensprechanlage.
"Special Agent Trevellian vom FBI", stellte ich mich vor. "Wir hätten gerne Reverend Mincuso gesprochen..."
"Einen Moment", sagte eine abweisende Stimme.
Wenig später kam ein blassgesichtiger Mann mit schütterem Haar und dunklem Anzug zur Tür und öffnete sie.
Das Bleichgesicht ließ sich zunächst unsere Ausweise aushändigen und betrachtete sie sehr eingehend. Ein dünnes, kaltes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Es laufen so viele Betrüger heutzutage herum", erklärte er dazu.
"Sie können gerne in unserem Hauptquartier in der Federal Plaza anrufen, um sich unsere Identität bestätigen zu lassen", schlug Milo vor.
Der bleiche Mann blickte auf.
"Das dürfte nicht nötig sein", erklärte er dann. "Folgen Sie mir bitte."
Mit dem Aufzug ging es in den dritten Stock.
Reverend Paul Mincuso empfing uns in einem weiträumigen, sehr repräsentativen Büro. An der Wand hing ein großes, überdimensionales Holzkreuz. Der Reverend war ein großer Mann in den Fünfzigern. Sein Haar war ergraut, ebenso wie sein ziemlich langer Vollbart, der ihm das Aussehen eines biblischen Patriarchen gab. Ruhige dunkle Augen saßen in der Mitte eines eindrucksvollen Gesichtes.
Wir stellten uns knapp und sachlich vor.
Der Reverend bot uns daraufhin an, in den dunklen Ledersesseln Platz zu nehmen.
"Zwei Special-Agents des FBI! Zwei Hüter des Gesetzes also!" Der Reverend lachte heiser. Seine Stimme klang dröhnend. Und das Lächeln, das um seine dünnen Lippen spielte, war schwer zu deuten. In seinen Worten lag eine deutliche Portion Spott. "Was führt Sie zu mir, Gentlemen?"
Ich glaubte ihm die Unwissenheit nicht.
Aber er spielte sie perfekt.
Ein Mann, der es verstand, eine Bühne zu benutzen. Und im Moment war seine Bühne dieses Büro. Sein Publikum: zwei G-men.
"Gestern Abend starb ein Police Captain namens Billy Dobbs im Gefecht mit einem FBI-Mann. Er hatte gerade zusammen mit einem Komplizen dafür gesorgt, dass zwei bekannte Unterweltgrößen ins Reich der Toten eingingen."
"Abschaum, also", sagte Reverend Mincuso ganz offen.
"Dieser Captain hat Ihnen und seinen Kollegen die Arbeit doch erheblich erleichtert..."
"Er war ein Mörder", erwiderte ich kühl.
"Das kann man unterschiedlich beurteilen. Aber, wie auch immer... Was hat das alles mit mir und meiner Stiftung für Verbrechensopfer zu tun?"
"Sie kannten Dobbs", stellte ich fest.
"Ich höre seinen Namen heute zum ersten Mal, was vermutlich nur daran liegt, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, die Zeitung zu lesen..."
"Wir fanden Ihre Telefonnummer in seinem Adressenregister!"
"Was Sie nicht sagen..."
"In welcher Beziehung standen Sie zu Dobbs?"
"In überhaupt