30
Catherine Dobbs schluckte, als das Telefon läutete. Sie atmete tief durch. Sie hatte lange geschlafen und jetzt trug sie nichts weiter, als einen Seidenkimono. Wieder klingelte das Telefon.
Sie trat mit unter der Brust verschränkten Armen an den Apparat heran.
Das alles ist nur ein Alptraum!, ging es ihr durch den Kopf.
Irgendwann muss es doch ein Erwachen geben...
Aber sie wusste, dass es nicht so war.
Dies war die Wirklichkeit.
Billy war tot. Es gab nichts und niemanden, der daran etwas ändern konnte.
Verdammt, ich habe es kommen sehen... Mein dummer Billy! Du bist in dein Verderben gerannt... Und ich habe es nicht verhindern können!
Billy war zwar ein paar Jahre älter als sie. Dennoch hatte sie - besonders seit dem Tod ihrer Eltern - immer ein wenig das Gefühl gehabt, die Vernünftigere von beiden zu sein und auf ihren Bruder aufpassen zu müssen. Vergeblich.
Sie nahm das Telefon ab.
"Ja?"
"Miss Catherine Dobbs?"
Der scharfe, schneidende Klang dieser Stimme ließ Catherine unwillkürlich zusammenzucken. Sie erkannte diese Stimme sofort... Eine Gänsehaut überzog ihre nackten Unterarme.
"Was wollen Sie?", fragte sie.
In ihrer Stimme war ein leichtes Beben.
"Man wird Ihnen in der nächsten Zeit viele Fragen stellen, Miss Dobbs..."
"Hören Sie..."
"Nein, Sie hören mir jetzt zu! Ich schlage vor, dass Sie die Unwissende spielen. Es ist besser. Besser für das Ansehen Ihres Bruders. Aber vor allem besser für Sie, Miss Dobbs..."
"Sie... Sie wollen mir drohen?"
"Ich drohe nicht. Ich stelle nur fest, dass Sie eine sehr hübsche, lebenslustige junge Frau sind. Wie schnell könnte ein Unfall daran etwas ändern..."
Dann machte es klick.
Die Leitung war tot.
31
Bevor wir bei Catherine Dobbs aufkreuzten, sprach ich noch über Funk mit der Zentrale. Ich wollte alles über Paul Mincuso wissen. Alles, was vielleicht in den Archiven des FBI schlummerte.
Catherine Dobbs blickte uns ziemlich abweisend an, als wir vor ihrer Tür erschienen. Sie trug Jeans und einen blauen Sweater. Ihr Haar wurde mit einer Klammer zusammengehalten.
"Wir brauchen Ihre Aussage", sagte ich ruhig. "Können wir hereinkommen?"
"Ich werde es wohl nicht verhindern können!"
Wir traten ein.
Das Wohnzimmer ihres Bruders sah immer noch so chaotisch wie am Abend zuvor aus. Sie führte uns in ihren Teil der Wohnung.
"Erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen Kaffee anbiete", sagte sie.
"Es reicht, wenn Sie unsere Fragen beantworten."
"Na, schön, dann kommen Sie zur Sache!"
Sie sah mich herausfordernd an. Kurz ließ ich den Blick über die Einrichtung schweifen. Es war nichts besonderes darunter. Helles Mobiliar aus Kiefernholz. Ein halbes Dutzend Bücher, darunter die Bibel. Und ein Fernseher mit Videorecorder. Aber alles lag an seinem Platz und das hatte mich schon am Abend zuvor stutzig gemacht.
"Der Kerl, der hier gestern Abend eingedrungen ist, schien genau Bescheid zu wissen." Es war eine Feststellung, keine Frage. Ich studierte dabei genau Catherines Reaktion.
Sie hob die Augenbrauen und wich meinem Blick aus.
"Ach, ja?"
"Der Täter wusste, welche Räume Ihnen gehören und welche Ihrem Bruder!"
"Das sagen Sie!"
"Ich glaube, dass es jemand war, den Ihr Bruder sehr gut kannte."
"Pflegen Sie auch bei Ihren Bekannten einzubrechen, Mr. Trevellian?", erwiderte sie spitz.
"Nennen Sie mich doch Jesse." Ich machte einen Schritt auf sie zu. "Ihr Bruder ist umgekommen, und wir versuchen die Hintergründe dieser Tat aufzuklären. Das ist alles."
"Einer Ihrer Leute hat ihn umgelegt. Vermutlich wollen Sie diese Tatsache doch nur irgendwie rechtfertigen..."
"Das ist Unsinn!"
Sie atmete tief durch. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass sie unter einem immensen Druck stand.
Jetzt mischte sich Milo ein. "Kennen Sie einen Mann namens Chuck Belmont?"
"Nein, nie gehört!"
"Immerhin hat Billy mit ihm Bowling gespielt."
"Tut mir leid."
"Und ein gewisser Reverend Paul Mincuso?"
"Mir völlig unbekannt."
"Gilt dasselbe auch für eine Organisation, die sich KÄMPFER DES LICHTES nennt?"
Sie schluckte und musterte Milo. In ihren Augen flackerte es unruhig. Ihre vollen Lippen öffneten sich ein bisschen.
Beinahe so, als würde sie noch mit sich ringen. Aber dann kam die alte Litanei.
"Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen..."
Milo versuchte es noch ein paarmal. Immer wieder kam er auf dieselben Punkte zu sprechen. Aber Catherine erwies sich als eiserne Jungfrau. Sie sagte keinen Ton.
Ich machte Milo schließlich ein Zeichen und schüttelte leicht den Kopf.
"Lassen wir es, Milo", sagte ich. Und dann wandte ich mich an Catherine. "Ich habe keine Ahnung, warum Sie uns nicht helfen wollen. Aber falls Sie es sich anders überlegen: Die Nummer der FBI-Zentrale an der Federeal Plaza steht in dem dicken Klotz da draußen, der sich Telefonbuch nennt. Sie können uns über diese Nummer jederzeit erreichen... Gespräche werden weitergeleitet."
"Darauf wäre ich nie gekommen, Jesse!"
Sie betonte meinen Vornamen auf eine Weise, die mir nicht gefiel. Mir entging die leichte Gänsehaut nicht, die ihre Unterarme überzogen hatte. Und das, obwohl die Wohnung eher überheizt war. Ein leichtes Zittern erfasste sie.
Ich zuckte die Schultern.
"Nur für den Fall, dass Sie es sich doch noch anders überlegen!"