»Kannst du mich bitte ansehen?«
»Musst du nicht längst unterwegs sein?«, fauche ich, auf ihn genauso wütend wie auf mich selbst. Ich bin sauer, weil ich ihn mag, obwohl ich das nicht tun sollte, und fuchsteufelswild, weil er ein Riesenarsch ist, der ab und zu richtig süß sein kann.
»Ja, aber zuerst muss ich wissen, dass du mir verzeihst, so ein Arschloch gewesen zu sein.«
»Ich verzeihe dir«, gebe ich sofort zurück, in der Hoffnung, dass er dann verschwindet.
Ruckartig hebe ich den Blick, als er mit einem Mal mein Kinn umfasst.
»Es tut mir wirklich leid«, bekräftigt er.
Den Kloß, der sich plötzlich in meiner Kehle geformt hat, hinunterschluckend, antworte ich: »Okay.«
»Verzeihst du mir wirklich?«
Als ich in seinen Augen ehrliches Bedauern erkenne, atme ich einmal tief ein und nicke, als ich die Luft wieder ausstoße.
»Kann ich es aus deinem Mund hören?«, bittet er mich leise.
»Ich verzeihe dir.«
Mein Kinn immer noch zwischen seinen Fingern, streicht er mit seinem Daumen über meine Unterlippe. So federleicht, dass ich mich frage, ob ich es mir nur einbilde. Dann macht er einen Schritt zurück. »Hab einen schönen Tag bei der Arbeit, Prinzessin«, sagt er, tritt auf die Straße und streckt seinen Arm in die Luft. Sofort hält ein Taxi am Straßenrand. Er öffnet mir die hintere Wagentür und, ohne ihn noch mal anzusehen, rutsche ich auf die Rückbank. Antonio schlägt die Tür zu.
»Wohin soll’s gehen?«, wendet sich der Taxifahrer an mich.
Ich nenne ihm die Adresse des Beautysalons, ehe ich doch noch einen Blick über meine Schulter werfe. Antonio steht noch an Ort und Stelle. Die Hände in den Hosentaschen vergaben, sieht er meinem Taxi hinterher.
Palo:
Hast du schon Pläne für morgen Abend?
Ich stehe im Büro des Tony’s und überlege fieberhaft, wie ich auf Palos Nachricht antworte. Ab und an kommt eine Kundin in den Salon und fragt gezielt nach einem von uns, der ihr für ein Event die Haare oder das Make-up machen soll. Seine unverfänglich anmutende Frage könnte also einer solchen Situation entspringen, aber es könnte genauso gut etwas anderes dahinterstecken.
Ich:
Vielleicht ...
Palo:
Ich verstehe das als ein Nein, was bedeutet, dass du morgen Abend auf ein Date gehen wirst. Ich glaube, ich habe den perfekten Mann für dich gefunden.
Na toll.
Ich:
Palo, muss ich dich wirklich an die letzten fünf Dates erinnern, zu denen du mich geschickt hast?
Palo:
Nein, und dieser Typ ist anders.
Ich:
Inwiefern anders?
Palo:
Er ist jung, hat Manieren und ist REICH.
Während ich tippe, stoße ich einen lauten Seufzer aus.
Ich:
Mir ist Geld völlig unwichtig, Palo.
Palo:
Das ist jeder Frau wichtig, Libby.
Er hat unrecht. Geld ist mir einerlei. War es immer schon. Ja, wie die meisten Frauen mag ich schöne Dinge, aber ich brauche sie nicht. Meine Eltern waren nicht reich und wir als Kinder dennoch stets glücklich. Ich bin in einem Haus voller Lachen und Liebe aufgewachsen, was wesentlich wertvoller ist als alle Reichtümer dieser Welt.
Ich:
Palo ...
Ich lasse seinen Namen so stehen, denn er sagt mehr als genug.
Palo:
Bitte? Für mich? Nur noch dieses eine Mal. Wenn es nicht klappt, werde ich dich nie wieder verkuppeln.
