Hans-Hermann Pompe plädiert für die Suche nach „Geburtshelfern der Veränderung“. Dazu bezieht er sich auf Einsichten aus der Kreativitäts- und Innovationsforschung. Auch wenn genügend Ideen vorhanden sind, gilt es Freiräume für deren Umsetzung zu schaffen. Dazu benötigt die Kirche Neugier auf das Neue, Vertrauen als Basisressource und den Mut, Menschen freizusetzen. Der Umgang mit dem zu erwartenden Mangel ist eine besondere Herausforderung auf dem Weg in die Zukunft. Pompe führt aus, dass Armut kein Hindernis ist – verschiedene Formen von Trägheit dagegen schon. Zum Schluss fragt Pompe nach den Personen, den „Pionieren des Wandels“ oder „Schlüsselpersonen in Veränderungsprozessen“. Sie gedeihen da, wo Freiwilligkeit und ein hohes Maß an Kommunikation möglich ist. Deren Förderung und der damit einhergehende Balanceakt zwischen Effizienz und Chaos wird ein spannendes Lernfeld für Kirche auf allen Ebenen werden.
Annegret Böhmer stellt in einem interaktiv angelegten Vortrag kirchliche Handlungsmuster auf den Kopf und argumentiert therapeutisch für eine Fokussierung auf Lebensqualität in der Kirche. Lebensqualität entsteht ihrer Meinung da, wo sich Menschen auf das konzentrieren, was ihnen Freude bereitet und positiv für sie ist. Das Arbeiten für den unbekannten anderen lähmt. Allerdings bedarf es auch einiger Übung, sich auf das Positive einzustellen und dem natürlichen Sorgen nicht nachzugeben.
Christhard Ebert zeigt in seinem Beitrag die Zusammenschau und die Gemeinsamkeiten von Mission und Region. Region ist ein Containerbegriff, der vieles beinhaltet. Grundlegend ist dazu zu sagen, dass Regionen nicht einfach vorhanden sind, sondern in verschiedenen Prozessen entstehen. Die Beschreibung dieser Prozesse aus der Perspektive der Mission mit Verheißungen und Orientierung am Grundauftrag der Kirche bringt den entscheidenden Unterschied einer ‚Regionalentwicklung‘ zu eher rückbauorientierten Prozessen der ‚Regionalisierung‘.
Gert Pickel fragt nach den Trends im Umbruch. Seine Analysen beruhen vor allem auf den Daten der V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Er argumentiert, dass eine genaue Analyse der Gegenwart den Weg in die Zukunft weist. Traditionsabbruch und Pluralisierung sind die zu organisierenden Herausforderungen. Gleichzeitig zeigt sich in den Analysen die Relevanz der Kirche für die Gesellschaft. Kirche, die als Gemeinschaft die Basis für Religiosität bildet, bietet Gelegenheitsstrukturen für zivilgesellschaftliches Engagement. Dies trifft einerseits auf die Werte der Kirchenmitglieder und andererseits auf die Erwartungen an Kirche von innen und außen. In diesen (lokalen) Netzwerken zeigt sich die Relevanz von Kirche. Bei all dem wird Pickel nicht müde darauf zu verweisen, dass Indifferenz oder besser Religionslosigkeit eine gesellschaftlich relevante Option ist, die nicht auf ein neues Aufblühen der Religion zuzugehen scheint.
Konrad Merzyn bringt eine kirchenleitende Sicht auf die Ergebnisse der V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ein. Sein Ansatz steht deutlich in Spannung zu den Ausführungen von Gert Pickel. Letzterer argumentiert für den Vorrang der Säkularisierungstheorie, während Merzyn eine Vermittlung der drei gängigen Religionstheorien als Grundlage für kirchenleitendes Handeln bestimmt. Gegen Pickel votiert Merzyn auch, dass die Theologie eine nicht unbedeutende Rolle hat, um Kirche von morgen zu entwickeln. Der Weg von der Volkskirche zur pluralismusfähigen Großkirche ist ein anspruchsvoller Rückbau. Einig sind sich Merzyn und Pickel in der Bedeutung der (frühen) religiösen Sozialisation für die Kirchenbindung. Merzyn legt auf dieser Grundlage Schwerpunktsetzungen bei kirchlichen Handlungsoptionen dar. Hierzu gehört unter anderem auch die Förderung der Außenorientierung und Kommunikation in der Öffentlichkeit.
