Jede Wave hat als verbindendes Element eine „Predominant Energy“, die sie dazu bringt, spezifische Strategien, Ziele und Strukturen anzuwenden. Sowohl die Predominant Energy als auch die restlichen Eigenschaften des Neuen Terrorismus sind nicht ausschließlich, sondern nur dominant prägend für die Wave.
Aus der Wave-Theorie leitet sich für die Untersuchung das Verständnis über das Verhältnis von „Altem Terrorismus“ und „Neuem Terrorismus“ ab, welches eben nicht nur als Abfolge von zwei Phasen verstanden wird. Der Neue Terrorismus ist über einen bestimmten Zeitraum dominant und hat somit eine Wave in der Geschichte des Terrorismus geprägt, während gleichzeitig der Alte Terrorismus weiterhin existiert, im Verhältnis jedoch quantitativ und qualitativ geringer als zuvor.
Theoretischer Ansatz des Neuen Terrorismus
Ausgehend von der Grundannahme des kollektiven Rationalismus bei terroristischen Organisationen, der Wave-Theorie nach David C. Rapoport und den extrahierten Eigenschaften aus dem Diskurs über den Neuen Terrorismus, lässt sich ein theoretischer Ansatz des Neuen Terrorismus ableiten, aus dem im Verlauf der Untersuchung Forschungshypothesen formuliert werden, die die Existenz eines Neuen Terrorismus bestätigen bzw. widerlegen sollen. Diese Theoriebildung ergibt sich inhaltlich aus den bereits vorhandenen Annahmen über einen Neuen Terrorismus, die in der Arbeit im Abschnitt über den Diskurs des Neuen Terrorismus zusammengetragen werden. Der kollektive Rationalismus und die Wave-Theorie bilden hierfür den Rahmen.
Bei dem theoretischen Ansatz des Neuen Terrorismus wird davon ausgegangen, dass es einem Zeitabschnitt gibt, der Anfang der neunziger Jahre begonnen hat, in dem sich folgende Eigenschaften bei terroristischen Organisationen vermehrt zeigen: die hohe Bereitschaft des Gewalteinsatzes, eine Undifferenziertheit bei der Opferwahl, ein erhöhtes Vorkommen religiöser Ideologien und eine netzwerkartige Struktur.20 Es wird davon ausgegangen, dass die Veränderungen innerhalb terroristischer Organisationen, aber auch die Bildung neuer terroristischer Organisationen, rationale Reaktionen auf externe Auslöser sind. Zu diesen Auslösern gehören Ereignisse, wie die Iranische Revolution, der Zusammenbruch der Sowjet-Union, der Jahrtausendwechsel, die wachsende Ungleichverteilung in der Bevölkerung, die Globalisierung und die fortschreitende Technologisierung bei Kommunikationsmittel, neue Reisemöglichkeiten und Waffen. Diese externen Ereignisse beeinflussen jedoch nicht die Ideologie einer bereits bestehenden terroristischen Organisation, sondern führen höchstens zur vermehrten Bildung neuer terroristischer Organisation mit speziellen Ideologien. Diese Eigenschaften bzw. die daraus resultierenden Aktivitäten terroristischer Organisationen zeigen eine quantitative Ausbreitung, indem sie zum einen an mehrere Orten auf der Welt gleichzeitig, aber vor allem in ihrer Gesamtanzahl vermehrt auftreten.
Die Predominant Energy einer Wave als verbindendes Element des Neuen Terrorismus scheint die Religion zu sein, die sich als Ideologie der terroristischen Organisationen manifestiert und sie dazu bringt, spezifische Strategien, Ziele und Strukturen anzuwenden.
1.5 Methodik
Bei der vorliegenden Dissertation handelt es sich um eine Untersuchung aus dem Bereich der Politikwissenschaft, die einen empirisch-analytischen Ansatz in Form einer quantitativen Untersuchung zur Gewinnung des Erkenntnisinteresses nutzt. Der eigentlich deduktive Forschungsprozess beginnt nach der Extraktion der vier Eigenschaften des Terrorismus aus der vorliegenden Literatur. Aus dem entwickelten theoretischen Ansatz des Neuen Terrorismus werden Forschungshypothesen gewonnen, die mithilfe quantitativer empirischer Verfahren überprüft werden. Bei der Auswertung handelt es sich um eine Sekundäranalyse bereits vorhandener Daten. Der Datensatz der Global Terrorism Database (GTD) des National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism (START) umfasst 142.714 terroristische Anschläge aus einem Zeitraum von 1970 bis 2014.21 Die quantitative, deskriptive Auswertung des Datensatzes in Form einfacher Vergleichsanalysen erfolgt mit STATA Release 13. Als statistische Modelle zur Auswertung der Daten werden vor allem Häufigkeitsverteilungen und Mittelwertvergleiche angewandt. Im Mittelpunkt der Auswertung steht, neben der deskriptiven Auswertung, der Vergleich der beiden Untersuchungszeiträume „1970–1992“ und „1993–2014“. Den unterschiedlichen Größen der Untersuchungszeiträume wird durch die Betrachtung der verschiedenen Durchschnittswerte Rechnung getragen.
