Herz und Verstand im Verwaltungsrat. Gabriela M. Paltzer-Lang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriela M. Paltzer-Lang
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783907301203
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ständig neuen bürokratischen Aufgaben belastet. Die Kosten dafür würden sie lieber für neue Investitionen oder Lohnerhöhungen der Angestellten ausgeben.

      Schade, dass die grosse Mehrheit der Unternehmen, welche Grossartiges leisten, vor allem die vielen KMUs in der Schweiz, Opfer derjenigen wird, die durch Gier und Verantwortungslosigkeit der Gesellschaft Schaden zufügen. Der Graben zwischen dem wirtschaftlichen Establishment und der Bevölkerung ist grösser geworden, und viele meiner Gesprächspartner sehen das auch so. Allerdings kann ich denen einen leisen Vorwurf nicht ersparen: Wo sind ihre Stimmen, die sich klar und deutlich distanzieren von wirtschaftlicher Gier? Und wo sind ihre Stimmen, die auf Distanz gehen, wenn die Verantwortung der Führungsriege im Notfall auf die untergebenen Mitarbeiter abgeschoben wird? Ein unaufhaltsamer Steilpass für alle Neider! Nicht zu vergessen, dass Neid eine beispielhaft schlechte Emotion ist. Sie weckt ganz allgemein Unmut, Angst und ein Unterlegenheitsgefühl in der Bevölkerung. In der Schweiz gibt es eine ganze Menge von mutigen, anständigen und verantwortungsvollen Wirtschaftsführern. Wehrt Euch für Eure Kaste und die Wirtschaft!

      Konsens besteht bei meinen Gesprächspartnern darüber, dass sich die Verwaltungsräte vermehrt in einer politischen Debatte engagieren sollten, aber nicht als Vertreter der Firma, sondern als Vertreter der Wirtschaft. Eine öffentliche Profilierung auf dem Buckel der Firma ist nicht gewünscht. Denn dabei besteht die Gefahr, einen Spagat zwischen der eigenen Persönlichkeit und Meinung und derjenigen eines loyalen Verwaltungsratsmitglieds machen zu müssen. Oder es besteht das Risiko, dass ein Verwaltungsrat schlicht zu wenig über die wirtschaftlichen Abläufe, das Umfeld und die Regulationen informiert ist und somit eine Teilnahme an einer öffentlichen Diskussion für ihn selber und das Unternehmen kontraproduktiv sein könnte. Grossunternehmen äussern sich üblicherweise sowieso nicht in der Öffentlichkeit; sie überlassen dies den Interessenverbänden, die sie ja schlussendlich finanzieren. In der Öffentlichkeit ist normalerweise der CEO, unter vorgängiger Absprache mit dem Verwaltungsratspräsidenten, die Stimme der Firma.

      Was sind die Gründe, weshalb man in der Öffentlichkeit wenig von Verwaltungsräten hört? Erstens gibt es sehr viele ausländische Führungskräfte in Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen, was bei einer international ausgerichteten Wirtschaft wie der Schweiz auch sinnvoll ist. Das hat zweitens zur Folge, dass diese Leute im politischen Umfeld wenig verankert sind und sich kaum für die lokale Politik interessieren. Früher führte ein Bankdirektor noch die Kasse des örtlichen Fussballclubs. Diese Berührbarkeit durch die Bevölkerung hat leider abgenommen. Drittens ist der zeitliche Aufwand ein Problemfaktor, die auf Verwaltungsräten und CEOs ruhende Belastung ist enorm. Das macht es ihnen fast unmöglich, ein politisches Engagement zu übernehmen – insbesondere ein Amt in Bern anzutreten, für das man einen Drittel seiner Zeit aufwendet, ist schlicht unrealistisch. Und viertens, ganz einfach, kann man sich mit politischen Tätigkeiten nicht viele Rosen holen.

