Es gibt jedoch auch einige Autoren, die die Entwicklung zu komplett autonomen, dezentralisierten Gebilden mit Einschränkungen sehen. Peter Neumann beschreibt die neuen terroristischen Organisationen nach wie vor als kleine Organisationen, deren Strukturen nur diffuser geworden sind.72 An dieser Stelle spiegelt sich das unterschiedliche Verständnis von „Organisation“ und „Netzwerk“ wieder. Die Unsicherheit, wann eine Organisation schon ein Netzwerk ist und in wie viele Ebenen es sich aufteilen lässt, zeigt sich besonders bei Al Qaeda. Während einige Autoren Al Qaeda als eine terroristische Organisation beschreiben,73 die sich in netzwerkartig miteinander verbundene Zellen teilt, ist sie für andere: „… eine Organisationsstruktur, die ähnlich wie ein globales Unternehmensnetzwerk aufgebaut ist und aus Terrorgruppen in über 40 Ländern besteht.“74 Brian Michael Jenkins und Paul Wilkinson sehen bei Al Qaeda noch eine hierarchische Kommunikations- und Führungsstruktur als vorhanden an, während Martha Crenshaw dagegen Al Qaeda nach 2001 als ein vollkommen dezentralisiertes Netzwerk beschreibt. Dies bleibt jedoch für sie das einzige Beispiel einer dezentralisierten religiösen terroristischen Organisation.75 Renate Mayntz, die sich ausführlich mit Organisationsformen von terroristischen Organisationen beschäftigt hat, sieht die Grenze allerdings fließend und spricht von Hybriden-Organisationen: „… the boundary between a decentralized organization and a well-connected network may appear fluid …“76 Al Qaeda habe sich im Laufe der Zeit in seiner Struktur gewandelt und sei weniger hierarchisch, dafür mehr netzwerkartig geworden. Jedoch gilt für Al Qaeda, laut Renate Mayntz, wie für alle anderen neuen terroristischen Organisationen, dass sie neben ihrer netzwerkartigen Struktur auch Charakteristiken einer hierarchischen Struktur aufweisen. Dies gelte im Umkehrschluss auch für die alten terroristischen Organisationen.77 In diesem Sinne hält auch Peter Neumann die Zellenstruktur nicht für ein neues Phänomen: „cells are as old as terrorism, and they are not what is meant when referring to the diffusion of terrorist group structures.“78 Für ihn ist die Zellenstruktur nur flexibler geworden, die Hierarchie bleibt durch den Anführer der einzelnen Zelle bestehen, auch wenn dies nach außen hin nicht mehr sichtbar ist. Dadurch ist die Zelle nur soweit autonom, wie es die Führungspersonen zulassen.79
Neben Veränderungen in der Führungs- und Kommunikationsstruktur ist der Grad der Internationalisierung ein weiteres strukturelles Merkmal, das in der Diskussion um eine steigende Netzwerkartigkeit aufgegriffen wird. Während Bruce Hoffman für die neunziger Jahre einen Rückgang internationaler Anschläge aus US-amerikanischer Sicht anmerkt, und Rueven Paz nur für den islamistischen Terrorismus eine globale Ausbreitung sieht, ändert sich dies nach dem 11. September 2001.80 Während die alten terroristischen Organisationen lokal begrenzt aktiv werden in Bezug auf Planung, Rekrutierung und Ausführung der Anschläge,81 wird den neuen terroristischen Organisationen ein globaler Charakter zugesprochen. Die neue terroristische Organisation erscheint als globales Unternehmen mit geo-politischen Zielen, dessen Mitglieder sich multinational zusammensetzen und das weltweit rekrutiert und Finanzquellen erschließt. Der wichtige Unterschied zu den alten terroristischen Organisationen liegt jedoch in einer Veränderung bis hin zur Transnationalität, der jeder lokale Bezugspunkt fehlt.82 Die Entwicklung zu internationalen Verbindungen wird auch den alten terroristischen Organisationen in den letzten 30 