Die fehlende Variable „Ideologie“ wurde selbst für die Untersuchung erhoben und als neue Variable in die Datenbank eingefügt. Als Erhebungsgrundgesamtheit dienten die in der Global Terrorism Database (GTD) aufgeführten „echten“ terroristischen Organisationen, denen eine Ideologie zugeordnet werden konnte. Ausgenommen wurden hiervon Einzeltäter und allgemeine Gruppierungen von Einzeltätern. Hierzu wurde zunächst mithilfe einer Stichprobenziehung nach dem Konzentrationsprinzip die Erhebungsgrundgesamtheit auf ein sinnvolles Maß reduziert. Als Maß diente die Aktivität der terroristischen Organisationen in Form der Anschlagshäufigkeit, die für die Untersuchung über zehn Anschlägen liegen sollte. Zur Erhebung der Variablen wurden insgesamt 526 verschiedene Dokumente genutzt. Für jede Organisation liegen mindestens drei Quellen unterschiedlicher Herkunft vor, in denen Hinweise zur Ideologie der jeweiligen terroristischen Organisation gefunden wurden. Zu den genutzten Quellen zählen fast 300 unterschiedliche Internetquellen unter anderem in Form von Datenbanken, Zeitungsartikeln, Berichten, Essays und Homepages. Des Weiteren liegen Textstellen und Kapitel aus 72 Büchern, 34 Zeitschriftenaufsätzen, vier Zeitungsartikeln (Printmedien), einer Gerichtsentscheidung, einem Archivgut und einem Filmdokument vor.
1.6 Aufbau der Untersuchung
Kapitel 2. Alter und Neuer Terrorismus im wissenschaftlichen, medialen und politischen Diskurs gibt einen umfassenden Überblick über den Diskurs des Neuen Terrorismus seit Anfang der 90er Jahre. Das Kapitel orientiert sich an den folgenden drei Leitfragen: Welche Akteure sind an dem Diskurs beteiligt? Welche Veränderungen bzw. Eigenschaften von Anschlägen und im Verhalten terroristischer Organisationen fassen die Akteure unter dem Begriff „Neuer Terrorismus“ zusammen? Welche Begründungen werden für die Veränderung im Verhalten terroristischer Organisationen angeführt? Hierzu wird zunächst in Unterkapitel 2.1. Alter und Neuer Terrorismus im wissenschaftlichen, medialen und politischen Diskurs eine Übersicht zur Entwicklung des Diskurses über den Neuen Terrorismus auf Grundlage einer umfassenden Literaturauswertung der relevanten Texte zum Thema gegeben. Diese gliedert sich in zwei Unterkapitel, bei denen die Literatur in Ausführungen vor dem 11. September 2001 und nach dem 11. September 2001 separiert wird und die Argumente der Fürsprecher des Forschungsparadigmas darstellt. Im Anschluss werden in Kapitel 2.2. Kritische Betrachtung des Paradigmenwechsels mögliche Gründe die für eine Existenz des neuen Forschungsparadigmas genannt und im Anschluss die Kritiker des Forschungsparadigmas und Ihre Argumentationslinien dem gegenübergestellt.
Das Kapitel 3. Terrorismus als rationale Entscheidungsfindung der vorliegenden Untersuchung beschäftigt sich mit dem Phänomen Terrorismus und dem Verständnis vom Verhalten terroristischer Organisationen. Dazu wird in diesem Kapitel zunächst ein kurzer geschichtlicher Einblick in die Entstehung des Begriffs „Terrorismus“ gegeben, dem eine allgemeine Definition des Begriffs folgt. Bei dieser Definitionsfindung werden bereits existierende Definitionen zu einer für die Untersuchung geeigneten Definition zusammengeführt. Im Anschluss wird in Unterkapitel 3.3 Die Rational Choice Theorie als Erklärungsmodell zum Verhalten terroristische Organisationen auf die terroristische Organisation als handelnder Akteur des Terrorismus genauer eingegangen. Hierbei wird die Betrachtung der Makoebene einer terroristischen Organisation als klassische Organisation in den Mittelpunkt gestellt. Das Verhalten dieser Organisationen wird unter der Annahme des rationalen Verhaltens nach der Rational Choice Theorie beschrieben. Dazu werden im Anschluss in Unterkapitel