Ja, klar, als würde ich das auch nur eine Sekunde lang glauben. Ich seufze.
Ich:
Also gut.
Nachdem ich mein Handy in meine Handtasche geworfen habe, drehe ich mich um und verlasse das Büro.
»Was ist los mit dir?«, fragt Peggy, sobald sie mich erblickt. Ist es wirklich so offensichtlich, dass ich genervt bin?
»Ich habe morgen Abend ein Date«, erzähle ich und klinge genauso ärgerlich, wie ich mich fühle.
Sie mustert mich einen Moment, ehe sie über ihre Schulter sieht. Stirnrunzelnd folge ich ihrem Blick. Mir stockt der Atem, als ich Antonio entdecke, nah genug, dass er meine Worte unmöglich nicht gehört hat.
»Ein Date! Das ist schön. Wer ist der Mann?«, hakt Peggy nun nach.
Ich sehe sie an und wünschte, der Boden unter mir würde sich auftun und mich verschlucken. »Ich ... Ich ... weiß nicht. Es ist ein Blinddate.«
»Oh, die machen immer Spaß. Das Geheimnisvolle, die Spannung ...«
Gott, ich wünschte wirklich, jetzt im Erdboden zu versinken.
»Wie dem auch sei«, sie klatscht so laut in die Hände, dass ich vor Schreck beinah in Ohnmacht falle, »Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen.«
»Stimmt«, flüstere ich, ehe ich durch die halbhohe Tür in den hinteren Bereich und von da aus in die Küche husche.
Ich brauche gerade etwas Abstand von allen und beginne damit, die übergroßen Metallschüsseln, Kochutensilien und Töpfe abzuwaschen, die noch im Spülbecken liegen. Da einer der Letzteren ungefähr so groß ist wie ich, spare ich ihn mir bis zum Schluss auf. Als ich Antonios tiefes Lachen hinter mir höre, werfe ich einen Blick über meine Schulter.
Durch den schmalen Spalt der Tür kann ich ihn im vorderen Bereich des Ladens am Tresen stehen sehen. Eine süße, junge Frau mit blonden Haaren lehnt sich gerade über die Theke zu ihm rüber. Mein Magen zieht sich zusammen, insbesondere als ich beobachte, wie sie sich einen Stift aus der Halterung neben der Kasse schnappt, Antonios Hand nimmt und – so vermute ich zumindest – ihre Telefonnummer auf die Innenfläche schreibt.
Mit zusammengebissenen Zähnen wende ich mich ab. Es sollte mich nicht weiter kümmern, ob oder ob sie ihm nicht ihre Nummer gegeben hat. Um genau zu sein, sollte es mir piepegal sein – ist es aber nicht. Nachdem ich den Abwasch fast erledigt habe, stelle ich den riesigen Topf ins Spülbecken und schrubbe ihn, bis mir der Arm wehtut. Ein ums andere Mal tief durchatmend, versuche ich, meine verwirrenden Emotionen unter Kontrolle zu bringen. Ich wünschte, ich wäre nicht in Antonio verknallt und ihn wirklich hassen zu können, anstelle das immer nur zu behaupten. Außerdem wäre es mir lieb, nicht ständig sein hübsches Gesicht sehen oder seine tiefe Stimme hören zu müssen. Und die Kirsche oben drauf wäre, wenn ich nicht dabei zusehen müsste, wie er mit anderen Frauen flirtet. Zugegeben, ich habe nicht wirklich gesehen, wie er mit anderen Frauen geflirtet hat, aber ich habe definitiv mitbekommen, wie andere Frauen mit ihm geflirtet haben, was genauso ätzend ist.
»Was hast du an Weihnachten gemacht?«, erkundigt sich Peggy, mich damit aus meinen Gedanken reißend.
Ich sehe vom Topf hoch, den ich noch immer schrubbe, und konzentriere mich auf sie.
»Ich bin für ein paar Tage nach Long Island gefahren, um ein wenig Zeit mit meinen Eltern zu verbringen. Und du?«, frage ich und versuche, möglichst beiläufig zu klingen.
»Hector