Flusenflug. Peter Maria Löw. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Maria Löw
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783955102395
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Computernetzwerke für die Handwerker der Region zusammenzuschrauben. Es handelte sich tatsächlich um jenen Lars Windhorst, der später als »Wunderkind« mit Bundeskanzler Helmut Kohl auf Chinareise ging und anfing, Wolkenkratzer in Fernost zu bauen, bis er ein-, zweimal doch kräftig auf die Nase fiel, auch einen Flugzeugabsturz überlebte, um heutzutage wieder als sehr erfolgreicher Investor im Corporate Bereich weltweit von sich reden zu machen. Als solcher ist er vor kurzem bei Hertha BSC mit einem vielfachen Millionenbetrag eingestiegen.

      Jener junge Herr Windhorst war genau unser Mann. Bei Stundenlöhnen im Taschengeldbereich, aber einer sehr guten Expertise, wo man die günstigsten Komponenten bekommen konnte, waren wir uns sehr schnell handelseinig. Herr Windhorst errichtete uns für kleines Geld eine umfängliche Computerinfrastruktur, er arbeitete sogar samstags und sonntags, dann aber nur gegen Extrazulage. Wir mussten ihn kostenlos mit Pizza und Coca Cola versorgen. Sein Geschäft schien auch sonst an Fahrt aufzunehmen. Kam er anfangs noch mit einem Mofa nebst kleinem Anhänger aus dem drei Kilometer entfernten Rahden angebraust, so fuhr er ein halbes Jahr später bereits mit eigenem Kfz vor. Natürlich nicht er selbst, sondern er setzte damals einen älteren Schulfreund, der schon den Führerschein hatte, als Fahrer und Chauffeur ein, eine Marotte, die er bis heute beibehalten hat. Im Verlaufe der Wochenendsitzungen löste sich dann der Coca-Cola-Konsum mit steigender Uhrzeit mit dem Konsum des einen oder anderen Glases Wein ab, was zu fröhlichen Gelagen bis in die späten Abendstunden führte.

      Dabei fragte er uns neugierig, wie man das mit dem Firmenkauf eigentlich so mache, auch wenn man kein Geld besäße, auf welche Dinge man achten müsse und welche Fehler zu vermeiden seien. Ich griff bei meinen Antworten auf meinen noch überschaubaren Erfahrungsschatz zurück und zitierte den Ratschlag meines Vaters, dass man am besten ganz unten anfangen solle und sich dann Stufe für Stufe im Leben hocharbeiten müsse. Diese Weisheit, so mein Tipp, dürfe man auf keinen Fall berücksichtigen, sonst würde man weit unter seinen Möglichkeiten enden. Wir hätten uns so auch entschlossen, nicht etwa als Lehrling, sondern gleich als Firmenbesitzer, also oben, einzusteigen. Rotwein, insbesondere der von der Tankstelle, löst bekanntlich die Zunge und so war dieser doch etwas großspurige Vortrag von mir vielleicht nicht vollständig durchdacht, jedoch unser Herr Windhorst schien gerade diesen Aspekt besonders beherzigen zu wollen. Und so stieg er später offensichtlich ganz oben ein, um dann aber auch ziemlich tief zu fallen. Wer einen solchen Sturz überlebt, der kann es wirklich zu etwas bringen. Herr Windhorst scheint es ganz eindeutig heute geschafft zu haben. Ich habe ihn jedenfalls noch das ein oder andere Mal getroffen und die Erinnerungen an diese alten Zeiten waren für beide Seiten, so glaube ich, ganz erquicklich.

      Zurück zu den Problemen bei A + L. Es gab auch keinen richtigen Vertrieb. Die einzigen Vertriebspersonen waren die »Herren« Althaus und Landmeier selbst gewesen. Die gab es nicht mehr. Wir mussten also den Vertrieb neu aufbauen und das in einem wettbewerbsintensiven Umfeld. Hier kam mir eine gewisse Kreativität, aber auch ein gesundes Maß an Frechheit zugute. Wie konnte ich es schaffen, gutes Vertriebspersonal von den etablierten Wettbewerbern in unsere doch etwas klapprige Firma zu bekommen? Denn gute Vertriebsleute sind wie scheue Rehe. Sie kennen weder Loyalität, noch haben sie große Skrupel und sind beim ersten Sturm weg. Also dachte ich mir Folgendes aus: Die neuen Vertriebsmitarbeiter sollten ein extrem niedriges Grundgehalt von DM 1000 pro Monat erhalten, jedoch, und das war die Chance gegenüber den Wettbewerbern, das Doppelte an Provision gezahlt bekommen. Dies sollte dazu führen, dass der schlechte Vertriebsmitarbeiter bereits nach kurzer Zeit die Firma wieder verließ, da er mangels Provision und zu niedrigem Grundgehalt nichts verdiente. Der gute Vertriebsmitarbeiter jedoch würde durch die verdoppelten Provisionen überproportional stark verdienen und war dadurch besonders motiviert.

      Und ein zweites Element hatte ich mir ausgedacht. Bei allen Wettbewerbsunternehmen erhielten die Vertriebsmitarbeiter immer einen Opel Astra. Dies schien wohl das typische Branchenauto zu sein. Ich hatte mir über das Wesen des Vertriebsmitarbeiters, insbesondere über seine narzisstische Natur, Gedanken gemacht. Ein guter Vertriebsmitarbeiter war ein extrovertierter Mensch, der sich an seinen Erfolgen nicht nur selbst erfreute, sondern seine Umwelt daran teilhaben lassen wollte. Mit anderen Worten, das Social standing war für ihn etwas sehr Wichtiges und das Prestige bildet sich, jedenfalls in Deutschland, vor allen Dingen im Auto ab. So hatte ich mir einen perfiden Plan einfallen lassen. Die Vertriebsmitarbeiter sollten nicht etwa einen von uns vorgegebenen Vertriebswagen erhalten, sondern ihnen würde eine feste Leasingrate für ein Leasingfahrzeug als Firmenwagen zur Verfügung gestellt werden. In der konkreten Auswahl des Wagens wären sie jedoch völlig frei.

