»So sind wir eben, wir Frauen«, entgegnete Paula lachend. »Da jetzt alle da sind, fangen wir doch gleich mit der ersten Übung an«, wandte sie sich an die Hundebesitzer.
Sie ging zu den Hürden, unter denen die Hunde hindurchkriechen sollten, eine Aufgabe, die sie daran gewöhnte, während eines Rettungseinsatzes durch Höhlengänge zu robben. Nach dieser Übung mussten die Hunde ohne Leine neben ihren Besitzern herlaufen und jedem Kommando folgen, das Paula den Hundeführern vorgab. Danach gönnte sie den Tieren eine Pause, damit sie frei herumtollen konnten.
Nolan nutzte seine Chance und näherte sich Annika. Die Bernhardinerdame gab sich zunächst uninteressiert, als Nolan sie beschnuppern wollte. Aber auch sie konnte seinem Charme nicht lange widerstehen. Ein paar Sekunden später tobte sie bereits an seiner Seite über die Wiese.
»Ich bin beeindruckt, sonst gibt sie nicht so schnell nach«, stellte Timo fest.
»Nolan ist eben unwiderstehlich«, sagte Paula, während Benedikt nur schmunzelnd zusah, wie Nolan Annikas Aufmerksamkeit genoss.
Bald darauf setzte sie den Unterricht fort. Während der 90 Minuten, die eine Trainingseinheit dauerte, liefen die Hunde über das Gelände, kletterten die Hügel hinauf und hinunter, durchquerten den Bach und suchten nach einem Verletzten, der regungslos auf einem Sandhügel lag.
Klaus-Peter, der Lagerist aus dem Sägewerk Holzer, hatte sich für diese Rolle freiwillig zur Verfügung gestellt. Seine Schäferhündin Cora führte den Suchtrupp gemeinsam mit Paula an. Nachdem die Hunde Klaus-Peter gefunden hatten, der sich hinter einem eigens für das Training aufgeschütteten Steinhaufen verborgen hatte, wurden alle Tiere von ihren Besitzern gelobt. Wie immer am Ende der Stunde bekam jeder Hund von Paula einen Hundekeks und ein extra großes Lob.
»Heute gibt uns die gute Ramona schon während des Trainings die Ehre«, raunte Paula Benedikt zu, nachdem sie den Trainingshügel verlassen und die Kursteilnehmer sich alle von ihr verabschiedet hatten. Mit einem tiefen Seufzer schaute sie auf die Frau, die über die Wiese auf sie zukam.
Ramona Köster war wie immer auffällig gekleidet. Enge Jeans, helle Wildlederstiefel und ein auf Taille geschnittener Blazer. Sie trug dunkelroten Lippenstift und ihr kurzes braunes Haar war mit Gel in Form gebracht. Kein Wunder, dass Kilian mich nicht wahrnimmt, wenn er jeden Tag diese Frau vor Augen hat, dachte Paula.
»Offensichtlich war wieder gemütliches Spazierengehen angesagt.« Grinsend schaute Ramona auf die Hunde, die brav neben ihren Besitzern herliefen und das Gelände verließen.
»Das Training ist vorüber, Ramona«, sagte Paula.
»Kein Problem, ich denke nicht, dass ich etwas verpasst habe. Ich wollte mir nur das Gelände ansehen, ob wir mal wieder mit dem Rasenmäher drüber müssen. Hallo, Doktor Seefeld. Ist der gute Nolan nicht ein bisschen schwer, um als Rettungshund eingesetzt zu werden?«, wandte sie sich an Benedikt, nachdem sie Nolan gemustert hatte, der Annika sehnsüchtig nachschaute.
»Nolan eignet sich hervorragend als Rettungshund, gerade wegen seiner Größe und erst recht aufgrund seiner Intelligenz«, widersprach Paula Ramona und streichelte dabei unbewusst über Nolans Kopf.
»Wuff«, machte Nolan, streifte Ramona mit einem kurzen Blick und lehnte sich an Paula an, so als wollte er damit signalisieren, dass sie unter seinem Schutz stand.
»Dein besonderer Liebling?«, fragte Ramona mit einem herablassenden Grinsen, weil ihr diese Geste nicht entging.
»Ist das wichtig für dich?«
»Lieblingsschüler zu haben, ist immer ein Nachteil für die Gruppe. Die anderen fühlen sich schnell zurückgesetzt, wenn ein Lehrer einen Schüler bevorzugt. Das gilt für Menschen und für Tiere.«
»Ich denke, ich habe es im Griff. Letztendlich sind meine Schüler zuerst auf ihre Besitzer fixiert. Ich bin nur eine Randerscheinung in ihrem Leben.«
»Stimmt«, sagte Ramona. Sie steckte ihre Hände in die Taschen ihres Blazers und sah Paula von oben herab an.
