Sie gingen die Treppe hinab, sie voran, er hinter ihr her. Also umsonst alle Mühe, die er sich gegeben, umsonst! Umsonst der Besuch hier beim Justizrat. Wo blieben die versprochenen dreissigtausend?! Nichts, gar nichts erreicht! Sollte er ihr jetzt nicht einen Stoss in den Rücken geben, dass sie die hohe Treppe hinabstürzte, sich auf deren Steinstufen das Genick brach? Im Büro hatte er sich zusammengenommen, seine Wut sich nicht anmerken lassen, hatte nur seine Hand zur Faust geballt und die Nägel der Finger in die Innenfläche gegraben, jetzt aber machte er einen Schritt neben sie, drängte sich dicht an sie heran: „Du hast mich ja schön blamiert da oben, du, du!“ Er hatte nach ihr gegriffen, bei jedem Wort bekam ihre Hand einen Ruck, dass ihr der Schmerz durch den ganzen Arm fuhr bis hinauf in die Schulter. Sein Gesicht war ganz bleich, aber sein Blick funkelte.
Wie ein Schlangenblick, dachte sie. Jetzt hatte sie auf einmal wieder Angst: niemand war bei ihr, um ihr zu helfen.
„Der Mann muss ja denken, ich massakriere dich“, zischte er sie an. „Was schwatztest du so dummes Zeug von sterben?“
„Ach, ich dachte“ — sie stotterte, sie hatte ja solche Angst vor ihm — „ach, ich habe das nur so gesagt aus Spass. Nur zum Spass!“
„Mir ist es aber kein Spass!“ Er fasste ihr Handgelenk fester, er hielt sie wie in einer Klammer: „Du hast mich ja schön blamiert da oben. Das sollst du mir bezahlen, du, du!“
O Gott, wie böse sah er sie an! Sie zitterte, wollte umkehren, wieder hinauflaufen ins Büro, da waren Menschen, da kam man ihr zu Hilfe. Aber er riss sie mit sich die Treppe hinunter, fast wäre sie gestürzt. Zur Haustür hinaus, über die Strasse, mitten durchs dichteste Gewühl von Wagen und Passanten. „Du hast mich verleumdet, mich hingestellt wie einen Betrüger! ‚Wenn ich bald sterben sollte‘ — was soll das heissen? Als ob ich dir nach dem Leben trachtete — du, du!“ Er riss sie weiter, sie kam nicht los, immer toller rannte er. Sie musste mit, atemlos keuchten sie beide.
„Du hast mir meine Zukunft zerstört — alles! Es hätte mir glücken können — es wäre mir auch geglückt — aber du, du“ — er kniff ihr Gelenk, dass sie vor Schmerz stöhnte —, „du hast kein Verständnis für meine Qual! Ich soll auf Selbständigkeit verzichten, ich soll dein Sklave sein, um jeden Pfennig dich bitten, abhängig sein von deinen Launen, von deiner Liebesgier — unersättlich ist die, du mannstolles, altes Weib!“ Seine Worte waren hart, mitleid- und erbarmungslos. „Meinst du, ich hätte dich aus Liebe geheiratet? Weil du Geld hattest, darum. Und nun willst du mir das nicht geben?“ Seine Augen blitzten sie drohend an. „Nimm dich in acht, nimm dich in acht!“
Er hatte es zwischen den Zähnen hervorgestossen, nicht eben laut. Aber doch merkten die Vorübergehenden bereits auf: was war denn da los? Warum packte der Mann die Frau so an? Auf offener Strasse — oh, ein brutaler Kerl!
Wie schrecklich war er, wie schrecklich! O Gott, wäre sie doch weit fort! Von sinnloser Furcht und von einem Grauen vor ihm gepackt, strebte Ingeborg, ihr Handgelenk ihm zu entwinden. Jetzt gelang es ihr. Sie lief, sie stürzte sich mit einem Sprung mitten zwischen die Wagen, die in endlosem Wechsel die Strasse hinauf- und hinunterfuhren. Leute schrien auf, ein Schutzmann winkte: die wurde ja überfahren!
Sie hörte, sie sah nichts. Und er auch nicht. Er sprang ihr nach — da, ein Wagen fuhr ihm fast über die Füsse, ein Schutzmann riss ihn zurück. Er wehrte sich gegen den ihn Haltenden, er strebte mit aller Gewalt, ihr nachzulaufen, sie festzuhalten, aber neue Wagen, elektrische Bahnen, Menschen schoben sich zwischen ihn und die, die er zu verfolgen trachtete.
Als er endlich freie Bahn hatte, konnte er sie nicht mehr entdecken. Sie war verschwunden.
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