Stärker als in den neunziger Jahren wird die hohe Opferzahl bezogen auf einzelne Anschläge, aber auch auf den Terrorismus insgesamt zu einem Thema, da die Anzahl der Verwundeten und Getöteten in einem überdurchschnittlichen Maße ansteigt.96 Massentötungen als das neue Ziel von neuen terroristischen Organisationen und eine steigende Brutalität der Taktiken und Mittel stehen im Mittelpunkt der Diskussion.97 Zwar steigen die Zahlen der Opfer seit Ende der sechziger Jahre kontinuierlich leicht an, den „großen Sprung“ gibt es aber erst nach den neunziger Jahren. Die Entwicklung des Tötens von einem Mittel zum Ziel und die damit verbundene erhöhten Gewaltbereitschaft in Form von steigenden Opferzahlen erkannte auch Brian Michael Jenkins als das wichtiges Element eines Neuen Terrorismus. Während er 1975 noch schrieb „Terrorists want a lot of people watching, not a lot of people dead“98, konstantiert er dagegen 2006: „Many of today’s terrorists want a lot of people watching and a lot of people dead.“99 Die Hauptgründe für die anwachsende Gewalt sieht er zum einen in dem wachsenden Druck, durch immer brutalere Anschläge immer spektakulärere Bilder in den Medien zu erzeugen, im Kampf um die größten Schlagzeilen. Zum anderen ist für ihn die Verschiebung von rein politischen zu ethnischen und religiösen Motiven ein weiterer Grund. Der tiefverwurzelte Hass ethnischer Auseinandersetzungen und die Hinwegsetzung über alle weltlich moralischen Grundsätze durch eine fanatische göttliche Rechtfertigung sieht er als Auslöser für die neuen terroristischen Organisationen mehr Gewalt anzuwenden, die sich in Form von höheren Opferzahlen niederschlägt.100 Die Logik dieser steigenden Gewalt sehen einige Autoren auch als Konsequenz der medialen Entwicklung. Ein abgestumpftes Publikum verlangt nach immer spektakuläreren Bildern, um den Anschlägen Aufmerksamkeit zu schenken. Das Töten selbst und die Art des Tötens werden von den neuen terroristischen Organisationen genutzt, um Aufmerksamkeit beim Publikum zu erzeugen.101 Nicht nur möglichst viel und möglichst wahllos wird getötet, sondern auch möglichst spektakulär, nach dem Motto: „… if it bleeds, it leads, and the more it bleeds, the more attention it attracts.“102 Enthauptungen von Geiseln werden ins Internet gestellt, um die Gewalt einer möglichst globalisierten Medienöffentlichkeit zu präsentieren. Hoffman erkannte bereits 1999 eine Gewaltspirale in den Medien und der Öffentlichkeit, die die Täter zu spektakulären Bildern zwingt. Er bezog sich dabei aber vor allem auf einige wenige, spektakuläre tödliche Anschläge aus dem Jahr 1996 und nicht auf einen Anstieg der Anschläge insgesamt.103
Ein weiteres spektakuläres Mittel, zu dem die neuen terroristischen Organisationen greifen, ist das Selbstmordattentat. Während in der Diskussion vor 2001 Selbstmordattentate in Bezug auf den Neuen Terrorismus nicht thematisiert oder nicht als neues Phänomen dargestellt wurden,104 ändert sich dies nach dem 11. September 2001. Das Selbstmordattentat als Mittel scheint nun der Logik des Neuen Terrorismus zu folgen, vor allem in Kombination mit religiösen Ideologien: das „Ewigkeitsversprechen“ und der Moment des Märtyrertums der Religionen versetzt die Täter überhaupt erst in die Lage, Ihre eigene Angst zu überwinden und ihren Tot als Bedingung zur erfolgreiche Ausführung eines Anschlags in Kauf zu nehmen.105 Selbstmordattentate werden von vielen Autoren als spektakuläre, undifferenzierte und maßlose Mittel des Neuen Terrorismus beschrieben.106