      Tatsächlich ging dieses Konzept unerwartet gut auf. Potentielle Vertriebsmitarbeiter rechneten sich anhand der Leasingrate schon einmal aus, welchen größtmöglichen Wagen sie mit der an sich niedrigen Leasingrate finanziert bekommen würden. So sammelte sich auf dem Parkplatz für Mitarbeiter schon bald eine farbenprächtige Palette von BMW 635 CSi, Porsche 911 oder große Mercedes-Benz-Schlitten, alle im Schnitt mehr als sechs Jahre alt. Fuhr der Vertriebsmitarbeiter nun mit seinem Wagen nach Hause und stellte ihn vor seine Garage, so konnte jeder der Nachbarn deutlich erkennen, welchen sozialen Aufstieg er vermeintlich genommen hatte und wie erfolgreich er war. Und daraus ergab sich auch schon der zweite Vorteil meiner Strategie. Der Vertriebsmitarbeiter konnte nicht mehr zu seiner alten Firma zurückwechseln, denn welcher soziale Abstieg wäre damit verbunden gewesen, wenn er aus seinem großen BMW wieder in den verhassten kleinen Opel Astra hätte steigen müssen? Diesen sozialen Abstieg hätte er nie und nimmer verkraftet. So war das Autoprogramm nicht nur eine Maßnahme, gute Mitarbeiter anzulocken, sondern auch ein Mittel, um sie an die Firma zu binden.

      Das Entlohnungspaket war ein voller Erfolg. Es führte u. a. dazu, dass die besten Vertriebsmitarbeiter deutlich mehr verdienten als ich selbst mit meinem monatlichen Geschäftsführergehalt von DM 12 000. Ich freute mich sogar über jede Mark, die ein Vertriebsmitarbeiter mehr als ich verdiente, da die Firma von diesen Erfolgen überproportional profitierte.

      Mit der Zeit entwickelte sich unser kleiner Büromaschinenhändler zum Magneten für alle guten Vertriebsleute der Region, selbst aus anderen Branchen. Die Umsätze der Firma legten stark zu, sodass wir unsere Zinsraten pünktlich bedienen konnten. Dennoch blieb es ein waghalsiger Ritt auf Messers Schneide. Die diversen Bankdirektoren, bei denen wir unsere Akquisitionsgelder geliehen hatten, gaben sich die Klinke in die Hand und stellten sich fast immer mit dem gleichen Satz vor: »Lieber Herr Dr. Löw, wie konnte es passieren, dass es Ihnen erst nach geraumer Zeit aufgefallen ist, dass Ihre Geschäftsführer Gelder von den Bankkonten entwendet haben, und war es wirklich Ihr Plan, dass Sie innerhalb kürzester Zeit kein Management mehr haben? Haben Sie überhaupt schon mal selber eine Firma geführt?« Diese Floskeln waren ja noch zu ertragen. Als viel schlimmer stellte es sich heraus, dass besagte Bankdirektoren nunmehr anfingen, ein jeweils eigenes Controlling einzurichten, das hieß, dass sie von uns im Wochen- oder Tagesrhythmus diverse unsinnige Statistiken und Aufstellungen verlangten, um für den möglichen Fall einer Insolvenz ausreichend dokumentieren zu können, wie intensiv sie sich doch um die Firma gekümmert hätten. Jedenfalls kann ich im Nachhinein sagen, dass ich in dieser Zeit ziemlich schlecht geschlafen habe, auch wenn die Aufgabe an sich höchst interessant und unterhaltsam war. Denn mit Gesamtschulden in Höhe von ca. DM 7 Mio. ist eine beginnende Existenz schon oft im Keim erstickt worden.

      Nach einem Jahr Geschäftsführertätigkeit vor Ort hatte sich der Umsatz um fast 50 Prozent auf über DM 10 Mio. erhöht. Die Beschäftigung war von 27 auf 41 Mitarbeiter gestiegen. Auch die Profitabilität des Unternehmens hatte sich deutlich verbessert. In der Branche war man auf uns aufmerksam geworden. Wir erhielten Angebote zur Übernahme der Gesellschaft von diversen Wettbewerbern, akzeptierten aber im Endeffekt doch das beste Angebot von den beiden untreuen Herren Landmeier und Althaus, denen es im Pensionärsstand offensichtlich langweilig geworden war, und die damit wohl auch weitere Ermittlungen der Behörden verhindern wollten. Und die beiden Herren bestanden – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht wie alle anderen darauf, dass wir noch ein, zwei Jahre als Geschäftsführer im Unternehmen bleiben sollten, auch ein Vorteil.

      Wir verkauften also das Unternehmen nach circa 13 Monaten im Februar 1994 mit einem Gewinn von DM 1 Mio., also zu einem Kaufpreis von DM 8 Mio. Damit konnten wir alle unsere Schulden bezahlen. Zusätzlich hatten wir jeweils ein Geschäftsführergehalt von ca. DM 140 000 bezogen. Wir behielten unsere schicken Dienstwagen