Das war der erste Teil. Auf den Salto komme ich am Ende noch einmal zurück.
2. „Kirchenangst“
Was ist los mit Angst in der Kirche? Es scheint eine typische „Kirchenangst“ zu geben, German Angst? Ich möchte nach dem Salto den Unterschied zwischen Furcht als Angst vor einer realen Gefahr und neurotischer Angst verdeutlichen. Diesen Unterschied kennen Sie alle. Einmal echte Furcht vor etwas Realem gehabt zu haben, so wie vor einem Fallschirmsprung, stärkt in der Regel das Selbstbewusstsein. Furcht zu überwinden tut gut. Deshalb machen viele Menschen Abenteuer jeder Art und deshalb erzählt man auch Kindern Gruselgeschichten, dass sie sich so richtig fürchten. Das stärkt.
Hier soll es, beim Thema „Kirchenangst“, um die unnötige neurotische Angst gehen. „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voller Unruhe“ (Hiob 14,1). Ein bemerkenswerter Spruch, lassen wir die feministische Analyse einmal beiseite.
„Der Mensch vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voller Unruhe.“ Dass wir geboren werden, können wir nicht ändern, dass wir nach kurzer Zeit sterben werden, können wir auch nicht ändern. Aber ob wir in unserer Lebenszeit immer unruhig und ängstlich sind, darauf haben wir Einfluss. Einen Teil dieser anthropologischen Unruhe kann man auch neurotische Angst nennen. Wir machen uns unnötig Sorgen, statt zu vertrauen, dass sich die Erde am Ende schon irgendwie weiterdrehen wird. Viele Äußerungen aus der Kirche über die Kirche sind wie neurotische Angstsymptome. Vergleichen wir Kirchenangst mit den Beschreibungen von Angst aus der klinischen Psychologie: Ein Zustand dauernder Besorgnis ohne ersichtlichen Grund. Angst vor Kontrollverlust, Ruhelosigkeit, Unfähigkeit zu entspannen, Schlaflosigkeit, frei flottierende Angst, Angst um die Zukunft generell, Angst, dass alles so bleibt, wie es ist, Angst, dass nichts so bleibt, wie es ist, Angst um den materiellen Besitz.
Wir, die wir die Rechtfertigungslehre predigen, glauben und fühlen sollten, sind wohl die angstbesetztesten Bundesbürger. Die sprichwörtliche protestantische Krankheit, das protestantische Arbeitsethos nagt an uns. Das zu wissen, macht es schon gar nicht leichter. Auch das ähnelt vielen psychisch Kranken, die sich für ihren schlechten Zustand sogar noch selbst anklagen, statt sich zu bedauern und verwöhnen zu lassen. Wenn uns die Kirche, eine Institution, die eigentlich zu unserer Seelenruhe beitragen sollte, am meisten Unruhe bereitet, dann ist etwas sehr falsch. Wenn das Geben und Nehmen zwischen mir und meiner Kirche nicht stimmt, dann bin ich in der falschen Kirche oder ich mache etwas falsch. Nochmal anders ausgedrückt, wenn wir als Einzelne der Kirche als Institution und Organisation mehr geben, als sie uns gibt und nützt, dann fragt man sich, wofür sie gut sein soll. Dann sollten wir auch nicht im Ernst für sie werben. Oder: „Wenn dein Pferd tot ist, dann steig ab“, wie die Cowboys und Cowgirls sagen.
Für mich ist dieser Test von Geben und Nehmen, für die einzelnen Menschen, die in der Kirche arbeiten, wichtig für meine Tätigkeit als Supervisorin. Überall wird über die gegenwärtigen oder zukünftigen Probleme der Kirche gesprochen. Es ist Alltag, dass ich Menschen begegne, die irgendwie ziemlich erschöpft sind und immer das Gefühl haben, der Kirche noch mehr geben zu müssen, damit dieses Wunder geschieht, das vielleicht geschieht, aber das wir eben zum Teil nicht beeinflussen können. Ein Risikofaktor für diesen Stress und diese Angst ist auch der Größenwahn vieler kirchlicher Mitarbeiter. Früher haben wir in der Pastoraltheologie viel über das Helfersyndrom diskutiert. Heute wird dieses Helfersyndrom nicht mehr so viel diskutiert, weil es andere Probleme gibt. Schauen wir auf unser Tagungsmotto „Siehe, ich will Neues schaffen. Erkennt ihr es denn nicht?“. Dieses Ich in dem Spruch wird von vielen Kirchenmenschen missinterpretiert. Sie meinen sich selber: Siehe, ICH will Neues schaffen, ICH muss Neues schaffen. Und wer sich unter diesen Druck setzt, der hat sich schon sozusagen über die Institution gestellt, die eigentlich für sein Seelenheil da sein sollte. Siehe, ich muss das stützen und erhalten, was mich ernährt. Das ist ein bisschen so traurig wie Kinder, die sich die ganze Zeit um ihre Eltern kümmern, damit die Eltern noch halbwegs funktionieren. Wenn diese Verdrehung der Rollen da ist, dann ist wirklich psychisch etwas falsch.
