Aus ähnlichen monetären Gründen, also genauer der Gewerbesteuer wegen, habe er, der Bürgermeister, dann ohne jede Genehmigung auf dem geräumten Todesstreifen ein Gewerbegebiet anlegen lassen. Dies sei in der Tat ein wenig schwierig gewesen, denn dort an der Trave befand und befindet sich bis heute noch ein sehr wichtiges Biotop mit allen möglichen Arten von geschützten Vögeln, aber das Gemeinwohl, sprich die der Kommune zustehende Gewerbesteuer, sei eben vorgegangen und so sei der ganze Schwarzbau des Gewerbegebietes ja doch im Nachgang genehmigt worden.
In diesem Gewerbepark habe nun Herr Arndt seine Halle errichten lassen. Da er sich zu dieser Zeit unglücklicherweise in Verteilungskämpfen mit seiner geschiedenen Ehefrau befand, hatte er nun die Befürchtung, dass seine »Ex« diese Halle und das Grundstück im Rahmen eines Güterausgleichs – jedenfalls zu Teilen – bekommen könnte. Deshalb hatte er die Halle bzw. die Grundstücksgesellschaft auf seine neue Ehefrau, Frau Arndt II sozusagen, – rein formal natürlich nur – übertragen und diese habe nun, nachdem sie die Ehe kurz darauf beendete, der Einfachheit halber alles behalten. Da die Halle wohl das wesentliche Vermögen des Herrn Arndt gewesen war, sei der ehemalige Eigentümer daraufhin dem Wahnsinn verfallen und der Bürgermeister warnte uns eindringlich, wir mögen uns in Acht nehmen, wenn wir uns in der Gegend der Halle befänden, denn es wäre jederzeit mit schweren Gewalttaten durch den Geprellten zu rechnen. Also doch Zombies!
Frau Arndt II habe allerdings kein weiteres Geld erlangen können, auch nicht, um den Bau fortzusetzen, und somit sei die Halle nunmehr in diesem ruinösen Zustand. Der Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern Dr. Berndt Seite (CDU) habe ihn bereits persönlich auf diese abstoßende Bauruine angesprochen. Denn ein jeder Westler, der über Lübeck nach Mecklenburg-Vorpommern reise, müsse jetzt zwangsläufig an diesem plastiktütenbehangenen Skelett vorbeifahren und würde seine Vorurteile bestätigt finden, dass die ganzen schönen Fördergelder der Wiedervereinigung in sinnlosen Projekten vergeudet würden. Die Halle sei das Eintrittstor in das Bundesland und habe daher hohen repräsentativen Charakter. Ein Erwerber würde schon aus diesem Grund, so habe es ihm auch der Wirtschaftsminister Harald Ringstorff (SPD) versprochen, eine großzügige und unbürokratische Förderung erhalten, wenn er nur bitte dem Gebäude zu seinem geplanten Glanz verhelfen würde.
Das roch nach einem Fall für uns. Eine etwas verworrene Ausgangslage, ein Bauvorhaben, in das offensichtlich bereits viel Geld geflossen war, das jedoch in seiner jetzigen Form keinen hohen Wert darstellen konnte, eine Verkäuferin, der keine Lösungen mehr einfielen, und ein Wirtschaftsminister, der ganz offen mit Fördermitteln winkte. Bereits am nächsten Tag trafen wir Frau Arndt II, die inzwischen wieder Opitz hieß, unter doch sehr konspirativen Umständen. Wir mussten uns mehrere Hundert Meter entfernt von der Halle hinter einer Scheune versammeln. Die Dame wurde von einem etwas dubiosen Berater begleitet, der mehrfach auf die hohe Gefahr durch ihren Ex-Mann hinwies. Einige Attentatsversuche sollte er schon verübt haben und es sei pures Glück, dass Frau Opitz/Arndt II überhaupt noch unter uns weile.
Die Dame selbst berichtete, dass bereits ein paar Millionen in dieses Bauvorhaben geflossen seien, alles noch von ihrem Ex-Mann bezahlt. Sie müsse jetzt aber noch einige laufende Kosten tragen und dafür fehle ihr einfach das Geld. Die Halle bzw. das gesamte Grundstück seien Teil einer Gesellschaft, der Arndt Verpackung & Display GmbH, und sie könne die Gesellschaft nur als Ganzes verkaufen, sei aber zu einem Schnäppchenpreis bereit. Falls sie nur das Asset zu einem niedrigen Kaufpreis isoliert verkaufen würde, müsse sie aufgrund von Zahlungsrückständen gegenüber den Baufirmen sofort Insolvenz anmelden, und das wolle sie sich nicht zumuten. Das war ein Fall für uns! Wir einigten uns auf einen Kaufpreis von DM 300 000 und verpflichteten uns, die Schulden der Gesellschaft, für die Frau Opitz persönlich haftete, in Höhe von ca. DM 2,5 Mio. abzulösen.
