Flusenflug. Peter Maria Löw. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Maria Löw
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783955102395
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Die Flut hatte eingesetzt. Da wir nun nicht davon ausgingen, dass der Sand sie verschluckt hatte, war es wohl so, dass sie beim ersten Wasser unter dem Kiel fluchtartig diese Location verlassen hatten. Meine Analyse hatte inzwischen ergeben, dass unser erfahrener Skipper irgendetwas durcheinandergebracht haben musste. Jedenfalls war es so, dass wir zum unglücklichsten aller Zeitpunkte, nämlich zur Flut, unseren Ankerplatz gefunden hatten. Ein zweiter ungewöhnlicher Umstand kam hinzu, nämlich dass der Tidenhub an dieser Stelle mit fast zehn Metern besonders hoch war, was ebendiese merkwürdigen Effekte ausgelöst hatte. Die Crews der beiden tapferen Schiffe, die am Schluss bäuchlings am Strand lagen, hatten sich wohl blindlings auf die Expertise unseres »pilot in command« verlassen und einfach da geankert, wo wir bereits ankerten. Dieser Lemminge-Effekt hatte dann besagte Konsequenzen und lehrte mich, dass ich mich eben nicht unkritisch auf die Meinung irgendeines anderen verlassen durfte.

      Unsere Taucherlebnisse waren ebenfalls abenteuerlich. Wir hatten nicht nur ein schönes Schiff, sondern auch sechs Tauchausrüstungen an Bord und das Great Barrier Reef war gleich vor der Tür. Doch wie sollten wir es anstellen? Aus Filmen war mir ja bekannt, dass es auf hoher See vielleicht nicht so ratsam ist, wenn die gesamte Mannschaft gleichzeitig von Bord geht. Andererseits waren die Tauchgründe zu verlockend und so versuchten wir immer, einen besonders sicheren Ankerplatz zu finden, auch wenn wir ringsum kein Land mehr sehen konnten. Dort gingen wir beide dennoch das ein oder andere Mal zusammen tauchen. Gott sei Dank war das Schiff beim Auftauchen immer noch da, denn bis zur nächsten Insel in der Südsee wäre es doch etwas weit gewesen.

      Noch unheimlicher war die Situation, wenn wir den Anker nicht mehr losbekamen, weil er sich irgendwo verhakt hatte. Das war manchmal der Fall in Bereichen, in denen eine etwas höhere Strömung herrschte. Dort sprang Ralf todesmutig mit Tauchgerät in die Fluten, um den Anker zu befreien. Etwas unklar war mir dabei aber die Frage, was passieren würde, wenn das Schiff in der Strömung beim Lösen des Ankers einfach davonschwimmen würde. Denn mit mir als völlig ungeübtem Segler an Bord war es nicht sicher, ob und wann es mir gelingen würde, den armen Ralf auf offenem Meer wieder einzusammeln. Diese Besorgnis trieb Ralf offenbar auch um. Daher hatte er sich folgende Technik ausgedacht: Er hängte sich einfach an die Ankerkette und zog sich so nach und nach durch die Strömung wieder zum Schiff heran. Ich muss sagen, diese Technik hat ausgezeichnet funktioniert. Jedenfalls kann ich vermelden, dass es Ralf Schläpfer bis heute sehr gut geht.

      Nachdem sich unsere Bootsreise dem Ende zu näherte, hatte sich auch unser Bestand an Käsekuchen, Steaks und sonstigen Utensilien fast auf null reduziert. Denn jedem Bekannten oder Unbekannten, der uns über den Weg lief, konnten wir mit einem freundlichen Präsent eine große Freude bereiten und damit für die Offenherzigkeit der Europäer im Allgemeinen Werbung machen.

      Wir schlossen die Reise wieder in Sydney ab und bereits auf dem Rückflug Ende November 1995 hatte es sich für mich »aussabbaticalt«. Jetzt musste es wieder geschäftlich weitergehen.

      28Das Sabbatjahr, auch Schmittah (image) genannt, ist in der Tora (Bibel) ein Ruhejahr für das Ackerland. Nach 6 Jahren Bebauung wird das Land – in Analogie zum Sabbat als Ruhetag – ein Jahr brach liegen gelassen (Ex 23,10–11 EU; Lev25,1–7 EU) (Wikipedia), heute versteht man darunter auch eine längere Auszeit vom Berufsalltag.

      29Zweimal den legendären New York Marathon.

      30Rangliste.

