Blutstaub - Roland Benito-Krimi 9. Inger Gammelgaard Madsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inger Gammelgaard Madsen
Издательство: Bookwire
Серия: Ronaldo Benito
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711650127
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hatte. Unwichtige Dinge. Dinge, an die sie viel lieber denken wollte. Etwas, mit dem sie leichter umgehen konnte.

      Sie schaute schnell auf, als sich eine Frau neben sie setzte. Sie hatte sie auch im Flugzeug von Kopenhagen und beim Umstieg am Frankfurter Flughafen gesehen. Dann war sie doch nicht die Einzige mit heller Haut und blonden Haaren und es fühlte sich irgendwie beruhigend an. Es war auch nicht unnatürlich, dass sich die Frau neben sie setzte. Wenn man auf fremdem Grund war, suchte man seinesgleichen. Deswegen gab es in Dänemark so viele Ghettos. Die Frau war Fotografin, wie sie an der Ausrüstung erkennen konnte, die sie als Handgepäck mitschleppte. Sie holte eine dänische Fotozeitschrift aus der Tasche, lächelte ihr zu und sah hinein.

      „Sind Sie Fotografin?“, konnte sie es nicht lassen zu fragen.

      „Sie sind Dänin!“, rief die Frau überrascht, dann nickte sie.

      „Ja. Ich arbeite als Freelancer.“

      „Kommen Sie aus Kopenhagen?“, fragte Silje weiter. Sie musste mit irgendjemandem sprechen und an etwas anderes denken.

      „Nein, ich bin aus Jütland. Was ist mit Ihnen?“

      „Aarhus. Ja, ich bin gerade erst nach Aarhus gezogen, zusammen mit meinem Mann und unserer Tochter, Anya. Sie ist sieben.“

      Die Frau lächelte noch überraschter. „Ich habe mein ganzes Leben in Aarhus gewohnt. Jetzt bin ich nach Djursland gezogen. Mein Vater, ach, das ist eine längere Geschichte.“

      „Witzig, dass wir nun zufällig beide an einem Flughafen in Äthiopien sitzen. Wo wollen Sie hin?“

      „Ich fliege weiter nach Gambella.“

      „Um dort zu fotografieren?“

      „Ja, ich habe einen Fotoauftrag angenommen, der wohl etwas außerhalb meines normalen Gebiets liegt, aber es klang sehr spannend und ich musste mal ein bisschen wegkommen.“

      Die Frau blätterte zu der vorigen Seite in dem Magazin auf ihrem Schoß zurück und zeigte ihr ein Bild eines zerbombten Hauses, wo ein kleiner, nackter Junge mit tränennassem Gesicht auf einer schmutzigen Treppe saß. Silje spürte sofort den Kloß im Hals. Der Junge sah verletzlich und verlassen aus, als sei er der einzig Verbliebene in einer zerbombten Welt.

      „Das wurde in Syrien von einem Kollegen gemacht für ein Magazin, das für das Dänische Rote Kreuz herausgegeben wird, und für das bin ich jetzt auch unterwegs.“

      „Um eine Reportage zu machen?“ Sie hatte nie selbst fotografiert. Tao war der, der die Kamera hatte und sich damit auskannte.

      „Ja, ich soll für das Magazin ein Foto-Essay über Flüchtlinge machen. Wo wollen Sie hin?“

      „Ich fliege nach Asossa und da geht’s dann weiter in ein Flüchtlingslager. Ich arbeite für Ärzte ohne Grenzen.

      „Das klingt spannend.“

      Silje richtete sich auf und lauschte der Stimme im Lautsprecher. Sie hatte ihn bisher nur als gleichgütiges, monotones Hintergrundrauschen wahrgenommen, aber als ihr Name genannt wurde, hörte sie zu. Jetzt wurde es wiederholt: „Silje Vuong! Please go to the gate!

      „Sind Sie das?“, fragte die Frau.

      Schnell stand sie auf. „Ja, das bin ich. Ich sollte mich lieber beeilen.“

      „Schön, Sie getroffen zu haben, Silje.“

      Sie umfasste den Trolleygriff. „Gleichfalls. Wie heißen Sie eigentlich?“

      „Ich heiße Kamilla. Kamilla Holm.“

      „Ich freue mich auf Ihr Foto-Essay. Gute Reise!“

      „Danke, Ihnen ebenfalls.“ Kamilla vertiefte sich wieder in die Zeitschrift.

      Silje zog hastig den Trolley hinter sich her. Sie war so in das Gespräch mit der Fotografin vertieft gewesen, dass sie den Aufruf zum Gate nicht gehört hatte. Jetzt warteten sie auf sie. Das letzte Stück rannte sie und schwitzte noch mehr, als sie den Schalter erreichte. Sie wurde zum Terminal gebracht von einer - trotz der Umstände - immer noch lächelnden, dunklen Frau in der dunkelgrünen Stewardess-Uniform der Ethiopian Airlines.