»Am Freitag ist Grillabend für die Bergwacht bei uns im Garten«, mischte sich Benedikt in das Gespräch der beiden jungen Frauen ein. Er spürte, dass Paula diese Begegnung mit Ramona unangenehm war, und er wollte Ramonas Aufmerksamkeit auf sich lenken.
»Das heißt, ich bin eingeladen?«, wandte sie sich ihm zu.
»Das ganze Team ist eingeladen.«
»Okay, ich bin dabei«, antwortete Ramona mit einem strahlenden Lächeln. »Um wie viel Uhr?«
»Gegen sieben.«
»Ich werde da sein. Grüßen Sie Traudel und Sebastian von mir«, sagte sie, als Benedikt sich zum Gehen wandte.
»Danke, ich werde es ausrichten. Ich wünsche den Damen noch einen schönen Tag«, sagte er und ließ die beiden allein.
»Um noch einmal auf die Randerscheinung zurückzukommen«, sagte Ramona, nachdem Benedikt außer Hörweite war.
»Ja?«, hakte Paula nach, als Ramona sie mit einem eiskalten Lächeln musterte.
»Ich wollte nur sagen, was unseren Verein betrifft, da bist du ohnehin nur eine Randerscheinung. Bald wird dein Onkel zurück sein, und dein kleines Abenteuer bei der Bergwacht findet ein Ende.«
»Was genau stört dich denn eigentlich so sehr an mir?«, fragte Paula sie nun ganz direkt. Sie war sicher, dass ihr Umgang mit den Hunden nur ein Aufhänger für Ramona war, um sie auf irgendeine Weise schlecht zu machen.
»Es gefällt mir nicht, wie du dich in den Vordergrund spielst.«
»Wieso spiele ich mich in den Vordergrund?«, fragte Paula verwundert.
»Dein ständiges Geplapper, wie gut du mit den Hunden zurechtkommst. Dieses Gerede interessiert niemanden. Es ist doch wohl ganz selbstverständlich, dass du als Hundetrainerin mit den Tieren auskommst.«
»Allerdings, so sollte es sein.« Ihr war nicht bewusst, dass sie ihre Fähigkeiten auf irgendeine Weise betont hatte. Außer Ramona hatte sie bisher auch noch niemand darauf angesprochen.
»Ich denke, es gehört mehr dazu als der sogenannte gute Draht zu den Tieren. Ein Trainer muss Stärke zeigen, das ist für mich das Entscheidende für eine erfolgreiche Dressur der Hunde.«
»Ich sehe das Training nicht als Dressur. Wir üben keine Kunststücke ein, wir nutzen die angeborenen Fähigkeiten dieser Tiere. Hunde wollen ein Teil einer Familie sein, sie wollen beschützen und in Notfällen helfen sie ihren Menschen unter dem Einsatz ihres Lebens. Wir bringen ihnen bei, wie sie helfen können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.«
»Du liebe Güte, deine Vorstellung von den Befindlichkeiten dieser Tiere ist aber schon stark idealisiert. Herr und Hund, Führung und Gehorsam. Nur so funktioniert es, alles andere gehört in die Märchenwelt junger Mädchen. Glaube mir, Kilian sieht das genauso. Er ist nicht wirklich zufrieden mit dem, was du hier zeigst.«
»Ich glaube, du irrst dich«, entgegnete Paula und sah Ramona direkt an.
»Verzeihung, im Gegensatz zu dir kenne ich Kilian ziemlich gut. Ich weiß, was er denkt, manchmal schon, bevor er es denkt«, fügte sie von sich überzeugt hinzu.
»In diesem Fall ist es wohl nicht so. Kilian war vorhin hier und hat mich gefragt, ob ich das Hundetraining für die Bergwacht in Zukunft ganz übernehmen würde. Vorausgesetzt, mein Onkel möchte sich zurückziehen.« Du hast es so gewollt, dachte Paula, als Ramona sie in diesem Moment entgeistert anstarrte.
»Das hat er nicht ernst gemeint. Das war nur höfliches Geplänkel«, sagte sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte.
»Wir werden sehen, wie ernst er es gemeint hat, sollte mein Onkel seinen Rücktritt wahrmachen.«
»Du solltest nicht darauf bauen, dass Kilian sein Angebot wiederholt. Ich weiß, dass jeder Hundetrainer gern eine Weile für die Bergwacht tätig