       Das 6. Abenteuer Auf dem Todesstreifen

      Martin war auch schon wieder voller Tatendrang und hatte inzwischen weitere Firmen zum Kauf ausgemacht. Es war bereits Spätherbst, November 1995. Nach der doch etwas unguten Erfahrung bei der Akquisition der A + L und dem ständigen Terror durch die finanzierenden Banken, die einfach nicht verstehen wollten, wie wir unsere Geschäfte führten und uns stattdessen mit gutgemeinten, operativen Ratschlägen (von Bankern!) versorgten, entschlossen wir uns, unser Geschäftskonzept gründlich zu überarbeiten. Da die Kriegskasse mit einigen Millionen gut gefüllt war und wir mit den Firmen in Kassel, Lemgo, Erfurt und Osnabrück bewiesen hatten, dass wir in der Lage waren, ganze Unternehmen für einen symbolischen Kaufpreis zu akquirieren, kamen Martin und ich überein, dass wir uns nur noch auf solche Akquisitionen konzentrieren sollten. Wir wollten uns also ausschließlich um Gesellschaften kümmern, die wir aus eigenem Cashflow ohne Zutun der Banken finanzieren konnten. Die hatten sich ohnehin als völlig nutzlos erwiesen. Die beteiligten Banker waren ganz nette Kerle, aber nicht im Entferntesten in der Lage, etwas Hilfreiches beizutragen. Darüber hinaus hatten wir schon bei unserer ersten Akquisition feststellen müssen, dass sich der Finanzierungsvorgang entgegen unseren Erwartungen über Monate erstreckt hatte. Schon wegen dieser inhärenten Trägheit der Bankprozesse befürchteten wir, dass uns gute Deals durch die Lappen gehen würden.

      Beim Firmenkauf ist es nämlich ein wenig so wie auf einem Flohmarkt. Nicht derjenige erhält bei einer günstigen Gelegenheit den Zuschlag, der den höchsten Kaufpreis zu zahlen verspricht, sondern derjenige, der rechtzeitig an Ort und Stelle ist und einen akzeptablen Kaufpreis in bar auf den Tisch legen kann. Allein der Vorbehalt »nur noch« auf die Entscheidung eines Kreditausschusses warten zu müssen, konnte der Deal-Killer sein. Schon aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht stellte der Vorbehaltspreis für den Verkäufer gegenüber dem Sofortgeld einen deutlich geringeren ökonomischen Wert dar. Der vermeintlich hohe Kaufpreis musste vernünftigerweise mit dem Risiko des Versagens einer Finanzierung abgezinst werden. Damit wurde aus der formal besten Offerte häufig ein unattraktives Angebot. Das funkelnde Sofortgeld, das lernte ich bei vielen der folgenden Transaktionen kennen, war häufig zu verlockend.

      Aufgrund der uns selbst auferlegten Beschränkung der Bezahlung aus dem eigenen Cashflow konnten wir uns aber nur noch auf Unternehmen konzentrieren, für die ein geringer oder gar kein Kaufpreis zu bezahlen war. Und diese gab es in den Wirren der Privatisierungen der vormaligen DDR-Unternehmen zuhauf. So fuhren Martin und ich an einem Dienstagabend aus Lübeck kommend in Richtung der neuen Bundesländer zu einem der vielen Firmenbesichtigungstermine. Als wir uns von Westen der ehemaligen Zonengrenze näherten, die bei Selmsdorf ihr nördliches Ende in der Trave fand, erblickten wir inmitten des ehemaligen Todesstreifens, wahrscheinlich just dort, wo einst die Minen eingegraben waren, eine im Rohbau befindliche Halle von, wie sich herausstellen sollte, ca. 10 000 m2 Grundfläche. Das zugehörige Gewerbegrundstück von einigen Hektar war Teil eines voll erschlossenen Industrieparks, schon einige Meter auf dem Gebiet des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern.

      Die Vollendung der Halle schien zum Stillstand gekommen zu sein. Die »Halle« bestand eigentlich nur aus Fundamenten, dem Industrieboden und riesigen Stahlträgern, die dem Ganzen das Aussehen eines erlegten Fossils gaben, einer unentdeckten Dinosaurierart von bisher unbekannter Größe. Von den zahlreichen Rippen hingen Plastikfolien herunter und wehten wild knatternd im Wind. Das Ganze machte einen verlassenen, ja sogar verwahrlosten und unheimlichen Eindruck. Würden Zombies den fahlen Gerippen entsteigen, wäre das auch nicht weiter verwunderlich gewesen. Spontan entschlossen wir uns also zu einer Spritztour der besonderen Art. Wir fuhren, inzwischen war es Nacht, mit Martins Wagen in das Industriegebiet und auf das Grundstück, vorbei an den Warnschildern in das leere Hallenskelett hinein, drehten dort die eine oder andere Runde und, nachdem weit und breit nichts von Zombies zu sehen war, entschlossen wir uns herauszufinden, wem diese Ruine wohl gehörte.

      Nach der Besichtigung einer Firma in der Nähe von Satow am nächsten Tag – aus dieser Akquisition war letztlich nichts geworden – kehrten wir nach Selmsdorf zurück. Der dortige Bürgermeister Detlef Hitzigrath, ein sehr redseliger und kumpelhafter Typ, der gleichzeitig das einzige Gasthaus »Zum Detlef« betrieb, konnte uns sofort und bereitwillig Auskunft erteilen. Ein westdeutscher Unternehmer, Herr Arndt, habe hier eine Produktionshalle errichten wollen. Dies hätte für ihn enorme steuerliche Vorteile gehabt, da er seine Haupttätigkeit in Lübeck hatte, die Halle sich aber bereits auf dem Gebiet des Landes Mecklenburg-Vorpommern befand. Denn so hätte er die Infrastruktur von Lübeck