Rechts von Pascal saß Franz Berger und ärgerte sich über sein grottenschlechtes Blatt, sehr zum Vergnügen seiner beiden Mitspieler. Der Krieger besaß viele bewundernswerte Eigenschaften, aber eine ausdruckslose Miene gehörte nicht dazu.
Franz war eigentlich kein Ritter. Er war gewöhnlicher Soldat in der Armee des Herzogtums Westfalen gewesen. Als die Templer im Schatten auszogen, um Männer für ihre Sache zu rekrutieren, da hatte Franz beinahe schon begeistert zugestimmt. Selbst die Verwandlung schien ihn nicht zu stören, anders als bei den meisten anderen Rekruten. Der Mann war gerade in der Ausbildung und würde unter Umständen irgendwann ein passabler Ritter sein, falls er jemals verinnerlichte, mit einem Schwert nicht umzugehen, als wäre es eine Holzfälleraxt.
Der Dritte im Bunde war Matthew Blackthorne aus London, ebenfalls ein Rückkehrer aus dem Dritten Kreuzzug. Er war auf dem Weg zurück in seine Heimat gewesen. Doch er hatte das Pech gehabt, auf einer Landstraße einer Bande Vampire in die Arme zu laufen.
Christian und einige Templer im Schatten waren hinzugekommen und hatten die Vampire vernichtet. Sie waren jedoch nicht rechtzeitig genug da gewesen, um Matthew zu retten. Als Christian ihn fand, da lag der Ritter am Boden und war am Verbluten. Der Tod schwebte bereits unheilvoll über ihm. Christian hatte ihn kurzerhand verwandelt, um ihm das Leben zu retten. Anschließend hatte sich Matthew ihnen angeschlossen. Das war weniger als ein Jahr her. Er war der neueste Zugang bei den Templern im Schatten.
Die übrigen etwa vier Dutzend Ritter lungerten mehr oder weniger im Laderaum des Schiffes herum und wussten nicht wirklich etwas mit der freien Zeit anzufangen, die ihnen zur Verfügung stand. Einige unterhielten sich gedämpft, wiederum andere hingen in ihren Hängematten und starrten mit stumpfer Mimik Löcher in die Luft. Der weitaus größte Teil war jedoch mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt. Und das ängstliche Quieken kleiner Nagetiere hing über der ganzen Szenerie. Die Überreste würden sie später im Meer entsorgen, und zwar auf eine Weise, die sicherstellte, dass die ohnehin schon misstrauische Besatzung nichts mitbekam.
Karl stieß ihn leicht an. »Wo bist du denn mit deinen Gedanken?«
Christian stieß einen Schwall Luft zwischen den Vorderzähnen aus. »Nicht so wichtig. Mir ist nur gerade bewusst geworden, wie schnell die Zeit vergeht.«
»Und das wird dir erst jetzt klar?« Karl schmunzelte.
Christian durchschaute allerdings die Maske, die sein Freund trug, und blickte tiefer. Wie viele andere auch war Karl nicht freiwillig Vampir geworden. Seine Verwandlung war ein Gewaltakt von Frederick DiSalvatino gewesen, der Heinrich lediglich etwas hatte beweisen wollen.
Christian drehte sich um, lehnte sich mit beiden Unterarmen schwer auf das Fensterbrett und sah hinaus auf das leicht aufgewühlte Meer. Er überlegte, was er seinem langjährigen Freund darauf antworten sollte, als ihm etwas am Horizont auffiel.
Er kniff die Augen zusammen. Ein kurzer Lichtschein erschien, nur um nach einer oder zwei Sekunden wieder zu verschwinden. Christian deutete in die Ferne. »Siehst du das auch?«
Karl kam näher und folgte dem Wink. Er wirkte im ersten Augenblick verwirrt, doch dann sah auch er den fernen Lichtschein.
»Ist das ein Schiff?«
»Ja«, erwiderte Christian. »Es hält sich dicht hinter dem Horizont, um nicht gesehen zu werden. Die Wellen heben ab und zu den Mast an. Was wir dort sehen, ist vermutlich eine Lampe im Krähennest. Ich glaube, wir werden verfolgt.«
Karl schürzte die Lippen. »Das kann auch nur Zufall sein. Wir befinden uns auf einer viel befahrenen Handelsstraße.«
Christian dachte einen Augenblick über Karls Worte nach. Es war viel Wahres in ihnen enthalten. Trotzdem durfte er kein Risiko eingehen. Nicht angesichts der heiklen Mission, auf der sie sich befanden.
»Ich gebe dennoch Moreau Bescheid. Er soll dieses Schiff im Auge behalten. Wenn es uns weiterhin folgt, dann ist das ein Grund zu großer Besorgnis.«
»Wie du meinst«, erwiderte Karl wenig überzeugt.
