Menschen unter Zwang. Clara Viebig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clara Viebig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711466971
Скачать книгу
Mittler eins auszuwischen: was sich diese Person alles erlaubte! Doris wurde blutrot, aber sie behielt ihre ruhig-freundliche Miene. Doch William Längnick fuhr auf: „Ich werde es holen. Bleib sitzen!“ herrschte er die Tochter an. Rasch war er zur Tür hinaus.

      Oh, war der froh, entrinnen zu können! Doris unterdrückte ein Lächeln; sie war nun nicht mehr beleidigt, sie hatte Humor genug für die Situation, und den Pfeil der alten bösen Frau hatte William ritterlich abgewehrt. Das tat ihr wohl.

      Eine plötzliche Stille war eingetreten. Die Grossmutter sass ganz erstaunt: William ging selber, stand auf vom Tisch, was erlaubte er sich? Auch die junge Lore sah mit grossen Augen von ihrer Doris zur Urgrossmutter, und von dieser wieder zu jener, und dann auch zu der Tante hin, die so unwillkommen zu Besuch gekommen war. Unwillkommen, das konnte man gut merken. Diese schöne Frau mit den gebrannten Haaren, in dem eleganten Kleid, so ganz anders angezogen als ihre Doris, war ihr nicht gerade sympathisch und hatte ihr etwas Fremdes. Aber es war doch die Schwester ihrer Mutter, und wenn Tante Ingeborg auch keine Ähnlichkeit mit der hatte — Doris sagte, sie hätte gar keine —, so musste sie doch der Mutter wegen, zu deren Grab sie oft mit Doris Blumen brachte, lieb und freundlich zu ihr sein.

      „Was macht denn Britta?“ fragte sie mit ihrer fast noch kindlichen Stimme und lächelte die Tante an.

      „Ach, Brigitte ist auch schon ein grosses Mädchen, wenn auch lange nicht so hübsch wie du!“ Frau Bade war dankbar für die erlösende Frage aus dieser bedrükkenden Stille. Diese Grossmutter war ja ganz gefährlich, wenn auch in anderer Art gefährlich als die Mittler! Und blöde war es von dem Schwager, aufzuspringen und nach dem Taschentuch zu rennen! Mit Freuden ergriff sie die Gelegenheit, von Brigitte und Theo zu sprechen; sie tat es gern, sie liebte ihre Kinder. „Ein bisschen wild ist Theo leider: Tom sagt zwar, er wird ihn schon zahm kriegen, ich schicke ihn aber doch in eine Erziehungsanstalt, in ein Landheim oder nach der Schweiz, dann lernt er gleich gut Französisch. Es ist nicht angenehm, in einer jungen Ehe so grosse Kinder im Haus zu haben. Und Brigitte — ja, da weiss ich noch nicht. Vorderhand schwärmt sie für Tom. Er mag sie auch sehr gern. Sie ist ja auch wirklich lieb, aber ein komisches Mädchen — ja, was ich mit Brigitte machen soll, das weiss ich wahrhaftig noch nicht!“

      „Tante, gib sie doch her zu uns!“ In Lores zartes Weiss stieg eine helle Röte. „Oh, das wäre schön! Mir fehlt gerade jemand, mit dem zusammen ich noch lernen kann und auch mal ’ne Dummheit machen und lustig sein. Doris sagt immer: ‚Eine junge Gefährtin brauchtest du, eine Altersgenossin.‘ Nicht wahr, Fräulein Mittler, ich werde zu altklug immer nur mit Erwachsenen?“ Sie lachte und Fräulein Mittler lächelte auch. Sie strich dem jungen Mädchen mit einer zärtlichen Gebärde über das lockige Haar: „Wenn du über die junge Freundin nicht die Liebe zu deiner alten hintansetzst, dann soll sie nur kommen!“

      „Hörst du, Tante, Fräulein Mittler sagt es auch!“ Lebhaft umarmte sie die Erzieherin und drückte ihr einen Kuss auf. „Doris erlaubt’s!“

      Die Urgrossmutter sah aus wie ein Geier, der die Federn sträubt: „Fräulein Mittler hat gar nichts zu erlauben. Sitz still, Lore!“ Sich zu Ingeborg wendend, sagte sie dann: „Aber es liesse sich drüber reden. Meinetwegen. Was würden Sie für die Pension hier anlegen?“

      Lore wurde blutrot: o wie peinlich! Geld, bezahlen?! So war es doch nicht gemeint. Die Tante sollte doch nicht bezahlen. Um Gottes willen, sie durfte nichts bezahlen! Britta sollte hier als ihre Gefährtin sein, als ihre Freundin, und Freundschaft und Liebe, die haben mit bezahlen doch nichts zu tun. War denn nicht Geld genug hier?! Die Tränen schossen ihr in die Augen, sie fühlte sich tief verletzt. ‚Millionenerbin‘ sagten die Leute. War es so, sollte sie einmal Millionen erben? Ach, sie machte sich gar nichts daraus. Liebe, Liebe, nach der verlangte es sie, ausser Doris hatte ja niemand sie lieb. Der Vater nicht, der war viel zu gleichgültig, die Urma nicht, die konnte ja gar nicht lieben. Aber Britta würde sie lieben, sie sah sich schon mit ihr Hand in Hand. Sie würden zusammen konfirmiert werden — das war ein grosses Ereignis — sie traten zusammen in das Leben ein, von dem sie noch keine Ahnung hatte, und auf das sie doch sehr neugierig war. Lores Augen richteten sich flehend auf die Schwester ihrer Mutter: wenn die doch jetzt sagen möchte, ‚ja, ich schicke dir Britta!‘