Neben den Selbstmordattentaten kommt ein weiteres Mittel der neuen terroristischen Organisationen in die Diskussion, das bereits vor 2001 zur Debatte stand, zu dieser Zeit jedoch anders bewertet wurde. Steven Simon und Daniel Benjamin waren sich bereits 2000 sicher, dass die neuen terroristischen Organisationen Massenvernichtungswaffen einsetzen werden, um besonders spektakuläre Bilder zu erzeugen und besonders viele Menschen zu töten.107 Bruce Hoffman dagegen hielt vor 2001 den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen für sehr unwahrscheinlich, da er große technologische Schwierigkeiten bei deren Einsatz sah. Für ihn war dieses Szenario höchsten bei religiösen terroristischen Organisationen in Kombination mit Amateurterrorismus denkbar. Die damalige Wahrnehmung der Gefahr durch Massenvernichtungswaffen beschrieb er insgesamt als überproportional und realitätsfern.108 Auch Walter Laqueur war sich sicher, dass Massenvernichtungswaffen in Zukunft eher wenig benutzt würden, weil ihr Gebrauch kontraproduktiv für die terroristischen Organisationen sei, da sie zum einen schwer zu handhaben sind und zum anderen auch die eigene Bezugsgruppe gefährden würden.109 Martha Crenshaw ließ die Beantwortung nach der Wahrscheinlichkeit von Anschlägen mit Massenvernichtungswaffen offen, vermutet jedoch auch eine Überbewertung.110 Obwohl im Gegensatz zu dem Anschlag 1995 auf die Tokioter U-Bahn durch Aum Shinrikyo bei dem Anschlag 2001 durch Al Qaeda keine Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden, scheint sich die Erwartungshaltung gewandelt zu haben. Viele Autoren halten danach den Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch die neuen terroristischen Organisationen zumindest für eine denkbare Möglichkeit.111 Selbst Bruce Hoffman sieht nun auch die zukünftige Bedrohung des Terrorismus bei den Massenvernichtungswaffen.112 Einige Autoren zeigen sich allerdings immer noch kritisch, was den zukünftigen Einsatz von Massenvernichtungswaffen angeht. Einer steigenden Motivation, diese Waffen zu benutzen, sehen sie praktische Hindernisse gegenüber stehen.113 Aber auch, wenn sich die Autoren nach 2001 immer noch nicht einig sind über den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen, zeigt die umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema, in welchem Bereich die tatsächliche Bedrohung der Massenvernichtungswaffen liegt: „Terrorists’ actual capabilities, ambitions, and fantasies blur with our own speculation and fears to create what the terrorists want: an atmosphere of alarm.“114
Ein Element des Neuen Terrorismus, das sowohl vor als auch nach dem 11. September 2001 eine große Bedeutung hat, ist ein vermehrtes Auftreten des religiösen Terrorismus. Es wird von fast allen Autoren in den Texten zum Neuen Terrorismus mit aufgeführt und häufig in Verbindung mit anderen Aspekten, wie Selbstmordattentaten und Massenvernichtungswaffen genannt. Die Gewalt als sakrales Element in den neuen religiösen Organisationen wird hierbei als die zentrale Bedrohung gesehen.115 Die Autoren begründen dies aus der Logik einer fundamentalistischen Religion mit apokalyptischen Zielen heraus: ein anderes Wertesystem mit anderen Mechanismen der Legitimation, moralischen Vorstellungen und Weltansichten, legitimierte Gewalt gegen die „Anderen“. Die Welt werde in Gut und Böse geteilt, damit gäbe es keine Unschuldigen mehr, nur Anhänger und Feinde. Es existiere aber auch kein politisches Kalkül mehr. Verhandlungen seien nicht mehr ein Schritt zum Ziel, da die Ziele nicht mehr verhandelbar sind, sondern absolut. Das Ziel besteht in der Vernichtung des Feindes, um einem auserwählten Kreis von Anhängern die Erlösung in einer neuen Welt zu