Thomas Schlegel widmet sich der komplexen Verhältnisbestimmung von Umbau, Rückbau und Aufbau in der Kirche. Er bringt die Zusammenhänge auf die griffige Formel: Umbau ist Neuaufbau im Rückbau. Diese Formel wird dann dreifach beschrieben, so dass die Beziehung von Aufbau und Rückbau deutlich wird. Rückbau ist und bleibt ein Trauerprozess, der nicht automatisch zu Neuem führt. Trotzdem bringt der Rückbau günstige Rahmenbedingungen für Neues mit sich. Wo zurückgebaut wird, entsteht Freiraum, und Not macht erfinderisch. Aufbau ist gleichermaßen ein eigenständiger Prozess, der ebenso wie der Rückbau Energie, Personal und Finanzen benötigt. Auch wenn Not erfinderisch macht, gibt es eben keinen kausalen Zusammenhang von Rückbau und Aufbau. Schlegel zeigt, dass deswegen beides im kirchenleitenden Handeln zusammenkommen muss: die Planung des Rück- und Aufbaus. Da der Rückbau derzeit in Fahrt ist, muss der Aufbau besonders gefördert werden. Aufbauprozesse entziehen sich jedoch zentraler Planbarkeit, weswegen hier Mut und Vertrauen in Akteure vor Ort investiert werden sollten, weil bei ihnen entscheidend Neues entsteht.
Hubertus Schönemann beschreibt nach einer konzisen Zeitanalyse und Reflexion theologischer Grundlagen die kopernikanische Wende im Denken über das Ehrenamt. Der katholische Theologe zeigt, dass die Kirche im Umbruch diesen neuen Umgang mit Ehrenamtlichen entdeckt: Nicht die Aufgaben brauchen Menschen, die sie ausführen, sondern die Gaben der Menschen – des Volkes Gottes – führt zu den Aufgaben der Kirche. Neben Anmerkungen, welche Veränderungen das in den Berufsbildern der Hauptamtlichen mit sich bringt, verweist Schönemann – mit weitem ökumenischen Horizont – auf vorhandene Praxisbeispiele und Seminare zur Entdeckung und Förderung von Gaben.
Ein analytischer ökumenischer Blick kommt mit der Lambeth Lecture des anglikanischen Bischofs Richard Chartres aus London. Er zieht sein Fazit aus 20 Jahren Kirchenleitung in der englischen Metropole. Was hat das zerstrittene und um 1990 kurz vor dem finanziellen Kollaps stehende Bistum London zu einer der blühendsten und innovativsten Diözesen der Kirche von England werden lassen? Chartres reflektiert hoch komplexe Entscheidungen über Gebäude, Stellen, Finanzen, Gremien, Personal oder Theologie, er führt geistliche Leitung zurück auf einige wenige, aber unaufgebbare Aufgaben eines Bischofs. Als ‚Geburtshelfer des Wandels‘ will er die Zukunft des Ganzen im Blick haben, steht auch zu unpopulären Entscheidungen oder riskanten Prozessen. Anhand einer Fülle von komplexen Zusammenhängen und kybernetischen Prozessen reflektiert er, wie geistliche Klarheit wächst und so eine große Diözese mehr und mehr von Aufbruchsgeist, missionarischen Visionen und zukunftsfähigen Strategien durchdrungen wird.
Wir sind dankbar für die Fertigstellung des Bandes als erweiterte Dokumentation der Jahrestagung des EKD-Zentrums für Mission in der Region 2015. Besonders danken wir Frau Dr. Annette Weidhas von der Evangelischen Verlagsanstalt für die Betreuung des Bandes, stud. theol. Nico Limbach für die Übersetzung und stud. theol. Frederike Kathöfer für alle Hilfe bei den Korrekturen.
Hans-Hermann Pompe und Benjamin Stahl
Hans-Hermann Pompe
Kreativität im Umbruch
Es gibt den Traum von einer Vergangenheit, in der alles besser und leichter war. In Köln waren dafür die Heinzelmännchen zuständig: Sie haben die ganze Arbeit übernommen, den Kölnern ein leichtes Leben ermöglicht:
„Wie war zu Cölln es doch vordem,
Mit Heinzelmännchen so bequem!
Denn, war man faul: … man legte sich
Hin auf die Bank und pflegte sich:
Da kamen bei Nacht,
Ehe man’s gedacht,
Die Männlein und schwärmten
Und klappten und lärmten
Und rupften und zupften Und hüpften und trabten
Und putzten und schabten ….
Und eh ein Faulpelz noch erwacht, …
War all sein Tagewerk … bereits gemacht!“ 1
Man