Christian drängte sich an seinen Männern vorbei und begab sich eilig an Deck. Der Wind frischte merklich auf. Bereits mit dem ersten Schritt erkannte er, dass etwas nicht stimmte. Das Deck war merkwürdig leer. Nur wenige Besatzungsmitglieder waren zu sehen. Zwei von ihnen lehnten sich an den Hauptmast und schienen sich zu unterhalten. Sein Blick glitt nach oben. Der Ausguck war besetzt. Oberflächlich betrachtet, gab es keinen Grund für Misstrauen. Dennoch mahnten ihn seine inneren Alarmglocken zur Vorsicht. Irgendetwas war definitiv faul.
Moreau stand auf dem Achterdeck am Ruder. Christian lockerte sein Schwert in der Scheide und ging auf den Kapitän zu. Der Templer stieg die steilen Stufen zum Achterdeck hinauf. Beißender Geruch stieg ihm in die Nase, den er nicht gleich einzuordnen wusste.
Je näher er Moreau kam, desto lauter schrillten die Alarmglocken in seinem Kopf. Christian streckte die Finger nach dem Kapitän aus und berührte diesen leicht an der Schulter. Der Körper des Mannes sackte zur Seite. Christian riss die Augen auf. Moreaus Kehle war durchgeschnitten. Der Mann war mittels eines Seils am Ruder festgebunden und das Ruder selbst mit einem zweiten Seil fixiert worden.
Außerdem war alles mit einer ekelhaft schmierigen Substanz überzogen. Sie klebte an seinen Fingern. Er roch daran. Es handelte sich um Öl.
Christian fluchte und sprang vom Achterdeck. Mit einem Satz war er bei den zwei Besatzungsmitgliedern am Hauptmast. Auch ihnen war die Kehle durchgeschnitten worden. Nur einige Seile hielten sie aufrecht, um den Eindruck zu vermitteln, sie würden stehen. Nun, da seine Sinne hellwach waren, erkannte er allerorts auf dem Schiff den unverwechselbaren metallischen Geruch nach Blut. Der Gestank des Öls hatte diesen übertüncht.
Christian fluchte. Der Feind verfolgte sie nicht. Er war längst hier. Und er hatte vor, sie alle abzufackeln. Der Templer hob die Hand und betätigte die Alarmglocke, deren heller Klang durch die Luft hallte.
»Templer an Deck!«, schrie er. »Wir werden geentert!«
Er hatte noch nicht ausgesprochen, als die Schatten lebendig zu werden schienen und vermummte Gestalten auf ihn zuströmten. Sie alle waren mit Messern oder Schwertern bewaffnet. Ihr Duft stieg Christian in die Nase. Es handelte sich unzweifelhaft um Menschen. Und ganz offensichtlich hatten sie keine Ahnung, mit wem sie sich anlegten. Sein Schwert glitt zischend aus der Scheide.
Zwei vermummte Gestalten stürzten sich auf ihn. Christians Nasenflügel blähten sich auf, als er den verführerischen Duft ihres Blutes auffing. Er knurrte. Menschen gegen Vampire in den Kampf zu schicken – genauso gut konnte man Lämmer zur Schlachtbank führen.
Christian musste sich nicht einmal groß anstrengen. Er wich dem ersten Hieb mit nur einem Bruchteil seiner verfügbaren Geschwindigkeit aus. Sein Schwert kam in einer geraden Linie hoch, wurde aber mit solcher Kraft geführt, dass sein Gegner praktisch in zwei Teile gespalten wurde.
Der unschöne Tod seines Kameraden ließ den zweiten Mann für einen Moment unsicher zögern. Es spielte keine Rolle. Sein Tod war so oder so beschlossene Sache. Christian holte mit der linken Faust aus und im nächsten Moment segelte der Körper seines Gegners in hohem Boden über die Reling und verschwand in den tosenden Fluten. Der Mann versank, ohne einen Laut von sich zu geben und ohne zu strampeln, unter den Wassermassen. Christians Schlag hatte ihm den Kiefer gebrochen und die Luftröhre eingedrückt.
Der Kampflärm lockte die anderen Templer an Deck. Die nächtlichen Angreifer sprangen sie mit blitzenden Klingen an, in der irrigen Annahme, sie hätten leichtes Spiel mit gerade aus dem Schlaf erwachten Soldaten. Als ihnen bewusst wurde, wie ihnen geschah, war es längst zu spät.
Karl durchstieß mit seiner Klinge den Hals eines Angreifers und brach einem zweiten den Schädelknochen, indem er diesem seinen im Helm steckenden Kopf gegen die Stirn rammte.
Die Vampirritter huschten über das Deck und metzelten nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Einer der Gegner nahm eine brennende Fackel und wollte sie auf das Deck werfen. Franz war zur Stelle, fing sie ab und warf sie über die Reling ins Meer. Matthew riss dem verhinderten