      Aber Frau Bades Gedanken waren bereits abgeschweift. Dass William mit der Mittler was hatte, das war ja ganz klar! Oh, diese scheinheilige Landpomeranze mit dem glatten Scheitel und der puritanischen Kleidung, Rock und Bluse wie eine Bedienstete. Die auszustechen, konnte ihr doch nicht schwer fallen. Ihm nahm sie weiter das Verhältnis nicht übel, er war ja noch ein Mann in den besten Jahren und hatte hier eben keine Wahl. Ihre Gedanken eilten flüchtig, wie sie stets waren, zu Tom: der war in der Liebe mehr nach ihrem Geschmack, jünger und frischer. Aber freilich, William war reich. Gut aussehend war er eigentlich auch, und dass er nicht viel sprach, war ja gar nicht unangenehm; bei Tom kam man nie zu Wort, der beherrschte immer die Unterhaltung. Er hatte ja auch was zu erzählen. Was der im Krieg sich alles geleistet hatte! Tolle Stückchen: Schleichpatrouillen mitten in die feindlichen Linien — Horchposten — es war stets auf Leben und Tod gegangen. Er war ja auch Offizier geworden, hatte das Kreuz Erster bekommen, immerhin was für einen einfachen Handlungskommis! Aber sie wollte doch auch einmal reden, nicht bloss zuhören.

      Die Frau wog Vorzüge und Nachteile beider Männer ab wie der Krämer die Ware. Die Waage senkte sich nach des reichen Schwagers Schwere. Wo William nur so lange blieb? Sie beschloss, gleich heute noch einen Vorstoss zu wagen. „Warum kommt William nicht wieder?“ fragte sie harmlos.

      „Da müssen Sie ihn selber drum fragen“, sagte die Alte. Sie lächelte ein wenig, wenn man das Zucken ihres schmallippig gewordenen Mundes Lächeln nennen wollte. Ei, was war diese Frau für eine Pute! Sie war hergekommen, um den reichen Mann zu kapern, und merkte es gar nicht, dass sie ihm auf die Nerven fiel. Friederike Längnick amüsierte sich. „Hm, hat denn Ihr Zukünftiger eine Position?“ fragte sie. „Oder will er Sie nur heiraten wegen des Geldes, das Ihnen Bade hinterlassen hat? Das kann rasch alle werden.“

      „Oh, er ist gutsituiert“, sagte rasch Frau Ingeborg. Sie würde hier doch nicht sagen, dass er nichts hatte. Sein Vater, der hatte einmal etwas gehabt — sogar drei Güter — Tom war als Knabe mit der Equipage zur Schule gefahren worden, aber das war schon lange her. Ingeborg Bade war sich bewusst, dass sie log, als sie sagte ‚gutsituiert‘. Konnte sie denn dieser bösen Alten die Wahrheit sagen? Konnte sie sagen, dass er zur Zeit nicht einmal eine Stellung hatte, sondern von dem lebte, was ihm ein älterer Bruder zukommen liess? Diese alte Hexe würde ihr womöglich auf den Kopf zusagen: ‚Sie wollen nur heiraten um jeden Preis.‘ Ja, das wollte sie auch! Wenn Vennhof sich nicht scheiden liess, und William nicht herumzubekommen war, dann musste sie eben Tom heiraten; und tat das auch ganz gern, denn er war ein Liebhaber, wie man sich keinen besseren wünschen konnte. Wo war ein Mädchen, das ihn nicht gern genommen hätte? Alle, Frauen wie Mädchen, bezauberte er. Aber erst würde sie es doch noch einmal beim Schwager versuchen. Ingeborg stand auf und zupfte ihr Kleid zurecht. „Gute Nacht“, sagte sie, „ich bin von der Reise doch recht müde.“

      „Na, denn gehn Sie man.“ Die Alte reichte ihr die kühle Greisenhand. „Schlafen Sie gut und träumen Sie süss!“

      Wie boshaft das klang! Es durchfuhr Ingeborg: diese Grossmutter war eine böse Zugabe. Aber trotzdem, trotzdem — und wie lange konnte die denn auch noch leben?! Sie machte eine leichte, abschiednehmende Verbeugung und strich Lore über den Kopf: „’nacht, mein Süsses!“

      Doris Mittler stand auf: „Ich werde Sie nach oben bringen, gnädige Frau!“

      Aber Frau Bade winkte mit Entschiedenheit ab: „Ich bin ja hier ganz zu Haus. Nein, bleiben Sie ruhig sitzen — nein, nein, ich finde schon!“ —

      Leichtfüssig war sie die breite Treppe hinaufgehuscht. Da war des Schwagers Zimmer! Sie lauschte und hörte sein Hin- und Hergehen. Aber vorerst schlüpfte sie in ihr Zimmer. Hastig warf sie ihr Kleid ab und hüllte sich in ein Negligé: na, wenn ihm das nicht gefiel! Das weiche, fliessende Gewand von zartem Blau, das den Hals freiliess und den Ansatz des Busens zeigte, stand ihr bezaubernd, der Spiegel bestätigte ihr’s. — — —

      An William Längnicks Tür hatte es leise geklopft, und es