Ein weiterer Punkt zum Thema Angst ist der Zusammenhang zwischen Angst und Stress. Physiologisch ist Angst ein hohes Erregungsniveau. Ein bestimmtes hohes Erregungsniveau ist positiver Stress, Adrenalin, das uns bewegt und Energie gibt. Aber wenn irgendwann dieses Adrenalin zu sehr steigt, dann ist physiologisch echte Angst da bzw. im schlimmsten Fall eine Panikattacke, die einen überfällt und überfordert. Und aus diesem hohen Erregungsniveau, das auf die Dauer krank macht, kommen Menschen nur heraus, wenn sie lernen, die eigene körperliche Erregung wieder herunterzufahren und sich zu entspannen. Und wenn ich es mit meiner Selbstregulation schaffe, mich herunterzuregulieren und einen normalen entspannten Grundton zu haben, dann kann der nächste Stress mich auch nicht so kalt erwischen. Wenn ich aber schon im Dauerstress bin, und irgendjemand kommt noch mit irgendetwas am falschen Punkt, fragt mich, kritisiert mich und hat noch eine Anforderung, dann kann ich mich sozusagen nicht mehr beherrschen, dann ist der Stress oder die Angst, dass alles nicht mehr klappt, nicht mehr zu verhindern. Dazu kommt, wenn man in diesem Hoch-Erregungs-Angst-Stress-Zustand ist, dass die Gedanken auch immer um negative Dinge kreisen. Man nennt das in der Psychotherapie „Katastrophenscanning“. Das finde ich ein ganz großartiges Wort, wenn wir uns die Diskurse in der Kirche angucken. „Katastrophenscanning“. Jetzt sind zwar unsere Kassen noch voll, aber wehe, in zehn Jahren werden sie leer sein. Rechnet es euch aus, dann und dann wird das Schlimme passieren!
Denken Sie an ein Individuum, das Ihnen sagt: „Du, mir geht es heute total gut, wirklich, mir geht es gut, es ist alles schön, aber es könnte sein, dass ich in zehn Jahren krank werde und deshalb mache ich heute ganz viele Sachen und denke immer daran.“ Da würde man therapeutisch sagen: „Stimmt das denn?“ Das würde man im schlimmsten Fall eine generalisierte Angststörung nennen, wenn jemand seine Aufmerksamkeit in allem darauf richtet, was schiefgehen könnte und wo die Klippen des Lebens sind. Leider ist diese generalisierte Angststörung sehr häufig beim Homo sapiens. Denn der Homo sapiens hat ja leider dieses besondere Gehirn. Dieses Gehirn hat die Fähigkeit, im Gegensatz zu Tieren, ein Bewusstsein zu haben und die Zukunft zu antizipieren. Das ist unsere menschliche Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken und für die Zukunft zu planen. Es ist unser evolutionäres Erbe, dass wir Problemsucher sind. Und leider antizipieren wir die Probleme von in 10, 20 oder 30 Jahren, aber selten antizipieren wir die Glücksgefühle von in 10, 20 oder 30 Jahren. Wenn wir uns hier einmal treffen würden zu einer gut besetzten, qualifizierten und hoch besetzten Tagung und nur darüber reden würden: „Was glauben Sie, worüber Sie sich in zehn Jahren freuen werden, oder was könnte sein, wenn wir gesund sind, und was könnte in 20 Jahren chic sein, und wie können wir uns darauf vorbereiten, dass das passieren wird, und wie können wir uns innerlich gemeinsam darauf einstellen?“ Stattdessen machen wir, aus guter Gewohnheit und hohem Verantwortungsgefühl, das Katastrophenscanning für in 20 Jahren.
3. Worst Case
Eine wichtige Therapiemethode in der Verhaltenstherapie gegen die Angst, und jetzt komme ich schon zum Einstieg in die nächste Murmelgruppe, nennt man Flooding – Überfluten. Denken Sie z. B. an Menschen, die sich fürchten, auf einen hohen Turm zu gehen, weil sie die Angst haben, herunterzufallen und zu Schaden zu kommen. Die werden in der Therapie begleitet und vom Therapeuten auf diesen hohen Turm geführt. Das heißt, man führt sie mitten hinein in die angstauslösende Situation. Dann, das können Sie sich leicht vorstellen, steigt das Erregungsniveau auf eine unerträgliche Höhe. Aber da der Körper so gebaut ist, dass die Erregungskurve von einem bestimmten Punkt an von alleine fällt, kann der Patient oben auf dem Turm erleben, dass er diese Besteigung überlebt hat, und kann mit einer ziemlich großen Erleichterung wieder heruntersteigen. So funktioniert diese Überflutungstherapie.