      Das Propellerflugzeug mit Platz für fünfzig Passagiere, in dem lange nicht alle Sitze besetzt waren, erreichte Asossa nach einer Stunde und fünfzehn Minuten Flugzeit. Silje döste und versuchte, innerlich Ruhe zu finden, indem sie ihren Atem regulierte, wie sie es beim Yoga gelernt hatte. Aber nun war sie bald an der Endstation und ihr Herz klopfte noch schneller. Auch der Zweifel kam. Hatte ihre Mutter doch recht damit, dass es eine schlechte Idee war?

      Sie wachte auf, als eine knisternde Stimme über Funk Bescheid gab, dass der Landeanflug begonnen hatte und die Passagiere ihre Sitze in eine aufrechte Position bringen und sich anschnallen sollten. Sie schaute aus dem Fenster. Das Flugzeug durchbrach die Wolkendecke. In der Landschaft unter ihr wechselten sich hohe, üppige Berge und grüne und goldene Flächen mit roter Erde ab. Es wurde eine harte Landung. Eine von der Sorte, die sie nicht mochte, und als sie endlich das Flugzeug verlassen konnte und ihr die feuchte Wärme auf der Flugzeugtreppe einen Augenblick lang den Atem raubte, begegnete ihr, was sie in Addis Abeba erwartet hatte. Es gab nur eine asphaltierte Landebahn, umgeben von dieser roten Lateriterde. Sie hatte mal irgendjemanden sagen hören, dass diese rote Erde von all dem Blut käme, das die Afrikaner geopfert hätten. Das war bestimmt in einem Film gewesen. War es Blood Diamond? Die Worte hatten sie jedenfalls berührt, als sie sie gehört hatte. Nun taten sie es wieder.

      Die Ankunftshalle war bei weitem nicht so ausladend wie die des Bole International Airports in Addis Abeba, und es dauerte nicht lange, den Koffer zu bekommen. Vor dem Gebäude entdeckte sie das Auto. Entschlossen ging sie zu dem Mann hin, der eine weiße MSF-Weste trug, die in der Sonne aufleuchtete. Er wartete auf sie und hielt ein Schild mit ihrem Namen hoch.

      „Silje Vuong, I presume?“, erkundigte er sich, was sie zum Lächeln brachte, da sie sofort an Stanleys bekannte Worte an Dr. Livingstone auf afrikanischem Boden dachte. Sie nickte und ließ ihn den Koffer aus ihrer Hand nehmen. Er nahm auch den Trolley und warf ihn zusammen mit dem Koffer in den Kofferraum des staubigen, weißen Toyota Land Cruiser mit dem roten Médecins Sans Frontières-Logo auf der Seite, bevor er ihr die Hand gab.

      „Welcome. I’m Alem, and I will drive you to the camp. Was it a nice trip?“

      Sein Händedruck war fest. Die Hand war sehnig und trocken in ihrer feuchten. Es war also nicht er, der sie abholte. Es war schwer, ihre Enttäuschung zu verbergen, aber die Ärzte hatten sicher viel zu tun. Sie setzte die Sonnenbrille auf, nahm auf dem Beifahrersitz Platz und sah ein, dass der braune Kaffeefleck auf der weißen Hose nicht der einzige Fleck sein würde, wenn sie ankam.

      „Yes, it was okay. How long does it take?, fragte sie.

      Alem teilte mit, dass sie circa eine Dreiviertelstunde nach Norden fahren würden und wenn es unterwegs keine Hindernisse gäbe, am Spätnachmittag im Lager sein würden.

      „Are you a doctor – or nurse?“, erkundigte er sich, und als sie lächelnd den Kopf schüttelte, wollte er wissen, was sie dann im Lager machen würde. Den eigentlichen Grund konnte sie ihm nicht erzählen. Sie hielt sich an die offizielle und teils wahre Version, dass ihr ein Job als Administratorin im Flüchtlingslager angeboten worden sei, sie aber noch nicht genau wusste, was sie machen sollte, abgesehen davon, dass es etwas mit Buchhaltung und Personal zu tun hatte, wofür sie ausgebildet war.

      „But the camp will shut down soon, you know?“, sagte Alem und schaute schnell zu ihr mit gelblichen Augen. Die Sonne hatte im Laufe der Zeit seinem Gesicht zugesetzt. Und das Leben sicher auch.

      Sie nickte. Wusste, dass das Lager bald schließen würde und informierte ihn darüber, dass sie genau dabei mithelfen sollte. Es gab keinen Bedarf mehr für die Anwesenheit von Ärzte ohne Grenzen. Die Situation in der Gegend war unter Kontrolle und andere Gebiete brauchten die Hilfe dringender. Das passte ihr sehr gut. Tatsächlich hatte sie genau diese Tatsache als ein Zeichen gesehen. Ein Zeichen dafür, dass sie das tun musste, wofür sie