Jahren zugesprochen, diesen blieb jedoch meist ein geographischer Bezugspunkt.83 Die neuen terroristischen Organisationen scheinen einen Schritt weiter beim Grad der Internationalisierung zu gehen. Sie bewegen sich in transnationalen Räumen ohne festes Basisland und bilden in diesem Räumen ihre Netzwerke in alle Richtungen aus.84 Den Grund für diese Ausbreitung sieht Peter Neumann vor allem in der technischen Entwicklung. Niedrige internationale Reisekosten und moderne Kommunikationstechnologien ermöglichen die Transnationalisierung. Aber auch die Identitätskrise vieler Migranten, denen die Verbundenheit zu einem nationalen Bezugspunkt fehlt, gehört für ihn zu den Hauptgründen.85 Brian Michael Jenkins erkennt in Al Qaeda eine der ersten terroristischen Organisationen, die sich das Modell eines globalen Unternehmens angeeignet haben.86 Die meisten Autoren teilen die Ansicht, dass es sich bei Al Qaeda eindeutig um eine internationale Organisation handelt.87 Thomas R. Mockaitis weist dagegen darauf hin, dass sich zumindest die Anschläge selbst bei diesem vermeintlichen Prototyp einer transnationalen terroristischen Organisation, neben den zwei Anschlägen 1993 und 2001 in den USA, auf Afghanistan und den Irak beschränken. Er bezweifelt aber auch insgesamt die geographische Ausbreitung der Ziele. 88
Einige – aber nicht alle – Autoren nehmen ein neues Verhältnis terroristischer Organisation zu Staaten und Regierungen wahr. Insgesamt hatte die staatliche Unterstützung des Terrorismus nachgelassen. Walter Laqueur weist daraufhin, dass der staatlich geförderte Terrorismus jedoch nicht ganz verschwinden wird. Zwar sind die Sowjetunion und einige europäische Staaten als Unterstützer weggefallen, dennoch gibt es immer noch einige Staaten im Nahen Osten, die terroristische Organisationen nach wie vor unterstützen. Während die alten terroristischen Organisationen durch eigene oder ausländische Regierungen kontrolliert, finanziell oder strategisch unterstützt oder sogar beauftragt würden,89 seien die neuen terroristischen Organisationen dagegen unabhängiger von Staaten und Regierungen. Durch neue finanzielle Quellen, die sich hauptsächlich im illegalen Bereich bewegen, sollen sie weniger auf finanzielle und strategische staatliche Unterstützung angewiesen. Neben Kidnapping, Drogenschmuggel und Betrug, gehen einige terroristische Organisationen jedoch auch legalen Geschäften nach.90 Rueven Raz dagegen sieht jedoch die Trennlinie nicht zwischen alten und neuen terroristischen Organisationen, sondern zwischen säkularen und religiösen terroristischen Organisationen. Religiöse terroristische Organisationen waren für ihn noch nie Empfänger staatlicher Unterstützung, außer der Hamas und Hezbollah, die er als Ausnahmen bezeichnet.91
Eine Willkür bei der Opferauswahl haben bereits Walter Laqueur und Bruce Hoffman Ende der neunziger Jahre angesprochen.92 Nach den Anschlägen des 11. September 2001 auf das World Trade Center, das Pentagon und das Weiße Haus, bei denen die meisten der fast 3.000 Todesopfer Zivilisten waren, steht dieser Aspekt noch stärker im Mittelpunkt des Diskurses um den Neuen Terrorismus. Viele Autoren weisen darauf hin, dass die alten terroristischen Organisationen Gewalt selektiv, begrenzt und überlegt gegen symbolische Ziele einsetzten. Moral, Image und Verhaltenskodizes, aber auch der Zuspruch von Unterstützern, Publikum und eigener Bezugsgruppe hielten diese terroristischen Organisationen davon ab, Unschuldige zu Opfern ihrer Anschläge zu machen.93 Peter Neumann weist jedoch darauf hin, dass auch den alten terroristischen Organisationen Zivilisten zum Opfer