      Das Engagement der Wirtschaftsführer und ihrer Firmen in der Öffentlichkeit ist auch von einem Zeitgeist geprägt. Das heisst, dass Firmen auch eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung tragen und nicht nur von ihrem Gewinn getrieben werden sollten. Früher waren die Eigentümer eines Unternehmens, die Aktien hielten, meist private Anleger; es gab nur wenige grosse Investoren. Die Firma fühlte sich ausschliesslich den Eigentümern mit dem Ziel einer möglichst grossen Rendite verpflichtet. Das ist heute anders. Die grosse Mehrheit des Aktionariats besteht aus institutionellen Anlegern, welche via ihr Aktienpaket Einfluss auf die Firma nehmen und diese dazu anhalten, in verschiedensten Bereichen wie Umwelt, Kultur, Erziehung ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Zu diesem Thema habe ich in der NZZ vom 23.11.2018 unter dem Titel «Unternehmen sind keine Wohltätigkeitsvereine» einen interessanten Artikel gelesen. Es wird darin die berechtigte These aufgestellt, dass ohne einen direkten Konnex zum Kerngeschäft der geldgebenden Firma diese nicht Aufgaben übernehme solle, die eigentlich dem Staat zufallen müssten. Beispielsweise, wenn es um die Förderung von Jugendlichen, um Ausbildungsmöglichkeiten oder um den gesellschaftlichen Fortschritt geht. So könne dann plötzlich die Schaffung von gesellschaftlichen Werten über dem Streben nach Gewinn eines Unternehmens stehen. Erste Anzeichen sind vorhanden, vor allem durch Forderungen von linker Seite, dass Gewinnstreben verwerflich sei – eine bedauerliche Entwicklung.

      Verwaltungsrätinnen äusserten sich dazu wie folgt:

       Stammtischwahrnehmung

      imageEs sei etwas ganz Zentrales, dass die Wirtschaft in der Öffentlichkeit nicht nur durch ihre Geschäftsleitungen, sondern auch durch ihre Verwaltungsräte vertreten ein Gesicht zeigten, weil die Gefahr bestehe, sich in Vorurteilen, in einer Stammtischwahrnehmung oder auf der Stufe von elektronischen Leserbriefen in den Massenmedien zu verfangen. Zerrbilder dominierten. Die Politik fresse die Wirtschaft. Und die Wirtschaft fresse genauso an der Politik.

       Chefsache

      imageWenn es um das Unternehmen selbst gehe, dann sei die Kommunikation nach aussen Chefsache und nur durch eine Person, meist den CEO, wahrzunehmen. Falls sich erweise, dass dieser kein Kommunikationstalent sei, dann sollte der Verwaltungsratspräsident einspringen. Es dürften einfach nie zwei gleichzeitig reden, sonst gebe es ein Chaos.

       Monokultur – Champagner

      imageDie Tuchfühlung mit der Öffentlichkeit sei schon deshalb wichtig, weil sonst die Wirtschaft beziehungsweise einzelne Branchen in einer Monokultur lebten. Das tue niemandem gut, weil man irgendwann diese verabsolutiere. Dies gelte für alle Berufsgruppen von den Theologen bis zu den Investmentbankern. Wenn sie sich nur unter sich bewegten und keinen Bezug zu anderen Berufs- und Gesellschaftskreisen mehr hätten, dann könnten sie durchaus irgendwann, etwas überspitzt formuliert, zur irrigen Überzeugung gelangen, dass der Durst nur mit Champagner gelöscht werden könne.

       Mitarbeiterunterstützung für Politik

      imageEs gebe keine Zweifel, dass man die Wirtschaft und die Politik einander wieder näherbringen müsse. Es gebe auch Initiativen, mit denen Unternehmen Mitarbeiter explizit unterstützten, die in der Politik aktiv sein möchten. Schon aus Eigeninteresse sollte dies jede Firma machen.

       Lobbying

      imageEin glaubhaftes Lobbying in Bern sei zentral. Es gäbe viele Aussprachen mit Politikern, mit den zuständigen Bundesräten, mit dem Finanzdepartement, mit der Finma und durch ganz verschiedene Kanäle. Es sei jedoch immer ein Balanceakt, was man in der Öffentlichkeit kommuniziere; das Problem sei, dass das Lobbying in der Gesellschaft so negativ konnotiert sei. Es sei immer abzuwägen, ob eine voreilige öffentliche Information am Schluss nicht einen unschönen Anstrich bekommen könnte. Richtig politisch engagieren würde sich ihre Firma nicht, das Konfliktpotential sei nicht zuletzt bei den Kunden zu gross.

       Instrumentalisierung der Frau

      imageSie wäre einverstanden, sich in Podiumsgesprächen zu engagieren, wobei es auf das Thema ankäme. Nur wenn sie einen zusätzlichen Nutzen bringen könne, würde sie zusagen, und auch für sie müsse etwas zurückfliessen. Auf keinen Fall möchte sie instrumentalisiert werden und schon gar nicht das Gefühl aufkommen lassen, es brauche unbedingt eine Frau auf dem Podium.

       Zwei Ellen in der Öffentlichkeit

      imageImmer wieder erschienen in der Sonntagspresse Listen mit Frauen in Verwaltungsräten und mit unterschiedlichen Angaben zu deren Person. Das ärgere sie, dieses Schaufenster fände sie total kontraproduktiv. Als Frau möchte man nicht ständig öffentlich zur Schau gestellt werden. Sie empfinde es auch als eine Risikostrategie,