Ein paar Tage später wurde der Vertrag unterzeichnet und das Eigentum sollte mit Eingang der Kaufpreiszahlung bei Frau Opitz auf uns übergehen. Doch so einfach war es nicht. Wir hatten die Zahlung der geschuldeten DM 300 000 an Frau Opitz ordnungsgemäß und per Blitzüberweisung bei der Stadtsparkasse Saarlouis in Auftrag gegeben. Der Betrag war dann auch sofort von unserem Konto abgebucht worden, kam aber nicht an. Zwar hatte uns noch ein Mitarbeiter der Deutschen Bank Lübeck den Eingang abends telefonisch bestätigt, am nächsten Tag wusste aber dort keiner mehr davon und der Mitarbeiter war im Urlaub. Das Geld war verschwunden. Die Stadtsparkasse teilte uns nur mit, sie habe das Geld an die angegebene Korrespondenzbank, die Deutsche Bank, überwiesen und diese müsse es schließlich auf das Konto der Frau Opitz weiterleiten, für sie sei der Fall erledigt. Die Deutsche Bank teilte uns andererseits mit, sie habe gar kein Geld von der Stadtsparkasse erhalten und deshalb könne sie auch nichts weiterleiten, der Fall sei für sie ebenfalls erledigt.
Die Vorzüge eines Interbanken-Clearingverfahrens hatten sich offenbar noch nicht so weit herumgesprochen. Sämtliche Beschwerden blieben ungehört, selbst der Hinweis auf die Dringlichkeit der Angelegenheit brachte keinerlei Vorteil, im Gegenteil. Beide Banken verharrten in Untätigkeit. Erst unsere anwaltliche Drohung, die Bankenaufsicht ob dieses Verhaltens einzuschalten, führte zu etwas mehr Engagement der beteiligten Banker. Schließlich wurde nach zwei weiteren Tagen (!) das per Blitz überwiesene Geld doch noch gefunden. Es war tatsächlich bei der Deutschen Bank in Frankfurt angekommen, diese hatte es nur nicht an die korrespondierende Deutsche Bank in Lübeck überwiesen, sondern es einfach liegen lassen, ein lohnendes Geschäft, denn die Tageszinsen hatte Frankfurt einfach einbehalten. Weitere Entschuldigungen gab es natürlich auch nicht. Die waren aber auch nicht mehr nötig, denn wir hatten sowieso beschlossen, für den Rest unseres Lebens keine wichtigen Geschäfte mehr mit der Deutschen Bank und deren Personal zu tätigen.
Nachdem das Geld endlich eingegangen war, galt es erst einmal, die fälligen Forderungen zu befriedigen bzw. mit den Gläubigern in Verhandlung zu treten. Wegen der seit geraumer Zeit drohenden Insolvenz von Frau Opitz waren diese schon etwas weichgekocht. Sie waren ersichtlich froh, jetzt endlich wieder jemanden vor sich zu haben, der wenigstens irgendetwas zahlte. So einigten wir uns auf eine Vergleichszahlung von DM 500 000, die wir auch prompt beglichen, auf die restlichen DM 2 Mio. wurde verzichtet. Damit dachten wir, sei die Liquidität der Gesellschaft wiederhergestellt.
Da hatten wir aber nicht mit dem Finanzamt Grevesmühlen gerechnet. Denn, so die Herren Steuerbeamten, durch diesen Vergleich hätte die Gesellschaft ja jetzt DM 2 Mio. Gewinn gemacht und der müsste besteuert werden und zwar jetzt und sofort! Zwar besaß unsere Gesellschaft hohe Verlustvorträge31, die damals noch steuerwirksam mit übergegangen waren und die diese Sanierungsgewinne leicht hätten ausgleichen können. Doch die Ostbeamten, nach der Wende mit den westdeutschen Steuergesetzen offensichtlich noch nicht so richtig vertraut, schickten uns erst einmal einen Steuerbescheid über ca. DM 0,8 Mio. wegen genau dieser Sanierungsgewinne und mit einer kurzen Zahlungsfrist von vier Wochen. Dies hätte unsere Gesellschaft aus eigener Kraft nicht stemmen können. Unsere schriftlichen Einwände, insbesondere die Hinweise auf die Rechtslage, blieben unbeantwortet und die Zahlungsfrist lief. So entschloss sich Martin zu einem persönlichen Gespräch. Im Wesentlichen brüllte er dann die verdutzten Finanzbeamten etwa fünf Minuten lang an, drohte mit dem Ministerpräsidenten und seinem Wirtschaftsminister und schließlich sogar mit Detlef, dem Bürgermeister, und dann wurde die Sache einfach fallen gelassen. Geht doch!
Nun ging es darum, auch die versprochenen Fördergelder zu erhalten. Wir fuhren also zum Wirtschaftsminister Harald Ringstorff, dem späteren Ministerpräsidenten des gleichen Bundeslandes, und wurden in Schwerin auf das Freundlichste von ihm empfangen. Er stellte uns verschiedene EU Programme vor, darunter die Investitionszuschüsse der Gemeinschaftsaufgabe »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur«, wo es für KMU (Kleine und mittlere Unternehmen) verlorene Investitionszuschüsse32 von 50 Prozent gab. Er sicherte uns außerdem zu, er werde alles tun, damit diese Investitionszuschüsse auch wirklich flössen. Dies hörte sich doch verlockend an.
Das Problem war nur, dass wir auch auf die bereits gezahlten Millionen des Herrn Arndt gerne Investitionszuschüsse erhalten wollten. Das Gesetz sah eigentlich ausdrücklich vor, dass Investitionszuschüsse nur für Maßnahmen gezahlt werden konnten, die erst nach dem Erlass des Investitionsbescheids realisiert wurden. Hier war jedoch ein großer Teil der Investitionen bereits vorher erfolgt,